Wie könnte in der Zeitschrift, die räumlich so nah am Hôtel de Sully in Paris entsteht, eine Publikationsanzeige zu den gesammelten Aufsätzen des großen Sully-Biografen Barbiche fehlen? – Barbiche, der über Dekaden in der École des chartes in die handwerklichen Grundlagen der Geschichtswissenschaft, die Editionstechnik, das spätmittelalterliche päpstliche wie frühneuzeitlich-französische Kanzleiwesen, Diplomatik und in die Verfassungsgeschichte des Ancien Régime einführte, ist vielen französischen und internationalen Studenten über die manuels zum Edieren von Texten der europäischen Vormoderne und insbesondere über »Les institutions de la monarchie française à l’époque moderne« bekannt. Letzteres manuel konkurriert bis heute in den Buchläden mit dem älteren, voluminösen von Roland Mousnier; es mag von manchen Spezialisten in etlichen Kapiteln als zu stark gestrafft, manche Spezialdiskussion nicht aufnehmend charakterisiert werden, und doch kehrt man immer wieder zu diesem Einführungsbuch zurück. In Deutschland könnte man es nur mit Studienbüchern zur Verfassungsgeschichte des Alten Reiches vergleichen, aber der Vergleich hinkt, da die Verfassungsgeschichte der Monarchie doch einen unverzichtbareren und umfassenderen Charakter hat, einfach schon, weil sie das Alltagsleben viel unmittelbarer durchdrang, während die Reichsebene – bei aller Diskussion – eben in der Realität oft hinter lokalen und territorialen Lebenswelten zurücktrat bzw. in ihnen einen partikulareren Stellenwert hatte. Die vorliegende Sammlung von Aufsätzen von 1960 bis 2015 flankiert Barbiches Lebenswerk – vielleicht mit Ausnahme der Edition der päpstlichen Acta – in der Zweiteilung von Beiträgen zur Institutionengeschichte im Allgemeinen und zur Geschichte Heinrichs IV. und Sullys um 1600 im hinteren Teil im Besonderen. Die Aufsätze sind in den jeweiligen Spezialforschungsfeldern seit langem rezipiert und diskutiert und brauchen nicht im Einzelnen zusammengefasst zu werden. Alle sind charakterisiert von Barbiches typischem Stil, in dichter synthetischer Sprache, oft mit wenigen Fußnoten, oft auch einerseits mit verblüffend wenig direkten Quellenzitaten (und wenn, nicht selten ohne präzisen Herkunftsverweis – man kann aber sicher sein, dass das Zitat stimmt) und andererseits aus einer allen bewussten Quellen- und Archivkenntnis schöpfend geschrieben: die Aura der École, das Wissen um die französischen Archive, ihre institutionellen Provenienzen und Ordnungen wenn nicht monopolartig, so doch an vorderster Front zu verwalten, ist dem Duktus eingeschrieben – zugleich aber auch die Einfachheit und Bescheidenheit des Insistierens auf im guten Sinne »positivistische« Archivaliennähe im Dienste an den Quellen und gemeinsam mit den nie übergangenen élèves der École, die bei manchen Beiträgen mitwirkten, wie den confrères in den französischen Archiven. Vertreter deutscher »Hilfswissenschaften«, wenn sie noch Lehrstühle besitzen, oder umgekehrt außeruniversitäre Dozenten an Archivschulen können diese Kombination aus wissenschaftlichem Renommee und purer Konzentration auf Quellennähe kaum gleichermaßen realisieren. Was auch immer man darüber in Einzelfragen kritisch denkt: als Kontrapunkt in einer immer pluraler werdenden akademischen Landschaft möchte man dieses Amalgam aus durchaus institutionell-fachlichem Selbstbewusstsein und quellenbezogener Schlichtheit, vertreten hier durch Barbiche, nicht missen. Die Aufsätze zum Conseil du roi, zu den Siegelbewahrern (gardes des sceaux) mit diplomatischen Randnotizen zur Ausstellung von königlichen Nominationsurkunden mit einfachem gelben oder grünem Wachs (»cire jaune« oder »cire verte«), die mehrfache Behandlung der Frage, wie Königinnen Regentschaften in absentia des Königs übernehmen und dabei königliche Hoheitsakte vollziehen konnten, im 16. wie 17. Jahrhundert, immer wieder das Kreisen um die verfassungsrechtlichen Formen und Bedeutungen der Friedensakte, -edikte, -verträge zwischen dem König und resistenten Granden, seien es Hugenotten oder Ligisten, sind Themen, die die Sammlung teilweise gut als Ergänzungsband zu den entsprechenden