Der vorliegende Band beschäftigt sich an verschiedenen Fallbeispielen mit fürstlichen Siegeln, aber auch fürstlicher Siegelführung, vor allem in Frankreich zwischen dem ausgehenden 11. und dem frühen 14. Jahrhundert. Immerhin vier der acht Abschnitte nehmen weibliche Akteurinnen in den Blick: die Schwestern Konstanze, Margarete, Mathea und Wilhelmina aus dem Haus Moncade (Adeline Vaysset, S. 115–150), Alix von Brabant als Gräfin der Auvergne (Adeline Vaysset, S. 153–200), die französische Königin Maria von Brabant und ihre Töchter Königin Margarete von England und Herzogin Blanche von Österreich (Marine Perez, S. 229–256) sowie Mathilde von Artois (Jean-Luc Chassel, S. 257–289). Es geht zudem um die Einbettung der Siegel in weitere Praktiken und Medien der Herrschaftsrepräsentation am Beispiel der Grafen von Albon und Vienne (Yoann Solirenne, S. 63–85) sowie Raymunds VII. von Toulouse und seiner Beziehung zur Stadt Marseille als deren Herr (Laurent Macé, S. 87–113) und um das Vorbild kapetingischer Siegel am Beispiel Graf Humberts I. von Albon und Vienne (Yoann Solirenne). Zudem wird eine zweifach besiegelte Urkunde von 1098 auf die genauen Umstände der Besiegelung durch den Grafen Henri de Monte Sant’Angelo im normannischen Süditalien untersucht (Guilhem Dorandeu-Bureu, S. 18–62). Alle Beiträge werden durch Abbildungen von meist recht guter Qualität illustriert.

Eine kurze Einleitung durch Laurent Macé geht den Beiträgen voran: Diese gehen zurück auf eine Tagung in Toulouse 2016, die vor dem Hintergrund der seit etwa 2005 zu beobachtenden neuen Beliebtheit der Siegelkunde jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (insbesondere aus Toulouse) Gelegenheit geben sollte, in Kontakt mit anerkannten Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Siegelkunde zu treten und diesen ihre eigenen Forschungsergebnisse vorzustellen. Inhaltliches Ziel von Tagung und Band war und ist es, vor allem an die jüngeren Forschungen zu französischen Fürstensiegeln als ontologischem Ausdruck ihrer Macht anzuknüpfen und die entsprechenden Fragen insbesondere für die südlicheren Teile Frankreichs vor dem Kontext breiterer kulturgeschichtlicher Ansätze wie den Visual Studies zu untersuchen. Dabei geht es sowohl um die Lesbarkeit der Bilder, die Verbindung mit den Umschriften, die materielle Verbundenheit der Siegelabdrücke mit den jeweiligen Urkunden auch in Verbindung mit deren Layout. All dies sind Aspekte, die letztlich ein Ensemble darstellen, welches man betrachten muss, um sich Siegeln als sozialem Phänomen nähern zu können. Greift Macé hier vor allem Anregungen von Jean-Claude Schmitt einer imaginaire sociale auf, so könnte man ebenfalls noch auf Rüdiger Schmitt verweisen, der einmal die Frage gestellt hat, wie denn überhaupt Vertrauen in Siegel und Besiegelung erzeugt wurde, und dabei vor allem mit Komplexitätsreduktion argumentiert hat1. Letztlich handelt es sich dabei um ein Grundproblem des Siegelwesens und seiner Analyse, das sich auch durch den vorliegenden Band zieht.

