Der Sammelband »Körper-Bilder in der Frühen Neuzeit. Kunst-, medizin- und mediengeschichtliche Perspektiven«, herausgegeben von Michael Stolberg, geht auf ein Kolloquium zurück, das 2019 am Historischen Kolleg in München gehalten wurde. In dem Band sind kunsthistorische, geschichtswissenschaftliche und medizingeschichtliche Beiträge zu frühneuzeitlichen Bildern und Zeichnungen von Körpern versammelt. Im Fokus stehen kranke, gebrechliche, versehrte und deformierte, beleibte, hässliche, sexualisierte und erotisierte Körper sowie einzelne Körperteile, Körperoberflächen und das Körperinnere. Damit macht der Sammelband die Pluralität und Vielschichtigkeit frühneuzeitlicher Wahrnehmungen, Deutungen und Verbildlichungen von Körpern sichtbar und – dank der vielen mitunter sogar farbigen Abbildungen – anschaubar. Um es vorwegzunehmen, der Mehrwert des Buches liegt in der Interdisziplinarität der Forschungsperspektiven auf Abbildungen von Körpern und der daraus resultierenden unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen. Gemeinsam ist allen vierzehn Aufsätzen, dass sie Bilder nicht als Illustrationen verwenden, sondern als historische Quellen ernst nehmen und zu einem zentralen Bestandteil der Analyse und Interpretation machen. Dabei deutet sich eine Fülle methodischer Zugänge an, die leider nicht systematisch zusammengeführt werden. Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge kurz vorgestellt.
In der Einleitung weist Michael Stolberg auf die Omnipräsenz von Körperbildern in der Frühen Neuzeit und das Anliegen der versammelten Beiträge hin, einen Dialog zwischen medien-, kunst- und medizinhistorischen Perspektiven anzuregen. John Henderson widmet sich in seinem Beitrag der Repräsentation von Syphilis (zeitgenössisch: Franzosenkrankheit) während der italienischen Renaissance. Im Zentrum stehen Farbzeichnungen aus Perugia aus dem 16. Jahrhundert. Der Vergleich mit textlichen Quellen ergibt, dass die illustrierten Körper die Symptome und Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit im Detail darstellen und diese eben nicht als Geschlechtskrankheit und Sittenverfall moralisieren. Auch Valentina Živković untersucht in ihrem Aufsatz bildliche Darstellungen von Krankheit. Zu den Fresken in der Pestabwehrkirche St. Rochus in Istrien aus dem 16. Jahrhundert gibt es jedoch keine parallelen schriftlichen Überlieferungen. Die Wandgemälde stehen deshalb für sich und werden von der Autorin als religiöse Reaktionen auf die Pest gelesen. Dazu wurde, so zeigt die Autorin, nicht nur das Verhältnis kranker und gesunder, sondern auch menschlicher und göttlicher Körper visualisiert.
Abbildungen und Skulpturen des heiligen Bartholomäus gelten als die wichtigste und bekannteste Darstellung von menschlicher Haut und deren Ablösung vom Körper. Christiane J. Hessler veranschaulicht in ihrem Beitrag zur Haut als inszeniertem »Hüllorgan« deren Geschichte anhand von künstlerischen und medizinischen Abbildungen. Sie zeigt auf, dass auf bildlicher Ebene die Grenzen zwischen Medizin, Religion und Kunst verschwimmen. Die visuelle Darstellung von Haut ermöglichte es, das Körperinnere freizulegen. Diese Ambivalenz von Körperaußen und -innen wird im Aufsatz von Li-Chun Lee in einem transkulturellen Vergleich weiterverfolgt und vertieft. Der Vergleich zwischen chinesischen und europäischen Darstellungen des Körperinneren kann als Plädoyer für eine gründliche Kontextualisierung von Bildern gelesen werden: Die Herausforderung, dass Bilder nicht für sich sprechen, sondern historisiert und kontextualisiert werden müssen, wird besonders bei transkulturellen Vergleichen deutlich, lässt sich aber darüber hinaus für die geschichtswissenschaftliche Arbeit mit visuellen Quellen und materieller Kultur im Allgemeinen geltend machen.
Gegen eine Forschungsperspektive, die eine lineare Entwicklung von akzeptierter Korpulenz in der Vormoderne und deren Abwertung und negative Konnotation in der Moderne festmacht, liest Alexander Pyrges frühneuzeitliche Verbildlichungen von Beleibtheit als ambivalent und fordert eine stärkere Historisierung. Die Frage, woher wir wissen, ob die auf frühneuzeitlichen Bildern zu sehenden Körper zeitgenössisch als beleibt wahrgenommen wurden oder nicht, bleibt dabei jedoch offen. Der kunst- und kulturgeschichtliche Beitrag von Stavros Vlachos zeigt die historischen Veränderungen der Passionsdarstellungen vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit auf. Ab 1400 wurden die Feinde Christi (insb. Juden) mit bekannten körperlichen Fehlbildungen dargestellt. Damit wurden körperliche Deformationen, Krankheiten und Hässlichkeit auf der symbolischen Ebene mit Bosheit assoziiert und müssen deshalb als antijüdisch gelesen werden. Volker Hille widmet sich in seinem Aufsatz einer Schergenfigur im Zyklus der Apostelmartyrien am Westportal des Münsters in Ulm. Diese Figur ist besonders auffällig, weil ihr Gesicht eine Deformation aufweist, die eine Lippenspalte darstellen könnte.
