Der vorliegende Sammelband ist aus der Tagung »Wissen und Berichten. Europäische Gesandtenberichte der Frühen Neuzeit in praxeologischer Perspektive«, die vom 7. bis 9. April 2016 im Historischen Institut der RWTH Aachen stattfand, hervorgegangen. Er umfasst neben einer längeren programmatischen Einleitung von Christine Roll, sieben der ursprünglich vierzehn Tagungsbeiträge und einen Schlusskommentar von Marian Füssel. Dass es nur die Hälfte der Referate in diesen Band geschafft haben, ist bedauerlich, da so der Blick, der hier auf die facettenreichen Aspekte der Berichtspraxis frühneuzeitlicher Diplomatie geworfen wird, nur ausschnitthaft bleibt. Allerdings erlaubt die gewählte Darstellungsform des Bandes, wie die Mitherausgeberin Roll ausführt, eine Reihe von »praxeologischen Tiefenbohrungen« in das Berichtswesen und seinen kommunikativen Settings der europäischen Diplomatiegeschichte zusammenzustellen, ohne dabei einen »Verallgemeinerungsanspruch« erheben zu wollen (S. 39).

Ganz für sich stehen die verbliebenen ausgearbeiteten Beiträge aber auch nicht. So stellt die Einleitung einen ambitionierten Forschungsplan vor. Danach soll versucht werden, das »volle Leben« und »das Ganze«, welches aus den frühneuzeitlichen Gesandtschaftsberichten spricht, aus ihrem Schattendasein zu befreien (S. 9). Ein angebliches »Denken in Systemen und Strukturen« habe die Gesandtenberichte zu bloßen Informationsträgern reduziert. Dabei seien sie lediglich »als Quelle verwendet«, dabei aber kaum »als Quelle thematisiert« worden. Das sei, so Roll, »der blinde Fleck der diplomatiegeschichtlichen Selbstreflexion« (S. 10). Wie aber ist die »Fülle des Lebens in den Gesandtenberichten« (S. 17) wahrzunehmen bzw. methodisch wieder einzuholen? Die Zauberformel als Antwort auf diese Frage lautet: Praxeologie. Bediene man sich nur einer praxeologischen Perspektive in der Analytik frühneuzeitlicher Gesandtenberichte, würde der vernachlässigten »materiellen« und »medialen« Funktion dieser »Textsorte« wieder mehr Geltung verschafft (S. 30). Roll ist zuzustimmen, dass dadurch insbesondere auf die Akteure, nämlich auf die Berichterstatter und ihrer »Selbstüberlieferung« (Daniel Schläppi) mehr Licht geworfen wird. Auch was die Entstehung von »Routinen« (S. 37) als Inklusions- und Exklusionsmechanismen in der kommunikativen Praxis angeht, stellen die Gesandtenberichte ein zentrales Genre dar. Sie gilt es zu beachten, wenn man etwa verstehen will, wie sich das europäische Staatensystem im Verlauf der Neuzeit gegenüber dem Rest der Welt so sehr abgrenzen konnte.

