Es war still geworden um die Finanzgeschichte für den Bereich des Mittelalters. Nach den ersten Ansätzen und der Vision, mittelalterliche Staatsfinanzen römisch-deutscher Staatsoberhäupter buchhalterisch erfassen zu können, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Umfeld von Adolph Nuglisch versucht wurde, und dem großen Interesse der 1970er und 1980er Jahre an Organisation und Ökonomie des spätmittelalterlichen Reichs sucht die vorliegende Arbeit im Sinne einer neuen, kulturgeschichtlich fundierten Finanzgeschichte, die Reichsfinanzen aus neuer Perspektive zu analysieren. Dabei wählt Kluge als Fokus die Frage nach dem königlichen bzw. kaiserlichen Kreditverhalten, unternimmt also eine Bewertung der Herrscher in Bezug auf ihre Kreditaufnahmen und Tilgungen. Ausgangspunkt ist die Auswertung eines einzigartigen und bislang nahezu ignorierten Quellenbestandes, des Privatarchivs Konrads von Weinsberg († 1448), des »wichtigsten königlichen Finanzministers« (P. Moraw) unter Sigismund von Luxemburg, und die daran anknüpfende, breit angelegte und methodisch strukturgeschichtlich unternommene Analyse des gesamten Finanzhaushaltes der römisch-deutschen Könige im 15. Jahrhundert.

Obwohl der Versuch, die Reichsfinanzen analytisch zu bewältigen, bereits früher mit approximativen Annäherungen unternommen wurde, stellt die Herangehensweise in der zu besprechenden Studie einen Quantensprung der Auswertung dar und leistet dadurch Grundlagenarbeit. Auf der Basis der Registereinträge aus dem Archiv Konrads von Weinsberg wurde eine Datenbank erstellt, die die Ausgaben und Einnahmen des königlichen Haushalts verzeichnet. Dieser Grundstock wurde kontextualisiert mit den bislang unedierten (aber weitestgehend ausgewerteten) Reichsregistraturbüchern (RR) der römisch-deutschen Könige, die im GLA Karlsruhe sowie dem HHStA Wien aufbewahrt werden, sowie den als XML-Format nutzbaren Daten der »Regesta Imperii« (S. 31f.).

In drei Teilen behandelt der Verfasser den Umgang mit Krediten, erstens in einem allgemeinen Überblick über den Kreditbedarf der Herrscher im 15. Jahrhundert (S. 34–86), zweitens in Bezug auf die Formen und Praktiken bei der Kreditaufnahme (S. 87–358) und drittens bezüglich der Kredittilgung (S. 359–520). In Teil 1 vermittelt Kluge zunächst nach eingehender Analyse der bisweilen stark nationalistisch und positivistisch geprägten Forschung zur Reichsgeschichte ein neues und kulturgeschichtlich ausgerichtetes Verständnis über Handlungsspielräume und Alternativlosigkeiten des Reichsoberhaupts. Dabei summiert er die bisherigen Studien im Hinblick auf das Problem des enorm gesteigerten Finanzvolumens für das Aufgabenspektrum der Reichsgewalt sowie die neuen Dimensionen der Kriegskosten und belegt schlüssig die Alternativlosigkeit der Kreditfinanzierung des königlichen Haushalts, den er als Kammer erst einmal funktional und institutionell definieren und konturieren musste.

In Teil 2 werden systematisch Strukturen der Kreditaufnahme der römisch-deutschen Herrscher untersucht. Dabei stellt Kluge auf Basis der Datenbank zunächst die kleineren und größeren Formen der Kreditaufnahme im Rahmen der Hofversorgung und der Versorgung auf Reisen dar. Steter Ortswechsel ermöglichte die kontinuierliche Ausweitung des Kreditrahmens, etwa bei faszinierten und unwissenden Bürgern, aber auch in erheblichem Maße bei Adligen, die zu »Mit-Unternehmern« (Fouquet) wurden und stets durch Versprechungen, Partizipation, Pfändern etc. von der Kreditwürdigkeit überzeugt werden mussten. Kluge kann herausstellen, dass selbst noch Kaiser Maximilian persönlich an Kreditverhandlungen teilnahm und dass die »Glaubwürdigkeit« zur Finanzierung des Staates an die Person des persönlich bürgenden Herrschers geknüpft war.

