Der vorliegende Band ist aus einer theologischen thèse der Université de Lorraine hervorgegangen. Im Titel werden Erwartungen geweckt, die rasch der Ernüchterung weichen: Keineswegs geht es um neue Erkenntnisse zu Meister Eckhart und »den« Beginen, denen er in Erfurt, Straßburg und Köln hätte begegnen können. Vielmehr werden einmal mehr die drei Mystikerinnen Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete behandelt, die bereits 1977 von Kurt Ruh zu Vertreterinnen einer so genannten »Beginenmystik« erkoren wurden. Keine von ihnen dürfte dem Meister je begegnet sein, und ob sie überhaupt Gelegenheit hatten, seine Lehren und Schriften kennenzulernen, wird nicht thematisiert.

Inzwischen wurde mit Recht in Frage gestellt, ob die drei Frauen überhaupt Beginen waren. Marguerite Porete wird von Zeitgenossen als solche bezeichnet, aber ob sie sich selbst mit dieser Lebensweise identifizierte, ist nicht bekannt. Mechthild und Hadewijch wird ein Leben als vermeintliche Beginen von der Forschung zugeschrieben. Doch die Autorin geht über solche Bedenken hinweg, da sie in den Werken der drei Frauen »des traits spécifiquement béginaux« entdeckt haben will. Diese »beginalen Züge« bestünden im »sentiment de marginalité, sentiment d’instabilité, vive critique des ordres religieux ou bien encore sentiment d’incompréhension, entre autres« (S. 9f.). Wo und wann haben denn andere Beginen nachweislich solche Gefühle geäußert? Nach Kenntnis der Rezensentin nirgends und zu keiner Zeit! Auch die Behauptung, dass Beginen »fréquemment affectées de phénomènes extatiques« (S. 11) gewesen seien, geht auf Äußerungen einiger Hagiografen zurück und hat mit der religiösen Lebenspraxis wohl nur wenig zu tun; Penelope Galloway warnte bereits vor dergleichen Vorstellungen1. Die Imagination, dass Beginen in mitteleuropäischen Städten schwankten zwischen Zuständen der ekstatischen Verzückung und betrübter Daseinsbetrachtung ihrer Randständigkeit, entbehrt jeder historischen Grundlage. Im Gegensatz dazu hat zumal die deutschsprachige Beginenforschung der letzten Jahre die feste Verankerung dieser Frauen in ihren urbanen Gesellschaften und ihre guten Beziehungen zu Orden und geistlichen Institutionen herausgearbeitet. Doch von diesen Forschungen nahm die Autorin nach Ausweis ihrer – vorsichtig ausgedrückt – eklektischen Bibliografie keine Notiz; dort (S. 157f.) finden sich mit Ausnahme des Buches von Tanya Stabler über die Beginen von Paris und Walter Simons’ wichtiger Studie zu den Beginenhöfen nur ältere Titel (vgl. aber Anm. 511 mit einem neueren Sammelband), von denen etliche für die Thematik wohl kaum einschlägig sind (z. B. die Dissertationen von Eva Gertrud Neumann und Martina Spiess über die Beginen am Mittelrhein und in Frankfurt am Main). Vergebens sucht man indes die Aufsätze von Dietmar Mieth über Meister Eckharts »Frauenpredigten«.

Die Irritation des Lesers wird nicht gemildert durch die innere Zusammenhanglosigkeit der drei Kapitel des Hauptteils, die je einer Mystikerin gewidmet sind. Die Kapitel beginnen mit Beschreibungen der Beginengemeinschaften in den jeweiligen Orten und deren mögliche Betreuung durch Angehörige des Dominikanerordens. Nun ist unbekannt, ob die drei Frauen einem lokalen Konvent überhaupt angehört haben, und auch trotz suggestiver Überschriften wie »Marguerite Porete et le béguinage de Valenciennes« (S. 39) wird keineswegs nachgewiesen, dass dieser Beginenhof die »demeure probable« (S. 19) der Porete war – deren ausgeprägte Individualität spricht eher dagegen, und zu keinem Zeitpunkt ihres Inquisitionsprozesses ist von den Beginen in Valenciennes die Rede. Und was haben die lokalen Dominikaner, ob sie nun Beginen geistlich betreuten oder auch nicht, mit der Themenstellung zu tun? Die Aktivitäten Meister Eckharts hinsichtlich der Beginenseelsorge sind nun einmal nicht dokumentiert. Diese Abschnitte über die lokalen Beginenszenen stehen unverbunden neben den textimmanenten Vergleichen von Schriften der drei Frauen mit den Predigten Eckharts.

Was den theologischen Ertrag dieser Studie betrifft, so äußert sich die Autorin selbst zurückhaltend. Sie hebt »certains parallèles entre la pensée d’Eckhart et celle de Porete« (S. 77) hervor und stellt im Schlusswort heraus, dass Nonnenmystik, Beginenmystik und die Mystik Meister Eckharts nicht thematisch getrennt werden sollten; vielmehr gebe es zahlreiche Berührungspunkte, ohne dass direkte Abhängigkeiten ausgemacht werden können: »ces thèmes communs … étaient en quelque sorte dans l’air du temps« (S. 143) und gehen nicht zuletzt auf Schriften der Kirchenväter, vor allem des Augustinus zurück. Alles in allem hinterlässt die Lektüre den Eindruck, dass hier nichts nennenswert Neues zutage gefördert wurde.

1 Penelope Galloway, Neither miraculous nor astounding. The devotional practice of beguine communities in French Flanders, in: Juliette Dor (Hg.), New Trends in Feminine Spirituality. The Holy Women of Liege and their Impact, Turnhout 1999 (Medieval Women, 2).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Letha Böhringer, Rezension von/compte rendu de: Riwanon Rimlinger, Maître Eckhart et les Béguines, Paris (Beauchesne) 2021, 161 p. (Mystiques chrétiens d’Orient et d’Occident, 7), ISBN 978-2-7010-2331-1, EUR 14,00., in: Francia-Recensio 2022/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89165