Wohl im Spätsommer 1219 trafen Franziskus von Assisi und der Ayyubidensultan al-Malik al-ʿKāmil am Hof des Sultans in Damiette im Kontext des sogenannten Fünften Kreuzzugs aufeinander, ein Ereignis, das vor allem im lateinchristlichen Raum für eine überaus vielfältige Rezeption gesorgt hat, die mit dem zu rezensierenden Band Fortsetzung und Aktualisierung erfährt. Entstanden im Zuge des 800-jährigen Jubiläums dieser Begegnung, stellt er – initiiert von der Fachstelle Franziskanische Forschung und dem Referat Christen und Muslime des Bistums Münster – ein in seiner Anlage ungewöhnliches Unterfangen im deutschen Wissenschaftsbetrieb dar. Das historische Ereignis wird zum einen wissenschaftlich untersucht und eingeordnet, dient zum anderen aber auch als Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit interreligiösem Dialog in Vergangenheit und Gegenwart. Erzählt werden soll die Begegnung und ihre heutige Relevanz als »geteilte Geschichte« (S. X) – gemeint ist eine konsequente Einbeziehung der Perspektive des jeweils anderen – um damit »Leerstellen zu füllen« und an einigen Stellen auch Neubewertungen vorzunehmen.
An eine Einleitung der Herausgeber und der Herausgeberin schließt sich ein einführender Beitrag von Michael Borgolte zu Begegnungen von Christen, Juden und Muslimen im Mittelalter an. Die folgenden 24 Beiträge – auf die hier nur schwerpunktmäßig aus der Perspektive der Mediävistik eingegangen werden kann – sind in fünf Abteilungen untergliedert: »Historische Perspektive«, »Rezeption«, »Theologische Kontexte«, »Interreligiöser Dialog heute«, »Interreligiöser Dialog aus der Perspektive nichtfranziskanischer Akteure«. Entsprechend verschieden sind auch die Hintergründe der Autorenschaft, die sich aus der Geschichts- und Religionswissenschaft, der islamischen wie christlichen Theologie, der Kirchen sowie der Politik zusammensetzt.
Die Beiträge der ersten beiden Abteilungen sind für die Mediävistik von großer Bedeutung, leisten sie doch deutlich mehr als eine ereignisgeschichtliche Einleitung in das Thema des Bandes und stellen auch für sich genommen wichtige Forschungsleistungen dar. So können beispielsweise die Texte von Stefan Tebruck zum Fünften Kreuzzug oder jener von Nikolas Jaspert zur Konversion als Grundlagentexte zu ihren Themen angesehen werden. Charakteristisch ist auch, dass alle Themen immer von muslimischer wie christlicher Seite betrachtet werden. Tebrucks Beitrag stehen so die Aufsätze von Thomas Würtz, Joachim Jacob und Kurt Franz gegenüber, die verschiedene Aspekte der Geschichte der Kreuzzüge im Allgemeinen und des Fünften im Speziellen aus muslimischer Perspektive erzählen. Bernd Schmies bietet eine ausführliche Neubewertung der komplizierten lateinchristlichen Überlieferung des Treffens von Sultan und Heiligem. Diesem Beitrag kann leider keine Sicht aus Perspektive muslimischer Quellen gegenübergestellt werden, da das Ereignis in der muslimischen Überlieferung schlicht nicht zu finden ist.
Konzeptionell nicht ganz nachvollziehbar ist die Zuordnung der Aufsätze in der Abteilung »Rezeption«. Die ersten beiden – für sich genommen sehr aufschlussreichen und quellennahen – Beiträge von Martina Kreidler-Kos zum Angriff muslimischer Söldner auf San Damiano und von Nikolas Jaspert zur Konversion zum Islam im Mittelmeerraum beschäftigen sich nicht mit der Rezeption des Treffens, das im Mittelpunkt des Bandes steht. Das ist in den folgenden Aufsätzen anders. Chiara Frugoni, deren Beitrag eine Übersetzung eines bereits 2012 erschienenen Textes ist, leistet eine detaillierte Aufarbeitung der mittelalterlichen Bildrezeption des Treffens von Damiette. Niklaus Kuster (OFMCap) setzt dies fort und nimmt in einem Ritt durch »ein Jahrhundert franziskanischer Filmgeschichte« die Umsetzungen der Begegnung in sieben Filmen von »Frate sole« (1918) bis zu »The Sultan and the Saint« (2016) in den Blick. Dabei gelangt er zu einigen interessanten Ergebnissen im Hinblick auf die Zeitgebundenheit der Filme, von denen hier nur einer herausgegriffen sei: Italienische Produktionen haben das Treffen bis zu Beginn des dritten Jahrtausends überhaupt nicht thematisiert, erst im Zuge muslimischer Migrationen seit Beginn der 2000er Jahre werde das Thema auch im italienischen Umgang mit der Franziskus-Vergangenheit relevanter. In einem anderen Punkt leitet Kuster schon zu den Perspektiven des heutigen Religionsdialogs über, indem er feststellt, dass neuere Produktionen die Begegnung zur Förderung von »Peace and Pluralism« nutzen.
Bevor es jedoch zu diesen Untersuchungen kommt, erwartet die Lesenden noch die Abteilung zu theologischen Kontexten. Beispielhaft hervorgehoben sei hier der Beitrag von Georges Tamer, der sich mit theologischen Grundlagen des interreligiösen Dialogs in Koran und Bibel beschäftigt. Exemplarisch versucht er anhand der Idee der Inkarnation im Neuen Testament sowie der Idee der »gottgewollten Vielfalt menschlicher Gemeinschaften« aus dem Koran den interreligiösen Dialog auf theologische Füße zu stellen und Ansatzpunkte zu schaffen. Die beiden abschließenden Abteilungen sind durchweg gegenwartsorientiert und beschäftigen sich mit praktischen und theoretischen Fragen interreligiösen Dialogs, wobei sich wiederum sehr verschiedene Stimmen äußern, darunter muslimische, evangelische und katholische. Letztere werden dabei durch dezidiert franziskanische Perspektiven zusätzlich binnendifferenziert. Zu guter Letzt kommt in Ruprecht Polenz auch ein aktiver Politiker mit einigen Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Politik zu Wort.
Insgesamt ist den Herausgeberinnen und Herausgebern ein in seiner Vielfalt überaus anregender Band gelungen, der zum Nachdenken und Weiterforschen einlädt. Lesende aus der Mediävistik werden zum Blick in die Gegenwart angeregt, während Akteure aus Politik und Religion daran erinnert werden, dass gegenwärtige Ereignisse und Prozesse immer auch eine historische Dimension haben. Letztere wird dabei mustergültig auf dem aktuellen Stand der Forschung dargeboten. Es ist natürlich müßig, den Preis einer wissenschaftlichen Publikation zu kritisieren, doch wäre es bei Publikationen, die explizit in die Gesellschaft wirken sollen, eventuell geboten, über günstigere Varianten oder sogar Open Access nachzudenken.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Amir Dziri, Angelica Hilsebein, Mouhanad Khorchide, Bernd Schmies (Hg.), Der Sultan und der Heilige. Islamisch-christliche Perspektiven auf die Begegnung des hl. Franziskus mit Sultan al-Kamil (1219–2019), Münster (Aschendorff) 2021, X–738 S., 24 farb. Abb., ISBN 978-3-402-24644-3, EUR 82,00., in: Francia-Recensio 2022/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89143