Das knapp 500 Seiten starke Buch ist der fünfte der auf 13 Bände angelegten und seit 2004 erscheinenden Kölner Stadtgeschichte. Angesichts der Dimensionen dieses Jahrhundertwerks ergibt sich die Möglichkeit, einen ungleich näheren Blick auf die behandelten Epochen und deren Teilepochen zu richten als in anderen Unternehmungen dieser Art. Während etwa die in Bearbeitung befindliche Frankfurter Stadtgeschichte für die Frühe Neuzeit nur einen einzigen, bis 1789 reichenden Band vorsieht, bietet Köln für die Epoche derer nicht weniger als drei, nämlich neben dem nun vorliegenden Band jenen von Hans-Wolfgang Bergerhausen zum 17. und von Gerd Schwerhoff zum 18. Jahrhundert (2010 bzw. 2017). Erwähnt sei auch die Behandlung der 20-jährigen französischen Phase durch Klaus Müller (2005).
Schon aus den jeweils mehrere Jahre auseinanderliegenden Publikationsdaten der Bände erwächst das praktische Erfordernis, jeden einzelnen als geschlossenes Ganzes zu konzipieren. Das hat natürlich Vorteile, bringt aber unweigerlich die Duplizierung von Inhalten außerhalb der Ereignisgeschichte mit sich, die weitgehend gleichblieben oder sich nur graduell veränderten, beispielsweise im Bereich der Topografie und der Rechts- und Verfassungsgeschichte. Trotz der relativen Komplementarität der Bände zeigt doch ein jeder die Handschrift seines Verfassers. Im gegebenen Fall ist es die eines ausgesprochenen Experten für die vormoderne »piété populaire« im Allgemeinen und in Köln im Besonderen. 1947 in Paris geboren, war Gérald Chaix seit 1994 Professor für Moderne Geschichte an der Universität François-Rabelais in Tours und bis zu seiner Entpflichtung 2013 Rektor der Akademien in Straßburg und Nantes. Seine wissenschaftlichen Anfänge hatte er aber an der Universität Köln, nachfolgend am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte genommen. Chaix hatte, wie er im Vorwort mitteilt, über die Beschäftigung mit der Kölner Kartause zur Kölner Stadtgeschichte gefunden. 1981 legte er seine voluminöse Studie über die Kartause St. Barbara vor. 1994 folgte die noch umfangreichere Habilitationsschrift (»thèse d’État«), die sich, auf einer breiten Prosopografie basierend, der religiösen Lebenspraxis und den Akteuren Kölns in einem größeren Wahrnehmungsradius widmete.
Während sich Chaix damit von den ideengeschichtlichen Anfängen stärker der Sozialgeschichte Kölns zuwandte, blieb die religions- und kirchengeschichtliche Dimension in seinem Schaffen doch vorherrschend. Sie dominiert auch diesen Band, was bereits an dessen Titel ersichtlich wird. Im Vorwort teilt er denn auch mit, die ihn beschäftigende Leitfrage sei, »wie die Stadt sich zur Monopole des Katholizismus entwickelte« (S. 4, ähnlich S. 112: »Diese Frage dient als roter Faden für das gesamte Buch«). Dass die Ergebnisse seiner großen Studien in diese Stadtgeschichte eingeflossen sind, darf man unabhängig von der gewählten thematischen Akzentuierung begrüßen. Beide Werke dürften nämlich selbst der wissenschaftlichen Forschung weitgehend verschlossen geblieben sein, da sie jeweils dreibändig, in französischer Sprache verfasst und im Falle der Habilitation nur im Microfiche-Format zugänglich sind. Die Fertigstellung des vorliegenden Bandes hat, wie Chaix selbst einräumt, eine sehr lange Zeit in Anspruch genommen. Das von ihm ursprünglich in französischer Sprache verfasste Buch hat, wie er schreibt, aufgrund seiner dienstlichen Verpflichtungen lange auf sich warten lassen.
