Vorab sei festgestellt, dass der vorliegende Band eine beträchtliche Lücke in der modernen Paracelsusforschung schließt. Nach wie vor besteht eine erhebliche Unsicherheit bezüglich der Zuschreibung vieler unter dem Verfassernamen »Paracelsus« bekannten Schriften und der hier besprochene Band bietet eine systematisch bearbeitete Zusammenstellung dieser Werke. Daneben enthält das Buch eine Reihe von Ausätzen anerkannter Experten, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Paracelsus und dem kulturellen Kontext seines Wirkens auseinandersetzen.
Didier Kahn, einer der beiden Herausgeber, ist Senior Researcher am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und legte zahlreiche Publikationen insbesondere zur Geschichte der Alchemie und der frühneuzeitlichen Chemie vor. Bereits in seiner Dissertation »Alchimie et Paracelsisme en France à la fin de la Renaissance (1567–1625)« widmete er sich 2007 dem Studium von Paracelsus. Hiro Hirai arbeitet als Research Associate an der New Yorker Columbia University. Er deckt mit seinen Arbeiten weniger das Themenfeld der Alchemie ab, sondern setzt sich vorranging mit frühmoderner Kosmologie und Naturphilosophie insgesamt auseinander. Als Beispiel sei zitiert »Jaques Gaffarel between Magic and Science« (2014).
Der Aufsatzteil des Buches enthält sieben Arbeiten, die kurz vorgestellt werden sollen. Den Anfang macht Dane T. Daniel, der in seinem Beitrag »The Authenticity of Paracelsus’ Astronomia Magna« besonders den theologischen Aspekten im Werk und im Denken von Paracelsus nachspürt. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass sowohl die »Astronomia Magna« von 1537/1538 wie auch der »Brief an die Wittenberger Theologen« aus dem Jahr 1525 als authentisch anzusehen seien. Er betont ferner die Notwendigkeit der Entwicklung diagnostischer Kriterien zur Beurteilung des paracelsischen Œuvres und verweist damit schon auf den zweiten Teil des Buches, der genau dies leistet.
Didier Kahn untersucht das pseudo-paracelsische Werk »Philosophia ad Athenienses« von 1564 und kann zeigen, dass darin originär paracelsische Gedanken mit Vorstellungen kombiniert werden, die bei Paracelsus nicht aufscheinen. Kahn weist auf mögliche Inspirationsquellen in den echten Paracelsica hin, die der unbekannte Autor benutzt haben dürfte, und kommt zu der Annahme, dass er mit seinem Werk beabsichtigte, eine stärker (neo)platonistische Kosmologie zu propagieren als in den Originaltexten von Paracelsus.
Tobias Bulang nimmt sich die ebenfalls pseudo-paracelsische »Aurora Philosophorum« aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts vor: »Genealogy of Knowledge and Delegitimization of Universities: The Pseudo-Paracelsian Aurora Philosophorum«. Darin erkennt Bulang eine spezifische »Wissensgenealogie«, die vom göttlichen Ursprung des menschlichen Wissens hinabführt zu den frühmodernen Universitäten. In traditioneller Weise wird hier ein stetiger Verfall diagnostiziert. Wissen besitzt darin einen genuinen, sowohl praktischen, wie instrumentellen Aspekt. Ferner werden die Grundlagen der vom Verfasser geplanten Edition der »Aurora« erläutert.
Um das Jahr 1572 erreichte die Produktion von pseudo-Paracelsica ihren Höhepunkt, wie Hiro Hirai in seinem Beitrag »Into the Forger’s Library: The Genesis of De natura rerum in Publication History« erläutert. In diesem Jahr erschien diese wohl populärste der Paracelsus unterschobenen Schriften. Hirai stellt das Werk in den Kontext der Publikationsgeschichte aller Paracelsica. Er blickt in die Bibliothek des Fälschers und sucht nach Texten, deren sich der unbekannte Verfasser bedient haben könnte. Zugleich wird dessen Entstehung mit der des echten Textes der »Archidoxis« in den divergierenden Ausgaben von 1569 bis 1572 verglichen.
