Giulio Mazzarini, besser bekannt als Jules Mazarin, stand immer im Schatten Kardinal Richelieus, seines Vorgängers im Amte des leitenden Ministers des Königreiches Frankreich. Dies gilt auch für Forschung zum »dernier grand représentant de l’Italianisme en France« (S. 8). Zwar liegen mittlerweile solide biografische Darstellungen vor, doch neuere Spezialstudien zu Fragen über Mazarins Biografie und den historischen Kontext seiner Karriere sind nach wie vor rar. In diese Lücke stößt der vorliegende Band, der die Beiträge einer im Mai 2017 veranstalteten Tagung über »Mazarin, Rom et l’Italie« enthält.

Die Beiträge gruppieren sich um die drei Begriffe: »Gouvernement, Entourage« und »Livres«. Allen gemeinsam ist, dass Mazarins Kontakte nach Italien und die Bedeutung seiner italienischen Wurzeln thematisiert werden.

Den Auftakt des ersten Teils machen zwei Studien zu Mazarin als Vizelegat in Avignon. Olivier Rouchon zeigt, dass Mazarin seine Amtszeit durchaus für sich und seine Karriere nutzen konnte. Anders als seine Vorgänger in dem für Römer ungeliebten Amt konnte Mazarin gute Kontakte zu den lokalen Eliten knüpfen, auch rissen die Kontakte nach Paris nicht ab. Avignon war auch eine Art Schule für den »Wirtschaftspolitiker« Mazarin, wie Christian Charlet zeigt. Julien Régibeau zeichnet anhand der Korrespondenz des Pariser Nuntius Niccolò Guidi di Bagno nach, wie es während der Fronde zu einer Entfremdung zwischen Mazarin und der Kurie kam. Verantwortlich dafür war insbesondere das Scheitern eines französisch-spanischen Friedensschlusses in Münster, wofür man Mazarin verantwortlich machte. Der Papst aber wollte – auch in den Wirren der Fronde – sich als padre commune positionieren.

John Condren illustriert das Erbe Mazarins in der Italienpolitik Ludwigs XIV. Wie schon Mazarin protegierte er das Herzogtum Savoyen bzw. hielt es in französischer Abhängigkeit. Die alten Rivalen der Savoyer, die Gonzaga, die sich seit den späten 1630er Jahren Richtung Habsburg orientierten, ließ er fallen und suchte Modena als Partner in der Po-Ebene zu gewinnen. In den 1680er Jahren setzte eine »Aufgabe« und infolgedessen ein diplomatischer Rückzug aus Italien ein, was in den Seitenwechsel Savoyens während des Neunjährigen Krieges mündete.

Bertrand Marceau untersucht den Zugriff Mazarins auf Klöster und Mönchsorden, den er zur Selbstversorgung (er war Abt von Cluny und Citeaux) und Aufbau seines Vermögens nutzte. Darüber hinaus flossen weitere Gelder aus Pfründen in die Staatskasse. Der Zugriff auf die Pfründe ermöglichte ihm aber auch die Kontrolle der Kirche, da er freigewordene Stellen an seine »Leute« vergeben konnte.

Giulinano Ferretti greift die bekannte These auf, Mazarin habe in seinen letzten Lebensjahren darauf hingearbeitet, dass Ludwig XIV. nach seinem Tode keinen erneuten allmächtigen Ersten Minister berief. Überzeugend zeigt Ferretti, wie Mazarin andere Auffassungen von seinem Amt als sein Vorgänger entwickelte, was sich insbesondere im Verzicht auf die Kontrolle seines Bildes in der öffentlichen Meinung zeigte, die Richelieu so wichtig war. Mazarin achtete allein darauf, dass er in zeitgenössischen Darstellungen immer als Diener der Monarchie, als Untergebener von König und Königinmutter gezeigt wurde. Die Erfahrung der Fronde, so vermutet Ferretti, haben Mazarin und die Königinmutter zweifellos zu dem Schluss kommen lassen, nicht Fouquet oder Le Tellier zu ihren Nachfolgern aufzubauen, sondern den jungen König (S. 169f.).

Das Kapitel »Entourage« versammelt mehrere Studien, die der unmittelbaren Verwandtschaft Mazarins, seinen Mitarbeitern – Gabriel Naudé – und den Beziehungen zu den Jesuiten gewidmet sind.

Olivier Poncet erschließt dabei erstmals die Korrespondenz zwischen Mazarin und seiner Schwester Anna Maria (1608–1669), die als Benediktinerin im Kloster Santa Maria della Concezione in Campo Marzio (Rom) lebte; Yvan Loskoutoff rekonstruiert anhand römischer Avvisi die letzten Lebensjahre von Laura Martinozzi (1633–1687), einer der Nichten Mazarins, die dieser mit dem Herzog von Modena verheiratet hatte. Nachdem sie für ihren Sohn Francesco II. lange die Regierungsgeschäfte geführt hatte, entmachtete dieser sie, als sie 1673 ihre Tochter, Marie-Beatrice, zur Hochzeit mit dem Herzog von York nach London begleitete. Es folgten Wanderjahre zwischen London, Brüssel und Rom, wo sie ihr Leben beschloss. Den gemeinsamen Weg Gabriel Naudés und Mazarins zeichnet Anna Lisa Schino nach, wobei sie insbesondere Naudés Rolle als Berater Mazarins während der Fronde herausarbeitet.

Naudé ist ja berühmt geworden als erster Bibliothekar der Bibliothek Mazarine und an die Geschichte ihrer Sammlung schließt Yvan Loskoutoff mit einem Beitrag über eine Sammlung von Manuskripten an, die Mazarin aus dem Nachlass seines Förderers Giovanni Giudi di Bagno erhielt. Loskoutoff rekonstruiert die Geschichte dieser Schenkung und ediert das in Rom aufgefundene Inventar der Manuskripte, von denen sich noch einige in der Bibliothèque nationale befinden. Zur Sammlungsgeschichte trägt auch Amélie Ferrigno bei, die den Bestand an italienischen Büchern der Bibliothek rekonstruiert, die der junge Mazarin, schon früh ein Liebhaber der Bücher und der Künste, in Rom zusammentrug. Den Abschluss des Bandes bilden zwei Studien, die das Bild Mazarins in der Öffentlichkeit untersuchen: Claudine Nédelec zeigt wie in Satiren von Scarron und anderen alle existierenden antiitalienischen Vorurteile Mazarin zugeschrieben wurden, so z. B. wurde er von Retz als Trivelino bezeichnet, den »valet astucieux, intrigant, spirituel« (S. 364) der Commedia dell’Arte. Patrick Rebollar präsentiert das Projekt »Mazarinades«, das sich die Inventarisierung der gesamten Mazarinaden zum Ziel gesetzt hat und stellt eine besondere Sammlung von 2700 Mazarinaden vor, die sich in der Universitätsbibliothek von Tokio befinden. Anhand der vollständig digitalisierten Sammlung demonstriert Rebollar quantitative Auswertungsmöglichkeiten.

Die Beiträge des Bandes sind zu reich an neuen Details, als dass man sie alle ausführlich kommentieren kann. Für die Erforschung von Mazarin und seinem Umfeld liegt hiermit ein unverzichtbarer Band vor.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Yvan Loskoutoff, Patrick Michel (dir.), Mazarin, Rome et l’Italie. Vol. 1: Histoire, Mont-Saint-Aignan (Presses universitaires de Rouen et du Havre) 2021, 294 p., ISBN 979-10-240-1517-0, EUR 19,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90526