Dass allein der Fokus auf die Praxis des Berichtens nicht automatisch zu neuen Erkenntnissen führt, ist auch der Herausgeberin klar. Um die unterschiedlichen Beiträge systematisch zu rahmen, ordnet sie diese vier Blöcken zu, die »Materialität« (1), »Medialität« (2), »narrative Strategien« (3) und »Informationsverarbeitung von Gesandtenberichten« (4) thematisieren. Ungleichgewichtig finden sich jeweils ein Beitrag für den ersten, zweiten und vierten Themenblock, vier dagegen für den dritten, der daher in einen Bereich der narrativen Strategien, der Rollenerwartungen und einen der Vertrauenswerbungen untergliedert ist. Der Materialität des Papiers als wichtigstem Medium frühneuzeitlicher Berichte ist der erste Beitrag von Megan K. Williams gewidmet. Ihr Beispiel der Bedeutung des artifiziellen Charakters des Papiers, eine diplomatische Korrespondenz des ungarischen Königs mit Venedig nach der Schlacht bei Mohács, ist klug gewählt, um den Informationsgehalt des Mediums zu demonstrieren. Die Verwendung von Papier schlechter Qualität anstelle des sonst üblichen Pergaments, das eigentlich im sonst rinderreichen Ungarn im Übermaß vorhanden war, indiziert die umfassenden Zerstörungen im Land. Der Beitrag von Williams entspricht noch am meisten von allen anderen Texten der praxeologischen Zielsetzung des Bandes. Ganz überraschend sind die Befunde der politischen Funktion des Papiermediums allerdings nicht. Schon Harold Innis und die von ihm begründete Toronto-School, zu der auch Marshall McLuhan gehört, haben das Thema eingehend behandelt. Diese Namen, wie überhaupt Verweise auf die Medientheorie und ihre Anwendungen auf die Schreibpraxis in der Frühen Neuzeit, fehlen im Band. Die Formulierung, dass oft das »Medium Teil der Botschaft ist« findet sich aber dennoch (S. 41), und zwar in Referenz auf Michael Kaisers Beitrag über den Schreiber, der hinter den Berichten steht. Kaisers Beispiel ist Johann van der Veecken, ein niederländischer Agent in Diensten Kurkölns während des Dreißigjährigen Kriegs. Der Befund, dass die Person hinter den Berichten zurücktreten, ja sogar verblassen konnte, zeigt eindrücklich, wie das diplomatische Geschäft auch von vermeintlich neutralen Experten geführt werden konnte. Man bediente sich ihrer, wenn sie es überzeugend verstanden, die Berichtstätigkeit als mediale Praxis in professioneller Manier anzubieten.

Auffällig an der Auswahl der Beiträge ist die Disparatheit der historischen Kontexte, in denen diplomatische Berichtspraxis untersucht wird. Zwar handelt die Mehrzahl von Fällen im Alten Reich, allein drei im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Friedensverhandlungen. Doch geht der Blick auch nach Osteuropa, etwa von Dorota Dukwicz, die sich mit den russischen Gesandten in Polen zur Zeit der Auflösung der Adelsrepublik Polen-Litauens beschäftigt. Ein Ergebnis ihrer Untersuchung lautet, dass mit dem Austausch der Gesandten meist auch ein Politikwechsel seitens des Zarenhofs gegenüber dem Umgang mit Polen einherging. Berichte als Textsorte stehen in diesem Beitrag allerdings nicht im Zentrum. Akteurszentriert, wenn auch mit deutlicher Aussagekraft gegenüber der Berichtspraxis, ist der Beitrag von Florian Kühnel. Er arbeitet die Rolle der Autorschaft der Gesandtenberichte am Beispiel eines Sekretärs des Gesandten der Levant Company an der Hohen Pforte in Istanbul heraus. Dieser Sekretär, Thomas Coke, war Ende des 17. Jahrhunderts im Amt und erfüllte eigentlich sämtliche Aufgaben seines Prinzipals, was ihm großen Einfluss auf die diplomatische Arbeit gab. Die Autorschaft der Gesandtenberichte und damit auch das Verhältnis zwischen Gesandten und ihren Sekretären müsse daher auch in anderen Fällen genauer überprüft werden. Lena Oetzel untersucht ebenfalls die Autorschaft der Berichte, und zwar am Beispiel zweier Textsorten, dem Diarium und den Relationen der kursächsischen Gesandtschaft auf dem Westfälischen Friedenskongress. Sie hebt neben einer kollektiven Autorschaft, aber auch die Intertextualität zwischen Textsorten hervor. Zu diesen gehören nicht nur das protokollarische Diarium und der urteilende Bericht in Form der Relationen, sondern auch mindere Sorten wie Rechnungen, Beratungsprotokolle und Briefe an Dritte (s. Grafik, S. 118).

