Die Geschichte der Heruler wurde von der Forschung zur Völkerwanderungszeit nur wenig untersucht, beinahe schon stiefmütterlich behandelt. Nur einige wenige Publikationen über diese spätantike gens sind in den letzten Jahren erschienen1, weshalb sich Jan Prostko-Prostyński diesem Thema in seinem Buch widmet. Zu Beginn des Buches gibt der Historiker einen Überblick über die kurze Forschungsgeschichte der Heruler seit dem 19. Jahrhundert und befasst sich u. a. mit der Frage nach der Verknüpfung dieser gens mit archäologischem Material, was, wie er betont, bisher noch nicht geschah. Der Autor verweist zudem kritisch auf die Bemühungen polnischer Archäologinnen und Archäologen, wobei sich seine Kritik nicht auf die Diskussion bezüglich ethnischer Interpretation in der Archäologie bezieht, sondern darauf, dass der von Prokop überlieferte Zug der Heruler nach Skandinavien nicht durch das heutige Polen verlief.
Das erste Kapitel (S. 19–27) beschäftigt sich mit der Herkunftsdiskussion der Heruler aus Skandinavien, die sich auf die Überlieferung bei Prokop und Jordanes stützt und von der Forschung entweder als mythisch, fiktiv oder glaubhaft angesehen wird. Der Autor argumentiert, dass Jordanes Prokop nicht kannte, somit Jordanes als authentische Quelle für eine skandinavische Herkunft der Heruler zu behandeln sei, selbst wenn Prokops Herulerexkurs zu Thule fiktive Elemente beinhalte. Während die neuere Forschung mehrheitlich die Herkunftsfrage bewusst offenlässt oder eine Herkunft aus Skandinavien ablehnt, betont Prostko-Prostyński »The sources leave no doubt that the Herules came from Scandinavia« (S. 27). Eine Position, die auf Kritik stoßen wird. Dieser Standpunkt wird auch im nächsten Kapitel »The Herules on the Azov Sea« (S. 29–41) weiter vertreten, in dem der Autor Spekulationen (z. T. erneut aufgrund archäologischer Befunde) über Wanderwege zwischen der Ostsee und dem Asowschen Meer anstellt, an dem die Heruler im 3. Jahrhundert das erste Mal in Kontakt mit dem Römischen Reich traten. Die Gleichsetzung der bei Dexippos überlieferten Eluri und den Herulern sieht Prostko-Prostyński als fehlerhaft an, weshalb er die Raubzüge zwischen 267 und 269 nicht nur auf herulische, sondern auch auf boranische und gotische Plünderer zurückführt.
Das dritte Kapitel (S. 43–55) widmet sich der alten Fragen nach den sog. westlichen Herulern, bei denen es sich um Plünderer und Soldaten römischer Militäreinheiten handelte, die aber entgegen der Meinung von Ludwig Schmidt kein eigenes regnum im Westreich errichteten. Eine jütländische Gruppe von Herulern will Prostko-Prostyński entgegen dem aktuellen Forschungstand nicht ausschließen. Das vierte Kapitel (S. 57–61) mit dem vielversprechenden Titel »The Herules in the Roman army in Italy before 476« behandelt auf wenigen Seiten die bekannten Grabinschriften der Heruli seniores aus Concordia in Venetien.
Das fünfte Kapitel (S. 63–86) »From Attila to the defeat of King Rodulf« setzt sich mit der herulischen Geschichte zwischen der Schlacht am Nedao 454 nach dem Tod Attilas auseinander sowie mit der Zerschlagung des Herulerreiches in Pannonien durch die Langobarden. Auch mit dem Thule-Exkurs Prokops befasst sich dieses Kapitel, wobei ein Schwerpunkt auf der Rekonstruktion der Wanderroute der Heruler liegt. Den Ausführungen liegt wiederum seine Prämisse zugrunde, dass deren skandinavische Herkunft unbestritten sei.