Chaix hält es wie die anderen Verfasser und kombiniert zeitlich definierte Entwicklungsabschnitte mit thematischen Betrachtungen, wobei zwei Halbjahrhunderte den Betrachtungszeitraum scheiteln: 1512 bis 1562 und nachfolgend bis 1610. Seine Darstellung gliedert er (abgesehen von Einleitung und Bilanz) in acht Hauptkapitel: »Köln zwischen Darstellung und Wirklichkeit: 1512/13–1562«, »Das politische Leben in der ersten Jahrhunderthälfte«, »Bildung, Buch und Kunst: Zwischen Tradition und Erneuerung«, »Die zweite Jahrhunderthälfte (1562–1610): Krisen und Veränderungen«, »Bedrohungen von außen und innere Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts«, »Religiöses Leben zwischen Reformen, Reformation und katholischer Reform«, »Kultur und Gesellschaft zwischen Renaissance und Barock«. Jedem dieser Abschnitte – das ist eine neue Verfahrensweise in der Gesamtreihe – sind synoptische Texte vorangestellt. Auf diese Abschnitte verteilen sich insgesamt 32 Kapitel, die wiederum auf dritter Ebene in jeweils drei Teile zerfallen.
Den Auftakt bildet der Abschnitt, der sich auf gut 50 Seiten eine lebensnahe Schilderung der Daseinsbedingungen und sozialen Praktiken im ersten behandelten Halbjahrhundert vornimmt. Die bedeutende, ungemein detailgetreue Kölner Stadtansicht von 1531 (»Woensamplan«) spielt hier eine zentrale Rolle (und ist dem Band als Faltblatt mitgegeben), allerdings nicht in der Breite wie im Spätmittelalterband Herborns/Dietmars, der sich dieser frühneuzeitlichen Quelle erstaunlicherweise bereits in extenso angenommen hatte. Daneben – und das kann nicht verwundern – dient Chaix das schier unerschöpfliche »Buch Weinsberg« (respektive Weinsbergs chronikalisches »Gedenkboich«) einmal mehr dazu, um einen, wie es heißt, »Blick auf die Kölner Normalität« zu werfen (S. 16). Chaix zeigt sich in diesem Bereich für Aspekte der so genannten »Neuen Kulturgeschichte« offen, allerdings ist die Dokumentationsdichte hier auffallend gering, einzelne Beobachtungen finden eher selten Niederschlag in den Hauptgang der nachfolgenden Argumentation.
In das Jahr 1562 fiel jener Ratsbeschluss, der die Katholizität der Ratsherren vorschrieb (S. 3). Ob dieser Referenzpunkt eine wirklich schlüssige Zweiteilung der Darstellung begründet, ließe sich diskutieren. Denn höchstens mit Ausnahme der Täufer hatte Köln bis dahin keine signifikanten protestantischen Tendenzen erfahren. Erst ab 1579 wurde die Bestimmung von einer protestantischen Minderheit unterwandert, anfangs ausgerechnet aus der Gaffel des ängstlich jede Veränderung scheuenden Hermann Weinsberg. Diese Vorgänge setzten sich bis 1610 fort. Stärker noch gegen diese Zäsur spricht eine andere Entwicklung, nämlich die 1565 einsetzende Massenbewegung von Exulanten aus den Niederlanden, die nach Schätzungen von Heinz Schilling zeitweilig an die 2 000, meist reformierte Personen nach Köln führte. Die Stadt wurde nun multikonfessionell und multikulturell – wider Willen, versteht sich (Kap. 28). Chaix schildert in diesem Zusammenhang zwar repressive bzw. Gewalthandlungen des Rats gegen konfessionelle Minderheiten, bedient sich allerdings häufig des Passivmodus und mithin auch apologetisch anmutender Formulierungen. Das beginnt schon mit der Kommentierung der Verbrennung der Lutherbibel 1520 und der Hinrichtung des immerhin vom Bürgermeister denunzierten Adolf Clarenbach 1529, beides mit allerlei Relativierungen versehen (»keine bewusste konfessionelle Entscheidung«, S. 93). Das diesbezügliche Kapitel lautet »Eine Reichsstadt zwischen Standhaftigkeit und abwartender Haltung«. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, als gelte dem Verfasser das zeitgenössische Ordo-Ideal als Maßstab seiner eigenen historiografischen Bewertung. Dem entgegen könnte man die Tatsache, dass die politisch Handelnden in Köln alles taten, um Parität abzuwenden, als Grund für eine ausgesprochene Fehlentwicklung sehen, die nicht allein im Braindrain ökonomischer Eliten bestand.
