Das kulturhistorische Thema erscheint auf den ersten Blick besonders originell und kann sogar eventuell eine gewisse Skepsis erzeugen. Die Lektüre des Buches von Julia Breittruck zeugt aber für die Relevanz ihrer Studie, in der sie die Frage untersucht, inwiefern der Besitz von Vögeln, das Verhältnis zu ihnen, ihre Erziehung als Singvögel und die Gefühle, die sie bei ihren Besitzerinnen und Besitzern erzeugen, als Spiegel für den aufklärerischen Umgang mit Haustieren im Paris des 18. Jahrhunderts gelten kann. Studien zu Mensch-Tier-Beziehungen haben sich seit der Entwicklung der human-animal studies in den 2000er Jahren im deutschsprachigen Raum vermehrt; das Feld umfasst zahlreiche Disziplinen und befasst sich mit vielfältigen Themen u. a. mit Repräsentationen und Vorstellungen von – realen, unbekannten, imaginären – Tieren sowie mit Formen des Umgangs und des Zusammenlebens mit Haus- und Wildtieren. Darüber hinaus werden auch die Machtverhältnisse und die Gewaltanwendung bzw. die Dressur von Tieren als Indikator für das Niveau von Erziehung, Affektkontrolle und Bildung bestimmter Gesellschaftsgruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt interpretiert. Der Rücksicht auf Emotionen, die auch seit einigen Jahren in der Geschichtswissenschaft als neues Forschungsfeld aufblüht, kommt in Breittrucks Studie eine besondere Rolle zu.
Die Studie beruht auf vielfältigen Quellen, die sowohl literarische und naturgeschichtliche Texte, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel aus Enzyklopädien, sowie Ratgeber, pädagogische Handbücher, als auch Korrespondenzen, Gemälde, Druckgrafiken und persönliche Zeichnungen umfassen. Auch Objekte wurden für diese Studie berücksichtigt, denn der Reichtum und die sorgfältige künstlerische Gestaltung von Käfigen geben Auskunft über das Verhältnis der Pariserinnen und Pariser zu ihren Vögeln.
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert: Das erste beschäftigt sich mit dem Besitz von Vögeln als Repräsentations- und Sammelobjekte aus einer sozialhistorischen Perspektive. Das zweite Kapitel handelt von der räumlichen Aneignung von Vögeln und von der Entstehung der Privatsphäre. Das dritte Kapitel stellt unterschiedliche Erziehungspraktiken von Singvögeln dar und im letzten Teil wird insbesondere die Funktion des Besitzes und der Erziehung von Vögeln aus einer frauengeschichtlichen Perspektive betrachtet.
Der erste Teil, der sich mit sozialhistorischen Aspekten der frühneuzeitlichen Vogelhaltung – insbesondere im 18. Jahrhundert – beschäftigt, stellt die Frage, inwiefern die Haltung von Vögeln in Häusern »das soziale und kulturelle Kapital der betreffenden Person beeinflussen [konnte]« (S. 25). Hier werden die Organisation der Pariser Vogelhändler, ihre Privilegien und Regeln sowie die unterschiedlichen Werte und sozialen Rollen des Besitzes von Stubenvögeln erläutert. Interessant ist an dieser Stelle die zunehmende Präsenz von Sing- und Ziervögeln in Pariser Häusern, die als Beleg für die Bedeutung eines Kulturguts dient, das in unterschiedlichen sozialen Gruppen auf verschiedene Art und Weise einem besonderen Wert zukam. Bisher ein typisches Kulturgut der gelehrten und adeligen Eliten stellt Breittruck eine »Verbürgerlichung« des Besitzes von Singvögeln im Laufe des 18. Jahrhunderts (S. 41) fest. Dies spiegelt sich in der Preisskala unter den verschiedenen Sing- und Ziervögeln sowie in der kunstvollen Dekoration und im wertvollen Material, das zur Anfertigung der Käfige verwendet wurde, wider. Dabei wird auch eine Deutungsverschiebung der Stubenvögel in der damaligen Genremalerei deutlich, denn ihre erotische Symbolik wandelte sich zum Sinnbild vorbildlichen Familienlebens (S. 60). Im Zusammenhang mit eleganten Interieurs lässt sich die kunstvolle Darstellung von Stubenvögeln in schönen Käfigen als Hinweis auf eine der pädagogischen Aufgaben, die den Frauen damals zugeschrieben wurden, interpretieren. Somit schließt Breittruck überzeugend ihr erstes Kapitel mit der Feststellung, dass Tiere im 18. Jahrhundert nicht nur häufiger bildlich dargestellt wurden, sondern auch, dass diese Abbildungen für »die Betonung und Ausdeutung der Geschlechterdifferenz diente« (S. 68).