Im folgenden Kapitel »The Herules in the Byzantine Empire« (S. 63–97) werden die Ansiedlung und Indienstnahme herulischer Verbände in oströmischen Diensten unter Anastasios und Justinian behandelt. Vor dem Hintergrund des gepidisch-langobardischen Krieges werden die Gesandtschaften geschildert, die nach dem Aussterben der stirps regia nach Thule und Konstantinopel geschickt wurden, um einen neuen Anführer zu finden. Die von Prokop überlieferten Einsätze herulischer Einheiten in Justinians Kriegen in Mesopotamien, Nordafrika und Italien werden in den Kapiteln »Herules in Justinian’s army: Asian battle-fronts« (S. 99–108) und »The Herules in Roman campaigns in North Africa and Italy« (S. 109–127) behandelt. Die vierhundert Heruler unter ihrem Anführer Pharas nehmen neben den Hunnen als foederati eine wichtige Position in der Erzählung Prokops während des Vandalenkriegs ein. Zentral ist die Episode zwischen Pharas und dem auf dem Berg Papua belagerten Gelimer. Ein kurzes Kapitel (S. 129–131) handelt von Sinduald, dem magister militum und letzten bekannten rex der Heruler, der von Narses geschlagen und unter Justin II. hingerichtet wurde.
Prostko-Prostyński widmet den religiösen Vorstellungen der Heruler ein eigenes Kapitel, auch wenn er gleich zu Beginn zugibt »not much can be said, however, about their primary pre-Christian religions« (S. 133). Wenige Bemerkungen bei Ennodius und Prokop erwähnen polytheistische Vorstellungen und Menschenopfer, auf die der Autor jedoch nicht weiter eingeht. Der Übertritt zum homöischen und orthodoxen Christentum einzelner Gruppen wird bei Prokop (Vandalenkrieg) und Johannes Malalas (Taufe des rex Grepes) erwähnt. Das elfte Kapitel (S. 139–146) beschäftigt sich mit den bekannten erilaR-Inschriften in Skandinavien. Prostko-Prostyński kommt dabei zum Schluss, diese hätten »nothing in common with the Herules« (S. 146), und zeigt wieder einmal auf, wie problematisch eine Verknüpfung bestimmter gentes mit dem skandinavischen Befund ist. Zuletzt widmet er sich dem »Nachleben« der Heruler (S. 147–156), gemeint ist die neuzeitliche Rezeptionsgeschichte von Ortsnamenforschung, über Adam von Bremen und Wolfgang Lazius bis in das 19. Jahrhundert. Ziel des Autors ist »to extract all the data genuinely useful for the reconstruction of the historical past of the tribe« (S. 16). Das Buch endet mit einer »Prosopographia Herulica« (S. 157–184), die eine nützliche Zusammenstellung namentlich bekannter herulischer Personen und der jeweiligen römischen Quellenstellen bietet.
Prostko-Prostyński möchte eine kritische Studie zur Geschichte der Heruler vorlegen. Dies gelingt ihm zum Teil. Dabei geht er mit Publikationen der vergangenen Jahre auf Konfrontation, nimmt zuweilen aber im Zweifelsfall ältere Positionen ein. Im Hinblick auf die Archäologie und Runenforschung kommt er zum Schluss, dass der Versuch, beides mit den Herulern in Verbindung zu bringen, auf unzureichend kritische Arbeiten zurückgehe. Die kurze conclusion am Ende des Buches (S. 185–187) fasst noch einmal die Interpretationen und Ansichten des Autors zusammen, mit denen er auf harte Konfrontation mit den Publikationen der vergangenen Jahre geht. Aussagen wie »The terminology of textual evidence, which consistently speaks of ›gens‹ or ›ethnos‹ Herulorum, leaves no doubt that they were a ›people‹, a nation, and not some constellation of multiethnic warrior bands« (S. 186) zeigen entweder eine mangelnde oder eine ablehnende Auseinandersetzung mit den Forschungen der »Wiener Schule« um Walter Pohl zu Ethnizität und Identität2, auf die zuweilen die fortwährende Rückbesinnung auf ältere Forschungsmeinungen des 20. Jahrhunderts, wie Caspar Zeus und Ludwig Schmidt, zurückzuführen ist. Kritische Ansätze, die eine skandinavische Herkunft der Heruler bei Prokop und Jordanes als topische und politisch motivierte Beschreibungen erklären, werden pauschal als »hypercritical and ungrounded« (S. 186) abgetan.
Gleichwohl bietet Jan Prostko-Prostyński einen gelungenen und qualitativen Überblick über die Geschichte der Heruler, die teilweise in scharfem Kontrast zu ähnlichen Werken der vergangenen Jahre steht und gewiss auf Reaktionen stoßen wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Philipp Margreiter, Rezension von/compte rendu de: Jan Prostko-Prostyński, A History of the Herules, Poznan (Adam Mickiewicz University Press) 2021, 222 p. (Series Historia, 244), ISBN 978-83-232-3901-7, USD 45,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90471