Da das Leitinteresse an der Wahrung der Katholizität von der Einleitung bis zum recht wolkig überschriebenen Schlusswort reicht (»Ein Jahrhundert zwischen spannender Geschichte und lebendiger Erinnerung«), sei bei aller Vielfalt der entwickelten Aspekte doch das diesbezügliche Kernergebnis festgehalten: Die Vielzahl der nicht weniger als 19 Pfarreien (allzu kurz S. 307–309) und von noch mehr Predigtorten, die im ausgehenden Mittelalter intensivierte Armenpflege (S. 32, 37, 228), die »Vielfalt und Dichte an Bruderschaften« (S. 321), die kirchliche Liturgie und Festkultur im Ganzen, der Buchdruck, der ab der Jahrhundertmitte immer stärker zur Vermittlung rein katholischer Glaubensinhalte tendierte, die geistige Atmosphäre von »Renaissance« und Humanismus – all dies in Kombination, so Chaix, wirkte sozial wie mental integrativ und angesichts der reformatorischen Herausforderung letzten Endes stabilisierend. Diese These einer »fonction d’intégration« hatte Chaix bereits in seiner Habilitation und in weiteren Publikationen formuliert. Aber ist sie überzeugend? Allein die Pfarrstrukturen bieten hier keinen festen Anker. Schließlich wurde das nicht halb so große Erfurt mit 28 Pfarreien protestantisch, das nicht einmal ein Viertel so große Speyer mit derer 11 bekanntlich auch. Die Notwendigkeit qualifizierender Befunde multikausaler Erklärungen wird sich also nicht bestreiten lassen.
Indes könnte man ein schlüssiges Argument für die Priorisierung der schon oft und auch von Chaix gleich zu Anfang aufgeworfenen Frage: »Why was there no reformation in Cologne?« für wichtiger halten als deren Beantwortung. Schließlich könnte man beispielsweise einen deutlichen Kontrapunkt setzen und die Stadtgeschichte am Maßstab sozialwissenschaftlicher Urbanitätsforschung schildern. Methodisch reflektierte Aussagen darüber, wie eine moderne Stadtgeschichte – hier diejenige Kölns im 16. Jahrhundert – idealerweise beschaffen sein könnte, fehlen indes. Umso mehr vermisst man die Beigabe einer Einleitung, die den Forschungsstand zu reflektieren hätte, statt wie geschehen nur in einem Vorwort Namen aufzulisten (S. 2).
Wer den Band als eine Problematisierung empirischer Befunde und analytischer Bewertungen liest, wird vermutlich enttäuscht werden, denn für punktuelle Vertiefungen ist kein Raum. Dennoch hätte man sich aufgrund des Kollapses des Kölner Stadtarchivs 2009 ein Räsonnement darüber erwarten dürfen, welche Quellensituation sich dem Verfasser eigentlich bot. So sei nur nachgetragen, dass Chaix nach Ausweis der Endnoten in der Tat Archivalien herangezogen hat, insbesondere Ratsprotokolle, ohne sich aber irgendwo darüber auszusprechen. Dass es auch in diesem Band kein Verzeichnis der ungedruckten Quellen gibt und dass auch die verwendeten Siglen unaufgelöst bleiben, ist dem Verfasser nicht anzulasten. Es handelt sich um einen verschleppten Fehler im Redaktionsprozess, der allen Leserinnen und Lesern die Orientierung darüber erschwert, wie es mit Köln nach 2009 weitergehen kann.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stephan Laux, Rezension von/compte rendu de: Gérald Chaix, Köln im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform 1512/13–1610, Köln (Greven Verlag) 2021, 504 S., 100 Abb. (Geschichte der Stadt Köln, 5), ISBN 978-3-7743-0446-8, EUR 60,00., in: Francia-Recensio 2022/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.91974