Seit 2007 ediert Marie-Catherine Vignal-Souleyreau in Nachfolge der Kommission »Monumenta Europae Historica« die innenpolitischen Korrespondenzen des Kardinal Richelieu. Begonnen mit dem Jahr 1632, liegt mittlerweile der zweite Band für das Jahr 1635 vor. Die Aufgabe, der sich die Herausgeberin stellen muss, ist nicht gering, gilt es doch aus einem kaum zu überschaubaren unpublizierten und publizierten Material auszuwählen. Nach welchen Prinzipien sie diese Frage entscheidet, darüber berichtet sie nicht einleitend, wohl aber über die Herkunft des Großteils der in diesem Band versammelten Quellen: Es handelt sich um Dokumente, die erstens genuin aus den Akten Richelieus stammen (aus den Bänden der »Mémoires et documents/France« in den Archives du ministère des Affaires étrangères), zweitens aus der Korrespondenz des Marschall Châtillon, Gaspard III de Coligny (1584–1646), des Enkel des ersten Opfers der Bartholomäusnacht, und drittens aus dem Nachlass von Denis Charpentier, Richelieus Privatsekretär seit 1607 oder 1609. Châtillons Korrespondenzen fanden früh Eingang in Publikationen des späten 17. Jahrhunderts von Antoine Aubéry (S. 11f.).

Neben den Auswahlbänden zu 1635, die Avenel 1861 und 1863 ediert hat, liegen nun zwei weitere Bände mit Material für die Geschichte der französischen Monarchie und Richelieus so wichtigem Jahr 1635 vor. Am 19. Mai ließ Ludwig XIII. per Herold in Brüssel dem König von Spanien den Krieg erklären. Vorausgegangen waren Jahre der guerre couverte, in denen Richelieu mal verdeckt, mal weniger verdeckt die Gegner des Hauses Habsburg unterstütze. Seit der Schlacht von Nördlingen 1634 und der damit verbundenen Zerschlagung der protestantischen Kräfte wussten Richelieu und Ludwig XIII., dass der offene Krieg mit dem Hause Habsburg nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Im Herbst 1634 begannen die Kriegsvorbereitungen, die durch die Korrespondenzen der ersten Hälfte des Jahres 1635 eindrucksvoll belegt werden. Châtillon, der die Armee befehligte, die die Niederländer auf dem flandrischen Kriegsschauplatz unterstützen sollte, berichtete unablässig über seine Bemühungen bei der Vorbereitung des Feldzuges und wurde gleichzeitig vom Hof mit Anweisungen »bombardiert«. Dieser Briefwechsel vermittelt einen Eindruck, wie Armeeorganisation funktionierte. Ständig wird über Ein- und Umquartierung von Truppen berichtet, und zugleich versuchte man, die Bevölkerung so wenig wie möglich zu belasten.

Einer von Charpentiers bevorzugten Korrespondenten war der Gouverneur des Languedoc, Charles de Schomberg, Herzog von Halluin (1601–1656). Aus seiner Feder trafen regelmäßig Berichte über seine Anstrengungen ein, Narbonne und seine Umgebung für den Krieg mit Spanien vorzubereiten. Halluin schickte Kundschafter an die spanische Grenze, die von Truppenbewegungen in Katalonien berichteten, was wiederum zu hektischer Aktivität im Languedoc führte. Halluin ließ die Grenzbefestigungen verstärken, befürchtete er doch einen konzertierten Angriff von Land und zur See auf Narbonne und auf das Languedoc (S. 99f.).

Wiederkehrendes Thema der Briefe und Memoranden ist die Sicherung der Grenzen: Nach Kriegsausbruch stand die Kontrolle von Festungen und die Sicherheit der Grenzen ganz oben auf der Tagesordnung. Im August 1635 legte der Prince de Condé, Gouverneur von Burgund, eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Grenzen seiner Provinz zur spanischen Franche-Comté vor. In diesem Zusammenhang analysierte er, ob und wie man Angriffen – mit denen er nicht unbedingt rechnete – zuvorkommen könnte und welche Städte und Ortschaften zur Abwehr eines Angriffes befestigt werden sollten (S. 450–454). Das letzte Dokument des Bandes listet die Kosten der Befestigungsarbeiten in Pignerol auf (S. 546f.).

Andere Dokumente vermitteln einen Eindruck vom Klein-Klein des Krieges an der Grenze nach Flandern und Luxemburg, die durch eine Vielzahl von Herrschaften geprägt war. So leitete Richelieu Anfang Juli die Nachricht von der Eroberung des Schlosses und des Orts Chauvency-le-Château weiter, das anschließend mit 60 Mann gesichert wurde. Beteiligt an der Belagerung war eine Truppe von rund 4000 Mann, zusammengewürfelt aus den Garnisonen der Region, darunter auch »quantité de noblesse volontaire« und »230 bourgeois de Stenay« (S. 347f).

Aber der Blick geht auch ins Innere: In einer undatierten Denkschrift werden Schlösser im Vivarais aufgelistet, deren Befestigungen geschliffen werden sollten, vor allem weil die Besitzer Hugenotten oder an Aufständen gegen die Krone beteiligt waren. Beauftragt wurde ein Richter am Gericht von Uzès (S. 543–546); durchgeführt wurden die Zerstörungen jedoch nicht. Dieses Dokument, wie auch zahlreiche weitere, belegen die Distanz zwischen den Befehlen der Krone und der Situation vor Ort. Immer wieder kommen die Konflikte zwischen Amtsträgern in der Provinz – etwa Condé und Angehörige des parlement in Burgund – zur Sprache. Auch zwischen Gouverneur Halluin und dem Intendanten Le Camus stand der Streit auf der Tagesordnung. An diesen Korrespondenzen lässt sich der Alltag des »Absolutismus« konkret und in allen seinen Grenzen beobachten.

Diese wenigen Beispiele sollen reichen, um die Vielfalt der Themen der abgedruckten Dokumente zu illustrieren. Im Kommentar konzentriert sich die Herausgeberin auf die Identifikation der Orte und Personen, was auf den ersten Blick detailverliebt scheint, aber worin viel Mühe und Aufwand steckt. Dafür gebührt ihr Dank. Es ist zu hoffen, dass weitere Bände bald folgen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Marie-Catherine Vignal Souleyreau, L’œil et la plume de Richelieu. Correspondances croisées, 1635, Paris (L’Harmattan) 2020, 674 p. (Chemins de la Mémoire – XVIIe siècle), ISBN 978-2-343-20675-2, EUR 45,00., in: Francia-Recensio 2022/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89118