Kathryn Maude hat es sich in ihrem ersten Buch zum Ziel gesetzt, die Rolle von Frauen als Teil der literarischen Kulturen Englands und Schottlands zwischen ca. 990 und 1160 auf Basis solcher Texte zu analysieren, die sich an ein weibliches Publikum richteten. In mehreren Fallstudien untersucht sie altenglische und lateinische Quellen religiös-didaktischen Charakters, die sich direkt oder indirekt an Frauen – darunter Laiinnen, Reklusinnen oder Nonnen – wandten, indem sie beispielhaft weibliches Verhalten darstellten und Formen der Ansprache auf Erzählebene integrierten.

In der Einleitung verortet Maude ihr Buch im Kontext aktueller geschlechterhistorischer Ansätze zu »women’s literary culture« (S. 3–6), die die Vielfalt der Beteiligung von Frauen an der Produktion von Schriftlichkeit über die Tätigkeit als Autorin hinaus unterstreichen. Die Praxis des Adressierens habe die Entstehung und die Form von Texten beeinflusst, so Maude, und sei als »intimer Akt« (S. 2) zu verstehen: Ein männlicher Schreiber entwickele »intimes Wissen« über Leben und Wünsche seines intendierten Publikums, stelle so eine Beziehung zu einer oder mehreren, ihm bekannten oder unbekannten Adressatinnen her und versuche damit, Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens zu nehmen.

Es folgen vier sowohl chronologisch als auch thematisch angelegte Kapitel, die unterschiedliche Quellen, Personen und Beziehungskonstellationen behandeln. Der analytische Fokus liegt dabei stets auf einer sorgfältigen Untersuchung der gewählten Bezeichnungen für einzelne Personen oder Gruppen sowie den genutzten Personal- und Possessivpronomen als Markierungen direkter Ansprache. Auf dieser Basis arbeitet Maude den Grad heraus, in dem Frauen in die Texte einbezogen wurden, und legt die Arten und Weisen der Inklusion bzw. Exklusion aus der christlichen Gemeinschaft offen, die von dem jeweiligen Autor adressiert und imaginiert wurde. Mit Blick auf Schreibaufträge, Überlieferungskontexte, Abschriften oder Ergänzungen in den Handschriften wird außerdem punktuell diskutiert, welche Reaktionen die Adressatinnen und andere Frauen auf diese Texte zeigten oder welche Beziehungen sie zu ihnen besessen haben könnten.

Die erste Fallstudie fokussiert altenglische Predigten aus dem späten 10. Jahrhundert, die an ein gemischtes Publikum aus Mönchen, Laien und Laiinnen gerichtet waren. Maude arbeitet heraus, dass vor allem die Predigten des Ælfric meist Männer als »generic Christian listener« (S. 15) ansprachen. Die wenigen Momente, in denen Frauen direkt adressiert wurden, seien sehr allgemein gehalten und zeugten von wenig Kenntnis über oder Interesse an weiblichen Lebensumständen. Genau diese Texte seien jedoch abgeschrieben und verbreitet worden, sodass in der Gattung »Predigt« bis in das 12. Jahrhundert ein stark maskulines Modell christlicher Identität dominiert habe. Frauen hätten daher andere Textformen finden müssen, in denen ihre Erfahrungen als Christinnen thematisiert wurden.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen mit dem »Liber confortatorius« des Goscelin von Saint-Bertin (um 1080) und »De institutione inclusarum« des Ælred von Rievaulx (zwischen 1160 und 1162) Anleitungen für Reklusinnen. Beide Autoren richteten ihre Instruktionen an ihnen gut bekannte Frauen, doch Maude zeigt, dass sie unterschiedliche Strategien des Adressierens nutzten: Während Goscelin die Reklusin Eve monologisch dazu aufgefordert habe, ihr Leben konsequent an seinen Ratschlägen auszurichten, indem sie sich seine stetige Anwesenheit in ihrer Zelle vorstelle, habe Ælred seine als Reklusin lebende Schwester dialogisch als »fellow spiritual director« (S. 75) angesprochen, welche seine Ratschläge – auch bezüglich ihrer eigenen Anleitung jüngerer Frauen – selbständig habe befolgen oder verwerfen können. Die deutlich weitere Verbreitung des Werks Ælreds in Form von Abschriften und Übersetzungen bis in das 15. Jahrhundert spreche für seine Attraktivität bei Reklusinnen. Besonders dieses Kapitel beweist das Potenzial von Maudes Ansatz, denn sie gelangt überzeugend zu einer anderen Einschätzung als die bisherige Forschung, die die Schrift des Goscelin überwiegend als inklusiv und die des Ælred als misogyn bewertet.

