Schon 1996 veröffentlichten Klaus Herbers und Robert Plötz einen Auszug aus dem »Itinerarium« Hieronymus Münzers, die erste deutschsprachige Übersetzung des Werkes überhaupt 1. Dass es sich dabei um eine Textsammlung verschiedener Pilgerschaften nach Santiago de Compostela handelt, ist kein Zufall. Auch zuvor war der Bericht des reisenden Mediziners und Humanisten, der 1508 in seiner Wahlheimat Nürnberg verstarb, in der Forschung vor allem für seine Abschnitte über die Iberische Halbinsel bekannt. Mehr als zwei Jahrzehnte später legt Klaus Herbers nun nicht nur eine vollständige Übersetzung 2, sondern auch die lang ersehnte kritische Edition des »Itinerariums« vor. Zwar existierten vorher bereits einige (Teil-)Editionen des Werkes wie etwa die Arbeit Ludwig Pfandls 3, welche die Forschung der letzten 100 Jahre prägte und auf die noch Folker Reichert 2009 für seine Quellensammlung zum Reisen im Spätmittelalter zurückgriff 4. Aber kein Projekt hatte bislang die Ambitionen, das ganze »Itinerarium« (sowie einen Teil des mitüberlieferten Materials) abzudecken. Der Mehrwert liegt auf der Hand, geht der Text Münzers doch weit über eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela hinaus und bietet in seiner Breite vielfältige Anknüpfungspunkte für kulturgeschichtliche Fragestellungen. Ein solches Editionsvorhaben erfordert ein großes Maß an Ausdauer und Beharrlichkeit, wie es Herbers und sein DFG-Projekt »Gelehrtes Wissen – Reise – Aufzeichnungen. Hieronymus Münzer in der Nürnberger Wissensgesellschaft des 15. Jahrhunderts« eindrucksvoll bewiesen haben. Ihre Neuedition des spätmittelalterlichen Textes ist äußerst vielversprechend.
Der Edition sind ein dreigeteilter einleitender Kommentar mit Anhang sowie ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis vorangestellt, die beide zusammen etwas mehr als ein Drittel des Bandes ausmachen. Mit Randall Herz’ Studien über den Autor, dessen Bibliothek und Verbindungen in Humanistenkreisen beruht der erste Abschnitt zum Teil auf Vorarbeiten, die als Ergebnis des erwähnten DFG-Projektes bereits publiziert worden sind 5. Es hätte schwierig werden können, die vielfältigen Kontakte Münzers zu anderen Humanisten und Patriziern in Nürnberg und darüber hinaus darzustellen, ohne sich in Details zu verlieren. Dem ist aber keinesfalls so. Der Text ist gut strukturiert, konsistent und bewältigt durch sinnvoll gesetzte Fußnoten die Fülle der Namen.
Ein zweiter Abschnitt der Einleitung widmet sich den Reisen Münzers und versucht vor allem die große Westeuropareise 1494–1495, die die Grundlage für das »Itinerarium« darstellt, zu erschließen. Mit Erörterungen, Grafiken und Tabellen wird dabei eine Übersicht über Personen der Reise, Begleitschreiben, Reisestrecke sowie Aufenthaltsorte und Verweildauer gegeben. Die Leserinnen und Leser können mit diesen Informationen die verschiedenen Etappen des Reiseverlaufs in den anschließenden kurzen Kapiteln gut nachverfolgen. Hervorzuheben sind insbesondere die Kapitel zu den Etappen, die die verschiedenen Stationen der Reise präzise zu kontextualisieren wissen.
Der letzte Abschnitt der Einleitung fokussiert das »Itinerarium« selbst und basiert wiederum auf Vorarbeiten des DFG-Projektes. Der Blick richtet sich zunächst auf Komposition und Eigenheiten des Textes sowie auf dessen Abfassung, danach auf die Vorlagen, insbesondere den »Liber Sancti Jacobi«. Ebenso viel Raum nimmt die Untersuchung der Handschrift München BSB Clm 431 ein, ist dieser Codex Hartmann Schedels doch der einzige handschriftliche Textzeuge des »Itinerariums«, der heute noch erhalten ist. Die Analyse umfasst die Überlieferungsgeschichte, eine Handschriftenbeschreibung und eine Untersuchung der Mitüberlieferung; zudem sind seitengroße Abbildungen ausgewählter Zeichnungen aus dem Codex eingebunden. Da, wie völlig richtig angeführt wird, die Handschrift Clm 431 in der Digitalen Bibliothek des Münchener Digitalisierungszentrums zu betrachten ist, ist es kein Manko, dass die mitgelieferten Abbildungen nur einen Teil der im Kommentar aufgezählten grafischen Elemente abdecken. Ganz im Gegenteil muss es eher als ein Vorzug gelten, dass »Zeichnungen und Verzierungen« (S. CXX) nicht übergangen, sondern wie etwa die Zeichnung von Zamora mit Sehenswürdigkeiten, Himmelsrichtungen und dem Fluss Duero (fol. 183v) auch in die Edition integriert werden (S. 221, Anm. k–k). Für künftige Studien wäre lediglich anzuregen, das Verhältnis von Text und Bild intensiver zu betrachten, um damit eine neue Ebene der Untersuchung zu eröffnen. Das kurze Kapitel zu bisherigen Editionen/Übersetzungen geht zuletzt zur Druckeinrichtung der vorliegenden Edition über. Im Anhang folgt noch ein Beitrag von Tina B. Orth-Müller, die die Sprache des »Itinerariums« prägnant untersucht.
Die Edition ist sinnvoll gegliedert und mit einem umfassenden Anmerkungsapparat versehen. Malte Pritzels Einschätzung 6, dass die Edition nicht nur die Forschung stimuliert, sondern auch zum »neugierigen Lesen« anregt, ist vollkommen zuzustimmen. Das Arbeiten mit der Edition wird durch die Entscheidung erleichtert, im anschließenden Register neben Personen, Orten und ausgewählten Begriffen auch Stellen aufzuführen, bei denen Münzer nachweislich auf Vorlagen und andere Autoren zurückgriff. Abschließend ist zu konstatieren, dass die neu geschaffene Reihe »Reiseberichte des Mittelalters« der MGH einen würdigen Auftaktband erhalten hat. Es bleibt abzuwarten, ob auch die nachfolgenden Editionsprojekte diesen hohen Maßstab erfüllen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Phillip Landgrebe, Rezension von/compte rendu de: Klaus Herbers (Hg.), Hieronymus Münzer, Itinerarium, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2020, CCCVIII‑572 S., 8 Abb., 3 Kt., 5 Tab. (Monumenta Germaniae Historica. Reiseberichte des Mittelalters, 1), ISBN 978-3-447-10972-7, EUR 148,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90455