Die von Jean-Dominique Delle Luche vorgelegte Monografie zu »gezielten Freundschaften« (amitiés ciblées) ist eine für den Druck stark überarbeitete und gekürzte Version seiner 2015 an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) eingereichten Dissertation. Die ursprüngliche Studie behandelte das gesamte Schützenwesen (Schützengesellschaften und Schützenfeste) im Heiligen Römischen Reich einschließlich der Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert. In der hier präsentierten gedruckten Fassung stehen Schützenfeste sowie die Verbindungen dieser Ereignisse zu städtischer Kommunikation und Diplomatie im Mittelpunkt. Der Untersuchungszeitraum orientiert sich an der Überlieferungssituation: Während das Schützenwesen in Städten in Flandern und Brabant bereits im 14. Jahrhundert gut organisiert war, fehlen im mittelalterlichen Reich für diese Zeit noch schriftliche Quellen. Nach Delle Luche sind das 14. und 15. Jahrhundert hier als wichtige Übergangszeit anzusehen, in der es zu einer »révolution de l’écrit (Verschriftlichung)«, der Verdichtung der Entstehung städtischer Institutionen und zu einer Verstärkung von Vergesellschaftungsprozessen gekommen sei. Diese Entwicklungen hätten sich auch auf dem Gebiet der Organisation von Spielen und sportlichen Aktivitäten niedergeschlagen (S. 22). In den 1580er-Jahren gab es wesentliche Veränderungen in der Waffentechnik wie den Übergang von der sog. Zielbüchse zur Muskete. Das Schützenfest von Regensburg von 1586 markiere vermutlich den Endpunkt einer ganzen Reihe von großen, seit den 1550er-Jahren veranstalteten zwischenstädtischen Schützenfesten. Die einschneidendere Zäsur stelle jedoch der Dreißigjährige Krieg dar (S. 22). Schützenfeste wurden nicht nur von Reichsstädten und freien Städten, sondern auch von fürstlichen Haupt- bzw. Residenzstädten und anderen landesherrlichen Städten (wie München, Würzburg, Stuttgart, Dresden, Heidelberg, Erfurt) ausgerichtet. Mitunter fanden Schützenfeste auf ausdrücklichen Wunsch des Stadtherren und teilweise mit dessen finanzieller Unterstützung oder zu Ehren hochgestellter Persönlichkeiten wie Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg und seines Sohnes Friedrich statt (S. 72–73). Der Untersuchungsgegenstand liefert auf diese Weise auch sehr interessantes Material für den Vergleich unterschiedlicher Stadttypen. Innerhalb der behandelten Epoche gab es mehr als tausend Schützenfeste in einer Vielzahl unterschiedlicher Städte – auch wenn natürlich große finanzstarke Städte wie Augsburg, Straßburg oder Nürnberg, aber auch das kleinere Nördlingen und Esslingen eine bedeutende Rolle spielten. Die Beteiligung der Städte am Zyklus der Schützenfeste gehorchte häufig Hierarchiegesichtspunkten innerhalb des Städtenetzes (auf Reichsebene und auf regionaler Ebene). Geografisch gesehen bezieht sich die Studie im Wesentlichen auf die deutschsprachigen Reichsteile einschließlich der heutigen Schweiz. Kerngebiete sind süddeutsche Regionen, das Elsass und die Eidgenossenschaft, gelegentlich werden auch rheinische, sächsische und, seltener, schlesische Beispiele angesprochen.

Methodisch betrachtet möchte die Arbeit einen Beitrag zur vergleichenden Stadtgeschichte des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Reiches als komplexem politischen und kulturellen Raum leisten (z. B. Selbstinszenierung der Städte innerhalb von Städtelandschaften und regionalen Netzwerken) – aber auch zur historischen Anthropologie des vormodernen Sports und der »Sportdiplomatie« (diplomatie sportive). Der Autor wählt eine narrative Darstellungsform. Die Kapitelanordnung folgt den einzelnen Phasen im Ablauf der Organisation eines Schützenfestes, von der Entscheidung, eine Veranstaltung durchzuführen, bis zu deren Ende und der späteren Erinnerung an das Ereignis. Diese Vorgehensweise wird anhand von sechs Verben illustriert: organisieren (organiser), einladen (inviter), empfangen (accueillir), am Wettkampf teilnehmen (concourir), spielen (jouer, gemeint ist hier das Rahmen- bzw. Fest- und Begleitprogramm, zu dem auch Wettläufe, Würfelspiele etc. gehören konnten) und »unsterblich machen« (immortaliser, in literarischen Darstellungen, Berichten, Chroniken, etc.), (S. 37–38).

