Das in der medizinhistorischen Reihe »Clio Medica« bei Brill erschienene Werk will eine Sozialgeschichte der Pockenbekämpfung in »Deutschland« vor der Einführung von Jenner’s Vakzination sein. Den Anlass zur Studie bot das 300. Jubiläum der ersten Inokulationen in Europa und Nordamerika, das mit dem zweiten Jahr der Covid-19-Pandemie und der ersten Impfmöglichkeit gegen die neue Infektionskrankheit zusammenfiel. Die Autorin ist weitgehend unbekannt und weder im Netz noch durch die Verlagsseite greifbar. Eine mögliche Verortung ergibt sich durch ihren Dank an die Universität von Tasmanien und an den deutschen Ehemann.

Das in sieben Abschnitte eingeteilte Werk behandelt die erste Form der Immunisierung gegen die Blattern/Pocken. Im norddeutschen Sprachraum wurde die Inokulation, die Öffnung der Haut mit Hilfe einer Nadel und die Einführung von echtem Pockeneiter in der Hoffnung, durch einen milden Krankheitsverlauf die Person zu immunisieren, ab 1721 an Einzelnen oder kleinen Gruppen praktiziert. Der Zuspruch dieser Präventionsmaßnahme, die vor allem unter den Eliten verbreitet war, blieb anfangs mäßig, um dann in den 1750er Jahren wieder interessant zu werden, wie auch die Zunahme der darauf Bezug nehmenden Publikationen zeigt.

Im ersten Kapitel behandelt Penschow einige Mythen und Missverständnisse rund um die Blatternkrankheit (Herkunft, Krankheitsdiskurs) und die Praxis der Inokulation seit ihren Anfängen in Europa. Dann zeichnet sie die Vorbildwirkung der Herrschenden und Eliten nach, die ihre Kinder inokulieren ließen. Die Breitenwirkung dieser Entscheidungen rekonstruiert sie über die Analyse von Korrespondenzen und – bei den beratenden (Leib)Ärzten – von den Disseminationsmedien der Zeit: publizierte Dissertationen, Bücher und Artikel in Zeitungen und Zeitschriften wie die »Allgemeine Deutsche Bibliothek«, die »Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen« und auch die »Allgemeine Literatur-Zeitung«. Von den 600 Dissertationen, Artikeln und Büchern über die Inokulation im deutschen Raum wurden die ersten 60 zwischen 1714 und 1750 publiziert und waren vorrangig einem wissenschaftlichen/akademischen Publikum gewidmet, während die breitere Bevölkerung in Zeitungsartikeln über die Inokulation unterrichtet wurde.

Raum und Zeit der Untersuchung werden von der Autorin mit »Germany« und dem 18. Jahrhundert festgelegt. Die Darstellung endet tatsächlich mit einem Ausblick auf die hoffnungsreiche Jahrhundertwende, die den Frieden mit dem revolutionären Frankreich und die Ausrottung der Pocken mittels der Kuhpockenimpfung bringen soll. Das seit Längerem sterbende Heilige Römische Reich endete erst 1804 mit der Ausrufung des Kaiserreichs Österreich bzw. 1806 und erstreckte sich von Preußen bis Tirol. Was also ist das »Deutschland« (»Germany«) des 18. Jahrhunderts, das Penschow meint? Es sind vor allem Preußen, Sachsen, Schlesien ein wenig Hessen-Kassel aber nur in Ansätzen das Territorium südlich von Würzburg. Bayern, Tirol und die restlichen habsburgischen Erbländer als immer noch Teile des Heiligen Römischen Reiches werden weitgehend ausgeklammert bzw. mit wenigen Hinweisen auf die Inokulationsbestrebungen von Maria Theresia und die vorsichtige Skepsis ihres Leibarztes van Swieten abgetan. Die Konzentration auf Preußen bzw. auf den nördlichen deutschen Sprachraum ist im Prinzip eine durch die Quellenlage gerechtfertigte Einschränkung, die aber nicht thematisiert wird. Ganz allgemein fehlt der Arbeit die notwendige Kontextualisierung.