Die Viten der Christina von Markyate und der Margaret von Schottland sind Gegenstände der dritten Fallstudie. Maude analysiert an ihrem Beispiel die Darstellung spiritueller Beziehungen zwischen männlichem Vertrauten und frommer Frau, indem sie danach fragt, wie diese Intimität konstruiert sowie in Bezug auf die Adressatinnen und Adressaten der Werke genutzt wurde. Turgot, der die Vita Margarets als ihr Beichtvater nach ihrem Tod verfasste (zwischen 1100 und 1107), adressierte das Werk an deren Tochter Matilda, die die Vita in Auftrag gegeben hatte und sie später womöglich als Anleitung gebrauchte. Der Autor habe seine intime Beziehung zu Margaret in der Vita genutzt, um diese als tugendhaftes Vorbild zu stilisieren, Matilda so ein exemplarisches Königinnen-Modell zu bieten und sie von einer Identifikation mit Margaret als Mutter wegzubewegen. Die Mutter-Tochter-Beziehung erhalte deshalb in der Vita im Vergleich zum Verhältnis zwischen Beichtvater und frommer Frau wenig Raum. Als ein Mönch von St Albans in den 1130er oder 1140er Jahren die Vita der Christina von Markyate verfasste, lebte diese noch. Maude zeigt, dass sich die Vita direkt an deren Auftraggeber, Abt Geoffrey, richtete, doch durch die Darstellung göttlicher Stimmen in Christinas Visionen zugleich diese selbst angesprochen worden sei. Christina sei durch die Visionen Autorität zugesprochen worden, um Ratschläge an Geoffrey weiterzugeben. Beide sollten so Regeln für eine angemessene Beziehung zueinander erhalten, schließt die Autorin. Ob dies auch den Wünschen Christinas entsprach, sei jedoch unklar.

In Kapitel 4 werden hagiografische Werke des Goscelin von Saint-Bertin für die Abteien von Wilton und Barking behandelt, die von deren weiblichen Gemeinschaften zwischen 1080 und 1100 in Auftrag gegeben wurden. Goscelin sprach in seinen Prologen jedoch nicht die Auftraggeberinnen direkt an, sondern die nach der normannischen Eroberung neu ins Amt berufenen Bischöfe, denen er die weiblichen Heiligen der beiden Gemeinschaften anempfahl. Auch wenn dies den Nonnen zwecks Patronage der Bischöfe nutzen sollte, habe die fehlende Ansprache sie als Randfiguren wirken lassen. Innerhalb der Texte, so legt es Maude dar, finden sich allerdings mehrfach, besonders im Kontext von Visionen, direkte Ansprachen zwischen Nonnen und Heiligen. So entstehe auf Erzählebene eine weibliche Gemeinschaft, die männlich-kirchliche Autorität für Entscheidungen innerhalb ihrer monastischen familia, etwa bezüglich der Wahl einer Äbtissin oder des Baus einer Kirche, nicht benötige. Am Beispiel der Legende und des Translationsberichts der Edith von Wilton zeigt Maude, dass dies vor allem für diejenigen Handschriften galt, die für die weiblichen Gemeinschaften und nicht die Bischöfe gedacht waren.

Am Ende des Buchs steht ein Fazit, das mit einer kurzen Analyse der für ein gemischtes Publikum aus Mönchen und Nonnen gedachten Predigt »De natali Domini« einsteigt, die eine Nonne in Winchester im frühen 12. Jahrhundert kopierte. Die Abschrift von Texten, die Beauftragung von Werken und die engen Beziehungen zu männlichen Vertrauten seien Ausdruck für den Wunsch von Frauen nach direkter Ansprache und echter Anerkennung ihres religiösen Lebens sowie Beleg für ihr Interesse an solchen Texten, die diese Wünsche einlösten, fasst Maude plausibel, aber wohl weniger überraschend zusammen. Anders als noch in der Einleitung des Buches angerissen (S. 3), versucht die Autorin hier nicht, Urteile darüber zu fällen, welche Vorschläge zur Lebensgestaltung die Frauen zu befolgen versuchten. Denn wie sie richtig feststellt, lässt sich nur in wenigen Fällen sicher belegen, dass Frauen die untersuchten Texte nutzten, ab- oder umschrieben.

Sowohl in der Bibliografie als auch in den Fußnoten fällt leider auf: Maude scheint die Handschriften der von ihr untersuchten Texte nicht oder kaum selbst konsultiert zu haben. Sie bezieht sich daher auch bezüglich ihrer Argumentationen zu Abschriften, Marginalien oder Ergänzungen auf die Editionen oder Ergebnisse anderer Historikerinnen und Historiker (z. B. S. 25f., 48, 85, 143, 169). Gleichwohl gelingt es ihr insbesondere durch den umsichtigen Quellenvergleich, verschiedenste Frauen in ihren Funktionen als Adressatinnen, Leserinnen, Zuhörerinnen oder Auftraggeberinnen religiöser Texte zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert differenziert sichtbar zu machen. Insgesamt trägt das Buch zu einem besseren Verständnis des breiten Spektrums der Strategien bei, die zur Vermittlung und Rahmung der Möglichkeiten weiblichen religiösen Lebens genutzt wurden, und regt außerdem Fragen dazu an, welchen Anteil die adressierten Frauen selbst an diesen gehabt haben könnten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Eva-Maria Cersovsky, Rezension von/compte rendu de: Kathryn Maude, Addressing Women in Early Medieval Religious Texts, Woodbridge (The Boydell Press) 2021, XIV–208 p. (Gender in the Middle Ages, 18), ISBN 978-1-84384-596-6, GBP 60,00., in: Francia-Recensio 2022/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.92119