Deutlich wird, dass von einer großen Vielzahl an regionalen Erscheinungsformen auszugehen ist, die auf die jeweils konkreten Usancen vor Ort einwirken und in bestimmten Kontexten auch zu individuell angepassten Lösungen führen können, wie etwa bei der Besiegelung mit Blei und Wachs durch den Grafen Henri im Gargano in Verbindung mit einer grafisch spezifisch ausgestalteten Urkunde. Zugleich zeigen die Beiträge die Vielfalt der Zeichen, die in diesen Kontexten durch die Siegelführerinnen und Siegelführer genutzt werden können; wobei sich auch hier zeigt, wie immer wieder unterschiedlichste Traditionen in einem Bildmotiv gebündelt werden und daraus eine neue Aussage geschaffen werden kann, wie in der Stadtabbreviatur auf dem Rücksiegel Herzog Hugos III. von Burgund und der Grafen von Albon oder Raymunds VII. als Grafen von Toulouse und Herrn von Marseille. Dies gilt aber auch für das Motiv des berittenen Kriegers.

Immer wieder überlagern sich mehrere, z. B. kaiserlich-»deutsche«, königlich-französische, anglo-normannische, lokale, theologische oder auch andere Bildtraditionen und -deutungen, deren endgültiger Zuschnitt auch vom Siegelführer abhängt, etwa dem Grafen, der adeligen Frau oder der Stadt. Selbst die Siegelform ermöglicht Verweise. Erweitert werden die Verweismöglichkeiten schließlich durch die Integration heraldischer Zeichen und Wappen ins Siegelbild. Insbesondere bei weltlichen Frauen können sich Traditionslinien der erheirateten wie auch der Herkunftsfamilie, sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits, verschränken, aber auch ausschließen. Dabei ist zu beobachten, dass keine spezifisch weiblichen Identitäten konstruiert werden, wenngleich die Bildsprache auf weibliche Handlungsspielräume verweist, sondern dass Frauensiegel Bestandteil hochadeliger Repräsentationsstrategien sind, zu denen sie freilich einen spezifischen Beitrag leisten.

Nicht nur bei den Frauensiegeln zeigt sich die enorme Bedeutung der verwandtschaftlichen Bezüge bei der Konstitution der Siegelbilder. Anspielungen auf die damit verbundenen sozialen und politischen Beziehungen und Netzwerke der einzelnen Siegelführer verorten diese zugleich diachron wie synchron in der Adelswelt und damit in einer der wesentlichen Gruppen, die für die Anerkennung und Durchsetzung der besiegelten Rechtsinhalte mitverantwortlich waren. Das Nachspüren dieser vielfältigen Einflüsse zieht sich als weiterer roter Faden durch die Beiträge, die dadurch den genauen Zuschnitt der Siegelbildaussagen auf spezifische Kontexte aufdecken und somit Aufschluss über die Konstruktionen von Identität geben. Zu bedauern, gerade im Rahmen einer Besprechung in »Francia-Recensio«, ist lediglich, dass die Beiträge fast ausschließlich französisch- und englischsprachige Forschung zur Kenntnis nehmen, aber kaum deutschsprachige Arbeiten.

Die einzelnen, detailreichen und eng an den Siegeln bleibenden Analysen sind jeweils überzeugend. Solche Ansätze zusammenfassend abstrahierend, könnte man auch danach fragen, an welche Zielgruppen diese Siegelbilder primär gerichtet waren und wie das Wissen für diese Bildanalysen produziert und weitergegeben wurde. Dies wäre ein wichtiger Baustein für unser Verständnis der Vertrauenserzeugung in Siegel als Beglaubigungsmittel – deren repräsentative und politische Funktion als Spiegel der Macht hat dieser Band einmal mehr eindrucksvoll verdeutlicht.

1 Rüdiger Brandt, Schwachstellen und Imageprobleme. Siegel zwischen Ideal und Wirklichkeit, in: Gabriela Signori (Hg.), Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, Darmstadt 2007, S. 21–28.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andrea Stieldorf, Rezension von/compte rendu de: Laurent Macé (dir.), Jeux de miroir. Le sceau princier au Moyen Âge (XIe–XIVe siècle), Toulouse (Presses universitaires du Midi) 2021, 295 p., ill. en coul. (Tempus – Médiéval), ISBN 978-2-8107-0738-6, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90462