Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich nicht nur im von den Alliierten besetzten Deutschland die Frage nach dem Umgang mit den Unterstützern des untergegangenen NS-Regimes und deren Bestrafung. Auch die zuvor von deutschen Truppen besetzten Staaten Europas standen vor der Herausforderung, einerseits Sanktionen gegen ehemalige Unterstützer der Besatzungsmacht zu verhängen, andererseits aber den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden und nach der Befreiung einen politischen Neuanfang zu gestalten. Wenn Thorsten Holzhauser dies im Fall von Westdeutschland, Österreich und Frankreich untersucht, kann gewiss nicht die Rede davon sein, dass der Verfasser thematisches Neuland betritt oder Grundlagenforschung zu einem bislang vollkommen unberücksichtigten Sachverhalt betreibt – was er auch keineswegs beabsichtigt. Sowohl die westdeutsche und österreichische Entnazifizierung als auch die französische épuration können als in zahlreichen Facetten erforscht gelten und waren in den vergangenen Jahren immer wieder Gegenstand von Forschungskontroversen.
Vielmehr besteht der Anspruch von Holzhausers Studie darin, mit einem vergleichenden Ansatz Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Vorgängen in den drei von ihm betrachteten Staaten von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis hinein in die 1950er Jahre herauszustellen. Zu diesem Zweck arbeitet Holzhauser mit der Kategorie der »Belasteten«, zu denen er im Fall Westdeutschlands und Österreichs vormalige Nationalsozialisten und im Fall Frankreichs Kollaborateure und Unterstützer des mit der deutschen Besatzungsmacht zusammenarbeitenden Vichy-Regimes zählt, die nach Kriegsende alle gleichermaßen mit Sanktionen zu rechnen hatten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Für Frankreich ist hier gleichwohl zu bedenken, dass sich der Begriff des »Kollaborateurs« von Anfang an durch eine beträchtliche Unschärfe auszeichnete und etwa auf französische Faschisten und NS-Sympathisanten ebenso Anwendung fand wie auf Personen, die aus rein finanziellen Motiven oder aus persönlichen Gründen die Nähe zu Angehörigen der Besatzungsmacht gesucht hatten. Gerade französische Unternehmer, die mit deutschen Stellen Geschäfte gemacht hatten, wurden hierfür jedoch nach der Befreiung vielfach gar nicht belangt, so dass es fraglich erscheint, inwieweit dieser Personenkreis nach Holzhausers Definition überhaupt als »belastet« angesehen werden kann.
Als Quellen zieht der Verfasser die einschlägigen Gesetze heran, die die Parlamente der drei Staaten zunächst zur Verhängung von Sanktionen gegen die belasteten Personengruppen, in einer späteren Phase dann zur Rücknahme ebenjener Sanktionen verabschiedeten. Daneben stützt sich die Studie auf die vorliegende Forschungsliteratur in ihrer ganzen Bandbreite. Quellenbestände in Archiven wurden durch den Autor nicht ausgewertet, was zweifellos auch den Rahmen der mit 186 Seiten in ihrem Umfang knapp gehaltenen Arbeit gesprengt hätte.
Untergliedert ist die Studie in drei Abschnitte, in denen jeweils nacheinander die Fallbeispiele Frankreich, Österreich und Westdeutschland behandelt werden. Untersucht wird dabei zuerst politische Sanktionierung als genuin nationaler Diskurs, sodann richtet der Verfasser den Blick auf den Zusammenhang zwischen der besagten Sanktionierung und dem demokratischen Neubeginn in dem jeweiligen Land, um an dritter Stelle die später folgenden, innenpolitischen Amnestiedebatten nachzuzeichnen.
Auf diese Weise werden in der Studie frappierende, auf den ersten Blick keineswegs so offensichtliche Parallelen zwischen der Entwicklung in allen drei Ländern deutlich. Beispielsweise zeigt Holzhauser, wie sehr in Frankreich, Österreich und Westdeutschland trotz einer grundverschiedenen Ausgangslage gleichermaßen die Vorstellung vorherrschte, dass bestimmte Personengruppen durch ihr Wirken während des Krieges zu sehr kompromittiert waren, um den politischen wie gesellschaftlichen Wiederaufbau des Landes mitgestalten zu können. Er argumentiert überzeugend, dass in allen drei Fällen, sicherheitspolitische Bedenken der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mit demokratiepolitischen Überlegungen, aber auch einer nationalen Loyalitätsfrage einhergingen. Gemeinsam hatten die drei Staaten auch, dass eine solche Entwicklung letztendlich in einen Entlastungsdiskurs mündete, in dem die zuvor sanktionierten Personengruppen in den Genuss von Begnadigungen und Amnestien kamen. Hierfür wurden im Prinzip länderübergreifend dieselben Argumente bemüht, wie etwa der Ruf nach nationaler Aussöhnung im Inneren oder nach einer Gleichbehandlung aller Bürger, unabhängig von deren politischer Haltung.
Jedoch bleiben auch die Unterschiede in der Entwicklung in den drei Staaten, wie Holzhauser sie herausarbeitet, zu berücksichtigen. Beispielweise weist er darauf hin, dass die Erinnerung an den Kampf der Résistance zur Folge hatte, dass sich in Frankreich – anders als in Westdeutschland oder Österreich – kein umfassender Amnestiekonsens durchsetzen konnte und die entsprechenden Gesetze auch über ihre Verabschiedung hinaus innenpolitisch hochumstritten blieben. Alles in allem gelingt es dem Verfasser dadurch, der Komplexität und Vielschichtigkeit der politischen wie gesellschaftlichen Umbruchsprozesse, als deren Teil die von ihm untersuchten Vorgänge verstanden werden müssen, gerecht zu werden, und hierin ist zweifellos das Hauptverdienst der Arbeit zu sehen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Matthias Gemählich, Rezension von/compte rendu de: Thorsten Holzhauser, Demokratie, Nation, Belastung. Kollaboration und NS‑Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2022, 186 S. (Historische Zeitschriften/Beihefte, N.F. 80), ISBN 978-3-11-076328-7, EUR 72,95., in: Francia-Recensio 2022/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.3.90616