Abschnitten in den »Institutions« erscheinen lassen. Sie zeigen und lehren die Aufmerksamkeit für die (gewohnheits)rechtlichen und administrativen Formen, in denen sich politische Kommunikation im Königreich manifestierte und wie sie sich entwickelte. Im Teil zu Sully/Heinrich IV. sind die bekannten älteren Arbeiten zur Verwaltung der »Zentralfinanzen« der Krone, die damals in stetem Austausch mit Michel Antoine und anderen entstanden waren, sowie etwa der Beitrag zum lit de justice von 1597 mit markanten Korrekturen an Hanleys Thesen und der Darstellung de Waeles: während Hanley von der vollkommenen Ineffizienz dieses im an sich einschlägigen Fonds Conseil nur mit einem dürren Satz erwähnten lit (»Heute kam der König [Henri IV] ins Parlament, um den lit de justice zu halten«) ausging, konnte Barbiche den lit aus den Plaidories (AN X1A 5189) und den Ordonnances (AN X1A 8643) rekonstruieren und zeigen, dass hier die satte Anzahl von 10 Edikten sehr effizient vom König, vorbereitet von Sully, in Kraft gesetzt wurde; er edierte den procès verbal, so dass dieser lit nun exemplarisch besonders gut dokumentiert ist. Die päpstlich-französischen Beziehungen in dieser Zeit wie auch später, wie sie ein weiteres Hauptinteresse Barbiches waren, sind mit den Beiträgen zur antijesuitischen Politik Heinrichs IV. nach dem Attentat Chastels von 1594 sowie der summarischen Diskussion der Frage enthalten, ob Könige vom Papst, und wenn wie, und wenn weniger leicht als ungekrönte Häupter, dann unter welchen Bedingungen, exkommuniziert werden können, vertreten. Barbiche scheint in seinem Œuvre Edition und analytische Beiträge meist voneinander strikt getrennt zu haben: dies ist Ergebnis und Grund zugleich der angesprochenen Form, eigentlich wenig Argumente aus der Quellenanalyse im Textfluss selbst her zu entwickeln – analytisches Postulat und die scheinbar selbst sprechende Quelle stehen so in einem merkwürdigen Hiat zueinander: die Beiträge stammen damit methodisch alle aus einer Zeit lange vor Diskussionen über politische Sprache, Kommunikation, Verhältnis von »Epistemen« und Politikstilen zu Institutionen und Ereignissen, aber sie haben darin ihre Konsistenz. Es wird so auch eine Form von Institutionengeschichte geschaffen, die sich interessanterweise fast berührungslos jenseits der Rechtsgeschichte etabliert: bei der Exkommunikationsstudie wird etwa außer auf einen Lexikoneintrag auf das kanonische Recht als Quelle selbst nicht rekurriert (obwohl es inhaltlich im Kern wiedergegeben wird), das Verhältnis von französischem administrativen Gewohnheitsrecht, den coutumes und dem römischen Recht wird in den anderen Beiträgen entsprechend auch kaum angesprochen, als ob die Akteure, meist studierte Juristen an französischen und italienischen Universitäten, die im Verfahrens- und Gerichtsalltag oft ganz im Rahmen der Jurisprudenz und der entsprechenden Textcorpora dachten, davon losgelöst eine gänzlich autark-französische Formensprache gebildet hätten: Die »Institutions« oder die autonom gestellten Regeln der internationalen Diplomatie sind so ein Forschungsgegenstand, der an diesem Punkt sogar trotz der Quellennähe ein wenig ein Konstrukt war und bleibt. Dies sind aber Beobachtungen schon fast forschungshistorischer Art – das Interessante ist, dass, wie in den »Institutions«, die Aussagen und Abwägungen meist der Sache nach »richtig« bleiben, man an sich nur über den Forschungsrahmen insgesamt und etwa die Notwendigkeit, polyvalente und plurale vergangene koexistierende Sichtweisen darzustellen, diskutieren kann: Für all solche Abstoßbewegungen ist es unverzichtbar, dass es die »Institutions« wie die hier angezeigten gesammelten Arbeiten als festen Ausgangspunkt gibt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Bernard Barbiche, Le Roi et l’État. Regards sur quelques institutions de la France moderne (XVIe–XVIIIe siècle), Paris (École nationale des chartes) 2021, 394 p. (Mémoires et documents de l’École des chartes, 112), ISBN 978-2-35723-165-8, EUR 50,00., in: Francia-Recensio 2022/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.91965