Im zweiten Kapitel geht es um die Domestizierung von Vögeln und insbesondere um die Frage, »inwiefern die Konstituierung von sozialen Räumen und von häuslichen und städtischen Orten mit der Vogelhaltung [zusammenhing]«. Hier werden »die Begegnungen und die Konflikte zwischen Menschen und Tieren und deren Raum konstituierende Wirkung« untersucht (S. 71). Breittruck stellt u. a. die Frage, inwiefern der Besitz von Vögeln zur Konstituierung von Privaträumen beitrug. Durch die Analyse von bildlichen Darstellungen von Vögeln mit oder ohne Menschen in der Natur oder im häuslichen Kontext kann sie zeigen, dass diese Tiere von »Geselligkeitsobjekten« des 17. Jahrhunderts im Laufe des 18. Jahrhunderts zu Hausfreunden wurden (S. 83). Die Szenen, in denen sie dargestellt wurden, nehmen in immer intimeren Räumen Platz, oft auch mit Musikinstrumenten, als »Begleiter oder Gefährte der Frau« (S. 85). Besonders interessant in diesem Kapitel sind die Ausführungen über die Praktiken zur Zähmung und Domestizierung von Singvögeln, die verschiedenen Typen von Käfigen, die in den zahlreichen Vogelhaltungsratgebern empfohlene Pflege (Hygiene, Ernährung, Beleuchtung, usw.), und die kurz vor der Französischen Revolution auftauchende, neue Interpretation des unterdrückten Vogels, eingehegt durch seinen Käfig (S. 100f.). Mit dem Aufkommen in den 1780er Jahren eines neuen Bewusstseins für Hygiene und Schutz im öffentlichen Raum wurde das Zusammenleben von Menschen und Tieren in der Stadt anders reglementiert. Vögel als Bestandteil der Privatsphäre galten als unproblematisch (S. 105) und daraus schließt Breittruck, dass »diese Tiere [sich somit] dem Zugriff der Pariser Obrigkeiten [entzogen] und damit zur Bildung der Privatsphäre als Ort und Raum [beitrugen]«, was der Rezensentin als Schlussfolgerung recht gewagt vorkommt.
Im weiteren Kapitel führt sie die Praktiken zur Erziehung von Singvögeln mit der Kultiviertheit deren Besitzerinnen und Besitzer zusammen. Die Verknüpfung zwischen beiden Aspekten leuchtet ein, denn in der Musikerziehung, der Pflege des Vogels und der emotionalen Bindung zum Tier spiegelt sich die Einübung und Etablierung von Verhaltensweisen auch bei Menschen wider. Die hiesigen Ausführungen über damalige Praktiken der musikalischen Dressur von Singvögeln gehören der Ansicht der Rezenstin nach zu den spannenden Erkenntnissen des Buches. Die literarischen Instruktionen u. a. für die Kanarienvogelhaltung zeigen ein bislang kaum bekanntes Genre auf, das Anthropomorphismus, humanisierten Umgang mit Tieren und ein neues Verständnis von musikalischer Erziehung miteinander verknüpft. Die Vogelhaltung wird somit zur Illustration des zivilisierten – da gewaltlosen – Umgangs mit Haustieren (S. 148).
Das letzte Kapitel knüpft an die vorherige Frage, »wie Vogelhaltungspraktiken als private Beschäftigung zu einem Element der Erziehung wurden«, an, um geschlechtsspezifisch zu hinterfragen, inwiefern die Tierhaltung das jeweilige Selbstverständnis sowie die Gesellschaftsvorstellungen beeinflusste (S. 149). Hinweise zur Pflege eines Stubenvogels nahmen in Briefen von Kindern, Jugendlichen und jungen Frauen einen wichtigen Anteil ein. Hier wird die Tierhaltung als Teil des Erziehungsprogramms der Mädchen aus amtsadeligen Familien verstanden. Die Analyse der Korrespondenz zwischen Geneviève Randon und Adélaïde Méliand zeigt, wie die beiden jungen Frauen auf ihre Vögel ihre eigenen Sorgen und Wünsche, ihre Vorstellung von der Frauenrolle sowie ihre Moralvorstellung projizierten. Die Korrespondenz, die Emotionen und Moral miteinander verbindet, zeichnet sich durch den ausgeprägten Anthropomorphismus der zwei Vogelbesitzerinnen aus. Interessanterweise verwendete Geneviève, um ihre Empörung auszudrücken, das Italienische statt des Französischen. War es ein Mittel der Ästhetisierung oder eher der Bearbeitung bzw. der Verdrängung eines schockierenden Erlebnisses? Beides wäre möglich, muss aber offenbleiben. Fest steht die Personifizierung der Vögel im Privat- wie im Gesellschaftsleben, die sich in der Auswahl der Kosenamen, ihrer Abbildungen bis hin zu den zur Ehre der Singvögel angefertigten Grabmälern widerspiegelt (S. 182).
Zum Schluss muss hervorgehoben werden, wie vielfältig die Perspektiven und somit die Erkenntnisse, die diese subtile und gewinnbringende Studie uns liefert, sind. Die Verquickung zwischen Vogelhaltung, aufklärerischen Erziehungsprinzipien, Moralvorstellungen und Tugendhaftigkeit kann auf den ersten Blick gewagt erscheinen, aber die vielfältigen Fragen, die sowohl ökonomischer als auch kultureller und sozialer Natur sind, zeugen von der Komplexität des Themas. Einige Schlussfolgerungen erscheinen ein bisschen überinterpretiert, wie z. B. im Zusammenhang mit der Konstituierung von Privat- und anderen Räumen. Aber dies ändert nichts daran, dass Breittrucks Buch mit Genuss zu lesen ist und hoffentlich für die Aufklärungsforschung inspirierend wirken wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Isabelle Deflers, Rezension von/compte rendu de: Julia Breittruck, Ein Flügelschlag in der Pariser Aufklärung. Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Menschen und ihren Vögeln, München (Universitätsbibliothek der LMU München) 2021, 240 S. (Beiträge zur Geschichte und Kultur Westeuropas, 1), ISBN 978-3-95925-065-8, EUR 22,90., in: Francia-Recensio 2022/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.91971