Eine Auswirkung der Kastration von Männern war ein unregelmäßiges Wachstum. Im Fall von Sängern führte es dazu, dass sich das Stimmvolumen stärker ausbildete. In ihrem Vergleich künstlerischer Porträts und karikativer Abbildungen macht Jasmin Mersmann deutlich, dass die Größe der Körper von kastrierten Sängern normalisiert oder überspitzt werden konnte, was auf die Uneindeutigkeit der Visualisierungen von Körpern verweist. M. A. Kartritzky untersucht die Darstellungen und Rezeption von zwei international bekannten Schaustellern (Shackshoone und Antonio Martinelli) mit sogenannten Doppelfehlbildungen anhand visueller und textlicher Quellen. Die Ausstellung und zur Schaustellung der körperlichen Andersheiten zeigt, wie wichtig es ist, nach intersektionalen Verschränkungen verschiedener Kategorien zu fragen. Neben körperlicher Versehrtheit, so zeigt die Analyse der unterschiedlichen Quellen, waren auch Hautfarbe und Herkunft bei der Vermarktung der beiden Personen zentral. Besonders interessant ist dieser Beitrag deshalb, weil er auf das Leben, die Familien sowie die Handlungsspielräume der Schausteller eingeht und diese dadurch in ihren sozialen Beziehungen sichtbar werden. Dass die katholische Kirche sich für die Körper ihrer Priester interessierte, zeigt Brendan Röder in seinem Aufsatz. Er fand Skizzen von Körperteilen in gerichtlichen Verhandlungen, die als rechtliches Beweismaterial dienten. Mittels dieser wurde ermittelt, ob die Geistlichen ihren Aufgaben nachkommen konnten. So war für die Überreichung der Hostie eine unversehrte Hand mit fünf kompletten Fingern zentral. Den Visulisierungen kam in diesen Verfahren laut Röder eine beglaubigende Funktion zu, die textliche Aufzeichnungen nicht im selben Maße erfüllen konnten.
Thomas Fischbacher widmet sich in seinem Beitrag einem klassischen politikgeschichtlichen Thema, der Regierungsfähigkeit von Fürsten, legt jedoch einen Fokus auf die bildliche Darstellung von körperlichen Leiden und Gebrechen. Diese stellt er in einen Dialog mit schriftlichen Beschreibungen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass bildliche Darstellungen die Gebrechen eher verheimlichten, auch wenn körperliche Krankheiten kein Hindernis für die Position des Kurfürsten oder Kurprinzen waren. Dabei bestimmte die soziale Position, was als körperliche Beeinträchtigung galt: Gehbehinderungen waren akzeptabel für einen Herrscher, eine Sehbehinderung war ein größerer Makel, der nicht öffentlich repräsentiert oder korrigiert werden konnte.
Sebastian Pranghofer geht in seinem Aufsatz der Frage nach, welche Rolle die Materialität, insbesondere Bilder, für die Rekonstruktion des Lymphsystems im 17. Jahrhundert spielten. Dabei steht das Verhältnis von bildlichen Darstellungen zur Wahrheit im Fokus. Besonders spannend sind die Ambivalenzen von Körpervorstellungen, die angedeutet werden. So begriff man unter Rückgriff auf die Säftelehre den Körper als fluid und im Austausch, wohingegen ein mechanisches Körperbild diesen als statisch fasste. In dem Beitrag von Domenico Bertoloni Mel geht es um die künstlerisch-technische Herausforderung, Textur in anatomischen Abbildungen des 16. und 17. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Die verwendeten Drucktechniken beeinflussten diese enorm. Der Autor kann eindrücklich zeigen, dass sich mit Tiefdruckverfahren nur eine bestimmte Textur abbilden lässt und deshalb manche Krankheiten nur mit Hochdruckverfahren präzise dargestellt werden konnten. Am Ende des Bandes plädiert Thomas Schnalke in seinem Beitrag dafür, medizinische Studien nicht nur als Illustrationen zu verstehen, sondern als Objekte historischer Untersuchungen ernst zu nehmen und veranschaulicht dies anhand medizinischer Illustrationen im Werk eines Berliner Anatomen.
Die versammelten Beiträge bilden ein breites Spektrum an Themen, disziplinären Zugängen und methodischen Ansätzen zu frühneuzeitlichen Körpern und ihren bildlichen Darstellungen, die inspirieren und zum Weiterdenken anregen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Eva Lehner, Rezension von/compte rendu de: Michael Stolberg (Hg.), Körper-Bilder in der Frühen Neuzeit. Kunst-, medizin- und mediengeschichtliche Perspektiven, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2021, VIII–354 S., 50 s/w, 100 farb. Abb. (Schriften des Historischen Kollegs, 107), ISBN 978-3-11-073479-9, EUR 89,69., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90532