Das Werk will die Strategien zur Beförderung der Inokulation wie auch der neuen Behandlungsformen (weg vom Warmhalten, hin zum Kühlen) aufzeigen. Wie gut diese Ansätze ankamen, hing nach Penschow von den regionalen Unterschieden in der Rezeption der Ideen der Aufklärung sowie von der Emanzipation von der Idee des göttlichen Willens ab. Vor allem evangelische Pastoren begrüßten die aufgeklärten Ansätze zur Erhaltung des Lebens, während in den katholisch gebliebenen Territorien, die allerdings Großteils nicht untersucht werden, eine strengere Zensur die Veröffentlichungstätigkeit prägte zumal sich der Papst auch nicht eindeutig für oder gegen diesen medizinischen Eingriff äußerte. Die Teilung »Deutschlands« in katholische und protestantische Gebiete war also nach Penschow von Bedeutung für die regionale Akzeptanz der Inokulation. Viele protestantische Pastoren waren auch Autoren von Artikeln, die die Inokulation bewarben; in den protestantischen Städten gab es besonders rund um die Universitäten eine rege Publikationstätigkeit. Auch wenn das angenommen werden kann, so hat die Autorin einen zu einschränkenden räumlichen und die Quellen betreffenden Fokus gelegt. Eine Weitung des Untersuchungsraumes könnte ihre Argumente durchaus noch relativieren, wenn man die Rolle der katholischen Geistlichkeit im Rahmen der späteren Vakzination bedenkt.

Penschow versucht die Vorantreiber (und ein wenig auch die Gegner) der Inokulation mithilfe der publizierten Schriften aufzuzeigen. Dazu kommen noch die Literatur und »Pockenpoesie« (S. 131), die bezüglich der Problematik der Verunstaltung durch die Pocken Frauen in den Vordergrund stellt. Penschow schreibt ihnen in diesem Zusammenhang eine zunehmende Entscheidungsgewalt zu, wenn sie sich zur Erhaltung ihrer Schönheit als Marktwert oft auch eigenständig und gegen den elterlichen Rat für die Inokulation entschieden.

Schließlich geht die Autorin im letzten Kapitel auf die Ansätze und Bestrebungen bzw. Pläne für die Ausrottung der Pocken mittels Inokulation ein.

Bei dieser thematischen Führung lehnt sich Penschow stark an Andreas-Holger Maehles Untersuchungen der späten 1990er Jahre zur Inokulation in Deutschland an. Alleinstellungsmerkmal haben hingegen die zwei Appendizes, die einerseits alle deutschen Dissertationen über Inokulation zwischen 1720 und 1798 und andererseits alle original deutschen Publikationen über Inokulation zwischen 1714 und 1800 mit Ausnahme jener, die ab 1750 in medizinischen Journalen veröffentlicht wurden, auflisten.

Befremdlich an der Darstellung ist, dass die Autorin in ihrer Argumentation Akteurinnen, Akteure und Dynastien mit ihren Herrschaftsräumen als rein geografische Anhaltspunkte anführt, nicht nach weltlichen oder geistlichen Fürstentümern unterscheidet und keinen historischen Hintergrund der betroffenen Bereiche gibt. Von den genannten Ärzten und Autoren werden weder die Lebensdaten noch eine Kurzbiografie zur Einordnung angeführt.

Insgesamt bietet das Werk keinen neuen, aber einen angenehm lesbaren Überblick über die literarische Auseinandersetzung mit der Inokulation. Hier zeigt sich einmal mehr, welche grundlegende Vorarbeit für die spätere Vakzination geleistet wurde. Die Sichtbarmachung der Quellen ist ein großes Plus; es fehlt hingegen eine tiefergehende Reflexion, die auch nicht im gerade einmal dreieinhalbseitigen Fazit erfolgt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Elena Taddei, Rezension von/compte rendu de: Jennifer D. Penschow, Battling Smallpox before Vaccination. Inoculation in Eighteenth-Century Germany, Leiden (Brill Academic Publishers) 2022, 296 p., 15 fig. (Clio Medica, 105), ISBN 978-90-04-46513-8, EUR 125,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90529