Bei dem zu besprechenden Werk handelt es sich um die Edition einer Denkschrift, die der Sekretär des Intendanten des Elsass in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts verfasste, um seinem Vorgesetzten einen grundsätzlichen Überblick über die Verhältnisse in der immer noch neuen französischen Provinz zu geben. Die Edition umfasst ungefähr 220 Seiten und wird um eine etwa 75-seitige Einleitung des Herausgebers Alain J. Lemaître ergänzt. Ein Personen- und ein Sachregister erschließen den Editionstext.
Der Autor der Denkschrift trug den Namen Peloux und war in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts Sekretär des elsässischen Intendanten Paul-Esprit Feydeau de Brou, nachdem er zuvor auf anderen Stellen in verschiedenen anderen Intendanzen tätig gewesen war. Peloux stützte sich bei der Abfassung seiner Denkschrift auf elsässische, französische und deutsche Rechtsliteratur, auf die internationalen Friedensverträge des 17. und 18. Jahrhunderts, auf Quellen aus dem Archiv der Intendanz und aus dem des Reichskammergerichts, sowie auf ältere Berichte über das Elsass. Zudem stand ihm das Personal der Intendanz und derer nachgeordneten Behörden zur Verfügung.
Peloux begann 1732 mit der Abfassung der vorliegenden Denkschrift, die im Elsass nicht die erste ihrer Art war. Nach der Eroberung des Elsass durch Frankreich entstanden in der Intendanzverwaltung alle paar Jahre neue Denkschriften, um den sich jeweils verändernden Zustand der neuen Provinz zu untersuchen und Hinweise zu sinnvollen rechtlichen und politischen Maßnahmen zu geben. Die Einleitung der Edition vergleicht die vorliegende Denkschrift mit ihren Vorläufern und Nachfolgern im Elsass des 17. und 18. Jahrhunderts und ordnet sie in die Tradition der französischen Provinzverwaltungen ein.
Adressaten dieser Denkschriften waren das Führungspersonal der Intendanz und die französische Verwaltung des Elsass. Insofern standen die Themenfelder Politik, Wirtschaft und Verwaltung im Fokus der Darstellung. Zentrale Fragestellungen waren eine verbesserte Durchsetzung der französischen Souveränität im Elsass, der Einfluss von Kriegen am Oberrhein auf Wirtschaft und Finanzen der Provinz, sowie die fortschreitende Französisierung desselben.
Das Elsass befand sich im Vergleich zu den meisten anderen Provinzen Frankreichs in vielerlei Hinsicht in einer Sondersituation. Die deutsche Rechtstradition im Elsass stellte die Intendanten als Vertreter des französischen Königs in der Provinz und deren Streben nach Vereinheitlichung vor besondere Herausforderungen. Deren Beibehaltung wurde durch den Westfälischen Frieden und andere internationale Verträge garantiert, die Frankreich zum Teil nicht nur unterzeichnet hatte, sondern für die es – wie im Fall des Westfälischen Friedens – sogar die Rolle einer Garantiemacht übernommen hatte. Viele Verwaltungs- und Rechtsstrukturen wurden im Elsass nach der französischen Eroberung neu aufgebaut, zum Teil auch im Widerspruch zu den bisherigen dortigen Traditionen.
Inhaltlich befasste sich Peloux in seinem Memorandum mit französisch-elsässischer Geopolitik, mit Landwirtschaft, Wirtschaft und Handel im Elsass, den königlichen Domänen und Rechten und den Staatsfinanzen. Zudem untersuchte er Gesellschaft und Bräuche, Konfessionsangelegenheiten und Juden, Adel und Reichsstädte sowie die Verteidigung.
In seiner Darstellung lassen sich vier analytische Kernbereiche und Handlungsfelder für den Intendanten und seine Verwaltung feststellen: die französische Souveränität im Elsass, wirtschaftliche Herausforderungen, die militärische Dimension der Wirtschaft und die Französisierung des Elsass. In Bezug auf die Souveränität war es für Frankreich die größte Herausforderung, die ursprünglich reichsunmittelbaren und damit deutlich selbständigen Territorien mit zuvor eigener Landeshoheit rechtlich in den französischen Staatsverband zu integrieren.
Im Bereich der Wirtschaft legte Peloux den Fokus auf die rechtliche Situation des Handels, der vor allem auf das Reich orientiert war und weniger Bezug zur französischen Wirtschaft hatte. Er untersuchte aber auch den Naturraum des Elsass unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und fragte nach den Ursachen, aufgrund welcher die Provinz weniger Manufakturen aufwies als das sonstige Frankreich. Seine insgesamt sehr treffende Analyse der wirtschaftlichen Gegebenheiten des Elsass rundete der Autor mit einer Darstellung der Währungsvielfalt in der Provinz ab, die die Intendanz gerne möglichst schnell in die französische Währung überführt gesehen hätte. Eine besondere Berücksichtigung findet das Militär und seine wirtschaftlichen Implikationen auf die Provinz durch Einquartierungen, Steuerbelastungen sowie andere Pflichten und Abgaben.
Der vierte große Teil der Denkschrift von Peloux ist der angestrebten Französisierung des Elsass gewidmet. Frankreich startete mit der Eroberung des Elsass eine einzigartige kulturelle Offensive zur Eingliederung der neuen Provinz. Diese bezog sich auf Konfession, Sprache, Sitten und Gebräuche sowie die traditionelle Orientierung der Region aufs Reich. So musste zwar aufgrund der Bestimmungen des Westfälischen Friedens der Status der Protestanten im Elsass gewahrt bleiben, Frankreich förderte aber nachhaltig den Katholizismus und engte den Protestantismus ein, wo immer es ging. Gleichzeitig wurde aber der Bischof von Straßburg vom deutschen Reichsfürsten mit landeshoheitlichen Rechten auf den Status eines französischen Bischofs ohne derartige Rechte reduziert. Die Intendanz versuchte, die traditionellen elsässischen Trachten zugunsten französischer Kleidung zurückzudrängen. Das Französische wurde als einzige Amtssprache zugelassen, was im Rechtsbereich mit der Einführung des französischen Rechts einherging.
Etwas irreführend ist der Titel des Buches. Es handelt sich zwar um eine Abhandlung über das Elsass im 18. Jahrhundert. Dass der größte Teil des Buches allerdings aus einem edierten Memorandum des 18. Jahrhunderts besteht, geht erst aus dem Inhaltsverzeichnis und der Einleitung hervor.
Die Edition bietet spannende Einblicke aus der Perspektive eines Kenners der Region und damit eine exzellente Grundlage zur vertieften Weiterbeschäftigung mit der Verwaltungs-, Wirtschafts- oder Militärgeschichte des Elsass und zahlreichen damit verbundenen Fragestellungen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Joachim Brüser, Rezension von/compte rendu de: Alain J. Lemaître, Odile Kammerer (Hg.), L’Alsace au XVIIIe siècle. L’aigle et le lys, Berlin (Erich Schmidt Verlag) 2022, 290 S. (Studien des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 27), ISBN 978-3-503-20637-7, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90524