Zu den narrativen Strategien, die laut Roll das gemeinsame Band zwischen den Beiträgen des Mittelteils ausmachen, zählen auch solche Praktiken, mit denen Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei der Berichtspraxis erzeugt werden sollte. Matthias Pohlig beschreibt diese Techniken anhand der Unterscheidungen von formalen und informellen Berichterstattern, hier im Kontext des Spanischen Erbfolgekriegs. Danach seien formale Berichterstatter, wie offizielle Gesandte, nicht so sehr bemüht gewesen, narrative Glaubwürdigkeitsstrategien auszubilden. Stattdessen unternahmen informelle Korrespondenten, die, wie etwa Gesandtengattinnen, Fürstinnen, Künstler, Kaufleute, Spione oder dergleichen Akteure, auf die bislang in der Forschung kaum eingegangen wurde, besondere Anstrengungen zum Erwerb dieses symbolischen Kapitals. Den Schluss der Reihe bildet ein Beitrag zur Informationsverarbeitung von Dorothée Goetze. Sie konzentriert sich auf die Zirkulation der Gesandtenberichte und ihrer »Beilagen« durch die Adressaten. Durch die Verbreitung konnte man sich innerhalb der höfischen Gesellschaft, hier der kaiserliche Hof in Wien zur Zeit der Westfälischen Friedenskongresse, mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Brisante Information konnte auf nicht-offiziellen Wegen diffundieren und so den Entscheidungsprozess sozusagen kollektivieren.

Allgemeine Anmerkungen und Fragen sind vielleicht hilfreich für eine zukünftige Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand: So wäre zu wünschen, dass die Textsorte Gesandtenbericht klarer in Beziehung zu anderen Berichtsgenres, wie etwa dem Reisebericht, systematisch verortet wird. Zweitens fehlt gerade hinsichtlich der Thematisierung der Distanz, die Gesandtenberichte zu den Höfen überwinden helfen, die Berücksichtigung kolonialer Berichterstattung. Auch wenn diese Akten nicht formal zu den diplomatischen Unterlagen gehören, stellen sie doch die hier thematisierten Funktionen der Berichtspraxis ganz ähnlich, vielleicht sogar noch ausgeprägter, dar. Es wäre, drittens, genauer zu klären, wo die Grenzen des praxeologischen Ansatzes liegen. Was etwa ist gemeint mit »vor-praxeologischen, individuellen kommunikativen Handlungen«, die Roll erwähnt (S. 39)? Können Praxen des Berichtens mehr als über situativ bestimmte konstruierte Wirklichkeiten Auskunft geben? Und wenn ja, wie soll ein methodischer Ansatz aussehen, der »vor« die Überlieferungsartefakte der Gesandtenberichte und damit auf das kommunikative Setting ihrer Entstehung selbst zurückreichen soll?

Der vorliegende Band versammelt durchweg innovative und originelle Analysen frühneuzeitlicher Berichtspraxis. Es ist zu begrüßen, dass der Blick auf die Quelle mit jenem auf eine Textsorte vertauscht wird. Damit haucht man der praktischen Seite des diplomatischen Geschehens mehr Leben ein. Die »Fülle des Lebens« vermag dieser Band vielleicht nicht wiederzugeben. Eine Tür zu dieser bislang vernachlässigten Seite der Diplomatiegeschichte stößt er gleichwohl für zukünftige Forschung auf.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Benjamin Steiner, Rezension von/compte rendu de: Thomas Dorfner, Thomas Kirchner, Christine Roll (Hg.), Berichten als kommunikative Herausforderung. Europäische Gesandtenberichte der Frühen Neuzeit in praxeologischer Perspektive, Göttingen (V&R) 2021, 198 S., 1 Abb. (Externa, 16), ISBN 978-3-412-52367-1, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2022/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.91982