Das Hauptforschungsinteresse von Charles D. Gunnoe Jr. gilt der religiösen und politischen Geschichte des deutschen Südwestens im 16. Jahrhundert und der dortigen Paracelsus-Rezeption. Er widmet sich in seiner Studie »Paracelsus, the Plague and De Pestillitate« dem Inhalt und der Struktur dieses noch von Johannes Huser in seiner in den Jahren 1589–1591 erstellten Paracelsus-Bibliografie als echt eingestuften Werkes. Die heutige Forschung geht eher von einer pseudoparacelsischen Schrift aus, was auch Gunnoe bestätigt. Allerdings findet er so viele genuin paracelsische Inhalte und ein so tiefes Verständnis von dessen Denken, dass er die Zuschreibung Husers nachvollziehen kann. Vielleicht handelt es sich auch um eine Bearbeitung eines echten Paracelsus-Textes.
Von Adam Haslmayr (1560–1630), der im Zusammenhang mit der nur als literarische Fiktion existierenden Geheimgesellschaft der »Rosenkreuzer« eine herausgehobene Rolle spielte, stammen zwei kurze Text, mit denen sich Martin Žemla in seinem Beitrag »The Astronomia Olympi novi and the Theologia Cabbalistica: Two Pseudo-Paracelsian Works of the Philosophia Mystica« auseinandersetzt. Dieses 1618 erschienene Sammelwerk enthält auch Texte aus dem Umfeld von Valentin Weigel und konzentriert sich auf theologisch-mystische Themen. Žemla untersucht die o. g. Texte auf Bezüge sowohl zur paracelsischen Theologie wie auch zu entsprechenden Konzepten bei bekannten Paracelsisten, wie Heinrich Khunrath, Weigel und Oswald Croll.
Der diesen Teil des Buches abschließende Aufsatz stammt von Lawrence Principe und befasst sich mit den Schriften des wohl einflussreichsten aller deutschsprachigen Paracelsisten der Frühen Neuzeit: »The Development of the Basil Valentine Corpus and Biography: Pseudepigraphic Corpora and Paracelsian Ideas«. Die »eigentlichen« Schriften des Pseudonymus »Basilius Valentinus« wurden von Johann Thölde herausgegeben und höchstwahrscheinlich auch von ihm verfasst. Daneben existiert – ähnlich wie bei Paracelsus – eine Reihe weiterer Texte, die nach 1605 erschienen und von anderen, unbekannten Verfassern stammen, die sich die Bekanntheit des Namens »Basilius Valentinus« zunutze machten, um eigenen Schriften zu Ansehen (und Absatz) zu verhelfen. Principe ordnet und kommentiert dieses Konvolut von Werken, auch hinsichtlich der eventuellen Verfasser, Herausgeber und Bibliografen.
Nach dem Aufsatzteil folgt der Appendix, betitelt »A Catalogue raisonné of Pseudo-Paracelsian Writings: Texts attributed to Paracelsus und Paracelsian Writings of Doubtful Authenticity«. Dieser Katalog macht etwa zwei Drittel des gesamten Buches aus und stellt eine ausführliche und nach derzeitigem Stand der Forschung gültige Übersicht aller bekannten pseudo-Paracelsica und Schriften unsicherer Zuordnung dar. In diesem Appendix liegt der bleibende Wert des Buchs, denn dieser Katalog dürfte auf Jahrzehnte hinaus als bibliografisches Quellenwerk die Paracelsus-Forschung befördern.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claus Priesner, Rezension von/compte rendu de: Hirai (ed.), Pseudo-Paracelsus. Forgery and Early Modern Alchemy, Medicine and Natural Philosophy, Leiden (Brill Academic Publishers) 2021, 504 p., ISBN 978-90-04-50338-0, EUR 143,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90522