Teil 3 widmet sich der Kredittilgung. Hierbei dekliniert Kluge eng am Quellenmaterial die reiche Palette an Möglichkeiten des Herrschers bzw. der Kanzlei durch, auf Forderungen einzugehen – oder eben dies zu unterlassen. Dies reicht von Umschuldung über Verpachtung und Verpfändung bis hin zum Vertrösten und Schuldigbleiben im Todesfalle. Bei der Umschuldung war es etwa möglich, Kredit nicht nur als Geldkredit, sondern auch als Sach- und Dienstleistungskredit anzunehmen. Bei der Analyse des Mittels der Verpachtung geht Kluge den Bereichen Kanzlei, Münzstätten oder auch der Judensteuer mit statistischer Auswertung nach und kann belegen, wie aus den unbeglichenen Forderungen des Herrschers Kreditketten und soziale Verbindlichkeiten entstanden, die als Kohäsionsfaktor gedeutet werden können.

Kluge hat mit seiner 562-seitigen und stets stringent formulierten Studie nicht nur die höchst inhomogene und mehr als 160 Jahre alte Forschungsgeschichte durchgearbeitet und aufbereitet, sondern darauf aufbauend einen neuen Weg in die qualitative und quantitative Auswertung gezeigt. Ein besonderer Wert stellt die finanzökonomisch und kulturgeschichtlich fundierte Auswertung des unedierten Weinsberg-Archivs und der Reichsregistratur dar, die durch reichliche Zitate unmittelbaren Eindruck der königlichen Finanzverwaltung ermöglicht. Bisweilen weicht er dabei vom starren Raster, das eine reine Strukturgeschichte vorgeben würde, ab, um Einzelbeispielen, Sonderentwicklungen oder erklärungsbedürftigen Sachverhalten nachzugehen, und wählt hierzu auch illustrativ sprechende Überschriften. Ein Hang zu neudeutschen betriebswirtschaftlichen Fachtermini (return on investment) etc. ist nicht zu verkennen und dient zuweilen als modern gedachte Problemhinführung. Insgesamt mag auch als methodisch beschränkend gesehen werden, dass der sehr belastbare Kern des Weinsberg-Archivs konzentrisch um Quellen und Quellengattungen bis zu einem diffusen Ende im 15./16. Jahrhundert erweitert wird. Es wäre indes ein enormer Gewinn für die Forschung, wenn die der Arbeit zugrunde liegende Datenbank – auf welcher Plattform auch immer – öffentlich gemacht und damit dem Digitalisierungsprozess nicht nur Rechnung getragen, sondern auch Nutzen aus ihm gezogen würde. Im Printmedium wäre ein Teilen der enormen Arbeit an Originalquellen ohnehin unmöglich.

Kluge legt eine für die Forschung grundlegend neue Bewertung der spätmittelalterlichen königlichen Finanzen vor. Er weicht damit von der reichsgeschichtlichen Erzähltradition von den starken Kaisern der Ottonen- und Salierzeit und den schwachen und durch Schulden getriebenen Herrschern im Spätmittelalter ab. Kluge kann zeigen, dass Kreditpraxis im 15. Jahrhundert ein essenzieller Bestandteil von Herrschaftspraxis war. Schuldenmachen und Schuldentilgen erwiesen sich bei wachsendem Finanzvolumen als existenznotwendige Regierungspraktiken, die fest im Herrschaftsdenken integriert waren. Der Regent legte persönlich Rechensteine, war aktiv an den Geldgeschäften beteiligt, insbesondere wenn es um wichtige Kreditgeber ging. Dieses Standardwerk wird künftig in der deutschen und europäischen Finanzgeschichte des Mittelalters nicht zu umgehen sein.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gerald Schwedler, Rezension von/compte rendu de: Mathias Kluge, Verschuldete Könige. Geld, Politik und die Kammer des Reiches im 15. Jahrhundert, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2021, 562 S. (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, 77), ISBN 978-3-447-11569-8, EUR 90,00., in: Francia-Recensio 2022/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89155