Auf eine Einleitung folgen sechs jeweils durch eine Zusammenfassung abgeschlossene Kapitel, am Ende steht eine Gesamtbilanz. Der Band wird durch mehrere Anhänge abgerundet, darunter die Edition eines von Frankfurt am Main an die Stadt Eich gerichteten Einladungsbriefes zu einem Schützenfest von 1506 (S. 265–269); eine tabellarische Übersicht über die Aktivitäten der sog. Pritschenmeister, die die Erinnerung an Schützenfeste in literarischer Form festhielten (S. 271–273); Hinweise zur Karriere eines besonders markanten Pritschenmeisters, Lienhart Flexel (aktiv ca. 1550–1579, S. 275–277) und eine anhand von städtischen Archivalien bzw. Konten und Rechnungen erstellte Übersicht zur Beteiligung der Nördlinger Schützen an Schützenfesten zwischen 1407 und 1579 (S. 279–291). Hinzu kommen Hinweise zu Maßen und Münzen, ein detailliertes Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Register und ein äußerst bemerkenswerter Abbildungsteil, der es dem Leser erlaubt, sich einen optischen Eindruck von den Schützenfesten zu machen. Dort sind Beispiele für die wichtigsten Quellentypen zu finden: handschriftliche und gedruckte Schützenbriefe, [teilweise] farbige Illustrationen aus Chroniken; Berichte und Ergebnislisten, Register über den Ablauf von Schützenfesten und, als Beispiel für ein Objekt, ein Foto des Pokals zur Erinnerung an die Teilnahme der Züricher am Straßburger Schützenfest von 1576.

Nachdem in der Einleitung methodische Fragen und Forschungsstand erörtert wurden, behandelt das erste Kapitel die Entscheidungsfindung: Warum, von wem und wann wurden Schützenfeste angesetzt und/oder verschoben (z. B. wegen Kriegen und anderen Konflikten, Epidemien, klimatischen Faktoren). Erörtert werden auch die Folgen von Reformation, Bauernkrieg und Konfessionsspaltung. Die Saison für Schützenfeste begann vor allem in den Monaten Mai und Juni. Ein Schwerpunkt lag in August und September. Im Oktober wurden sie seltener. Schützenfeste konnten auch in zeitlichem Zusammenhang mit Ereignissen wie Messen, Reichstagen oder Fürstenhochzeiten stehen und in Form regionaler Zyklen stattfinden. Das zweite Kapitel analysiert Einladungen, die sog. Schützenbriefe (Verwendung von Formen und Formelbüchern, Rückgriff auf Modelle aus anderen Städten, Kopien, Adressaten, Verwendung von Handschrift und Buchdruck, Archivierung bzw. Verzicht darauf). Im dritten Abschnitt steht das Schützenfest als Versammlung im Zentrum (Entsendung, Auswahl und Finanzierung von Delegationen; Infrastrukturmaßnahmen und Sicherheit/Geleit, Beherbergung der Gäste, Empfangs- und Verabschiedungsrituale). Im vierten Kapitel geht es v. a. um sportliche Aspekte im engeren Sinn (praktische Durchführung des Wettbewerbes, Entwicklung der Waffentypen [Armbrust, Feuerwaffen wie sog. Zielbüchsen]; Regeln und deren Kontrolle durch Schiedsrichter; Kriterien der Leistungsbewertung; Charakter, Wert und Finanzierung von Preisen). Das vorletzte Kapitel untersucht das Fest- und Rahmenprogramm der Schützenfeste und die dabei am Rande veranstalteten Spiele, darunter auch zur Finanzierung organisierte Lotterien (Glückshäfen). Am Ende, im letzten Kapitel, wird das Nachleben der Feste, vor allem in gereimten Berichten der sog. Pritschenmeister, behandelt.

Alles in allem widmet sich die Monografie zwar einem sehr speziellen Thema und sie wird daher zumindest auf den ersten Blick zunächst Sporthistoriker oder Schießbegeisterte interessieren. Bei einer näheren Beschäftigung zeigt sich jedoch, dass das Buch auch sehr interessante Aspekte der Kultur- und Mediengeschichte anspricht (z. B. Ausbreitung und Einsatz des neuen Mediums des Buchdrucks für Einladungsschreiben, Umgang mit Siegern und Besiegten). Es gab häufig eine relativ hohe Anzahl von Preisen und Siegern, aber auch rituelle Demütigungen von Verlierern bzw. der schlechtesten Schützen. Die Wettbewerbe dienten der Selbstdarstellung und Konkurrenz der Städte, sie festigten aber auch das regionale Zusammengehörigkeitsgefühl und (Städte-)freundschaften und verdeutlichten die Hierarchie in Städtenetzen. Besonders bemerkenswert sind der Vergleich verschiedener Stadttypen, die Berücksichtigung von kleineren oder sonst seltener in stadtgeschichtlichen Monografien behandelten Städten (wie Windsheim, Kitzingen, Würzburg und andere mainfränkische Städte) und die Tatsache, dass in ganz außergewöhnlichem Umfang bisher ungedruckte Texte oder Frühdrucke, auch aus kleineren Archiven, herangezogen wurden. Die Ergebnisse sind in jahrelanger Arbeit äußerst gründlich und auf sehr breiter Basis dokumentiert und sie werden durch reizvolles Bildmaterial ergänzt. Im Ergebnis lohnt sich die Lektüre sehr – nicht nur für am Schießsport Interessierte – sondern aus diversen Blickwinkeln und für unterschiedlichste Leserkreise.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Jean-Dominique Delle Luche, Des amitiés ciblées. Concours de tir et diplomatie urbaine dans le Saint-Empire, XVe–XVIe siècle, Turnhout (Brepols) 2021, 382 p., 30 ill. en n/b et 14 ill. en col. (Studies in European Urban History [1100–1800], 51), ISBN 978-2-503-59017-2, EUR 96,00., in: Francia-Recensio 2022/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.91980