»Nichts sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, als das, was es währungspolitisch tut«.

                                                                               Joseph Schumpeter1

Die Eurozone erlitt 2020 aufgrund der Corona-Pandemie einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,6 Prozent, die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg2. Daraufhin lockerte die EZB ihre Geldpolitik und erweiterte das Pandemie-Notfallprogramm auf 1.350 Milliarden Euro, um Staaten sowie auch Unternehmen und Haushalte zu unterstützen. Wachstum hatte Vorrang. Seit dem Ukraine-Krieg 2022 und dem damit verbundenen Anstieg der Energiepreise ist die Eurozone mit einem neuen Übel konfrontiert: die jährliche Inflation erreichte 9,1 Prozent im August3. Die EZB kehrte daher zu ihrem allerersten Stabilitätsziel zurück und beschloss, ihren Leitzins zum ersten Mal seit elf Jahren drastisch zu erhöhen: zunächst von 0 auf 0,5 Prozent im Juli, dann auf 1,25 Prozent im September.

Stabilität und Wachstum – das ist das Dilemma der EZB. Jede ihrer Entscheidungen erweckt heftige Reaktionen bei den in der EU lebenden Menschen. Zwanzig Jahre nach der Einführung der Einheitswährung herrscht immer noch keine Einigkeit über die Geldpolitik. Im Gegenteil: Der Euro ist für Populisten über nationale Grenzen hinweg ein rotes Tuch. In Südeuropa steht er für Austerität und Arbeitslosigkeit. In Nordeuropa hingegen für Laxheit und Inflation. Umso zeitgemäßer erscheint die Studie von Clemens Krauss zur Vorgeschichte der europäischen Währungsunion. Diese Dissertationsschrift knüpft an neuere Forschungen an, – hervorzuheben sind etwa »Architects of the Euro« und »The Euro and the Battle of Ideas«4 –, und untersucht die Entstehung einer europäischen Zusammenarbeit in der Geldpolitik in den 1970er-Jahren. Diese gilt einerseits als wirtschaftspolitische Reaktion der EU auf globale Währungsinstabilität, andererseits als Resultat eines wachsenden Konsenses über Währungsdisziplin unter ihren Mitgliedstaaten.

Clemens Krauss konzentriert sich hierbei auf die Rolle und den Einfluss der französischen und deutschen Zentralbanken in einer vergleichenden Perspektive. Er identifiziert drei Umbrüche, die ihre Handlungsräume und Orientierungsmaßstäbe grundlegend veränderten: den Zerfall des Bretton-Woods-Systems 1971/1973, die Ölpreiskrise 1973/1974 sowie die Entstehung des Europäischen Währungssystems 1978/1979. Mit dem Abschied von festen Wechselkursen und billigen Ressourcen ging der seit 1950 anhaltende Wirtschaftsboom zu Ende. Die neuen Herausforderungen – Stagflation, Haushaltsdefizite, Arbeitslosigkeit – erforderten neue Antworten, wie die Koordinierung der Geldpolitik zwischen den europäischen Zentralbanken. Diese drei Umbrüche bilden den roten Faden. Dem folgend zeichnet der Autor überzeugend nach, wie in einer sich rasch wandelnden Welt das deutsche Leitbild einer stabilitätsorientierten Währungs- und Wirtschaftspolitik an Bedeutung gewann, sodass sich die Banque de France seit 1973 allmählich der Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank annäherte. Diese Annäherung durch Wandel habe entscheidend zur Etablierung einer Währungsordnung in Europa beigetragen, so Krauss’ zentrale These.

Aber der Reihe nach: Das Buch geht zunächst in einem Einleitungskapitel auf die historischen, kulturellen und strukturellen Unterschiede der beiden Zentralbanken ein. In der Bundesrepublik war die Bekämpfung der Inflation die oberste Priorität der Geldpolitik. Die unabhängige Deutsche Bundesbank verstand sich als Hüterin der Preisstabilität und konnte sich gegenüber der Bundesregierung mehrfach behaupten. In Frankreich war die geldpolitische Kultur anders: Man sah die Geldentwertung als Pendant zum Wachstum, das aus sozialen und politischen Gründen der Stabilität vorgezogen wurde. Hauptziel der Banque de France, die gegenüber ihrer Regierung weniger Spielraum hatte als die Bundesbank, war es, zum Erreichen der vom Wirtschafts- und Finanzministerium angestrebten Wachstumsrate beizutragen. Aus diesen verschiedenen Ausgangslagen entstanden unterschiedliche Strategien und Ziele angesichts der Umbrüche der 1970er-Jahre.

Wie etwa, als das Ende von Bretton-Woods die Geldpolitik beider Zentralbanken auf die Probe stellte (Kapitel 2). Die Banque de France priorisierte die äußere Stabilität und sah freie Wechselkurse als Gefahr für den Welthandel. Die Deutsche Bundesbank hingegen gab der inneren Stabilität den Vorzug und betrachtete die Aufgabe fester Wechselkurse als Chance, die damit verbundene Spekulation zu beenden und die Preisstabilität effektiver zu wahren. Ab 1973 begannen alle Währungen zu floaten. Daraufhin reagierten die beiden Zentralbanken unterschiedlich. Die Banque strebte eine neue Währungsordnung an und hielt die EU für die richtige Ebene, um die Paritäten wieder festzulegen. Die Bundesbank wiederum wollte jede Form von Außenverpflichtung vermeiden, die ihr Stabilitätsziel erneut konterkarieren würde.

Mit dem Beginn der Ölpreiskrise (Kapitel 3) verschärfte sich die Inflation in der Bundesrepublik wie in Frankreich. Allerdings in einem anderen Ausmaß: So stieg das deutsch-französische Inflationsgefälle von unter 1 Prozent bis 1973 auf über 6 Prozent nach 19745. Die Bundesbank konnte sich auf Überschüsse, die Stärke der D-Mark sowie ihren Handlungsspielraum stützen, um eine strikte Kontrolle der Geldmenge einzuführen. Die Banque wollte den Preisanstieg bremsen, musste aber zugleich das Wachstum fördern, Defizite finanzieren, und dafür die Geldmenge erhöhen. Diese Stabilitätserfolge verliehen der ersteren eine Interpretationshoheit, während die letztere ihre Geldpolitik neuausrichten musste: 1976 führte auch die französische Zentralbank eine Geldmengensteuerung nach deutschem Modell ein.

Diese zwei Umbrüche prägten die entstehende Währungskooperation in Europa (Kapitel 4). Anfang der 1970er-Jahre vertraten die beiden Zentralbanken noch gegensätzliche Positionen. Die Banque de France zielte vor allem auf einen vom Dollar unabhängigen Währungsraum. Die Deutsche Bundesbank hingegen wollte nicht den »Pflug der Währungsunion vor die Ochsen der politischen und wirtschaftlichen Union« spannen, so deren Vizepräsident Otmar Emminger (S. 265). Lokomotiv- versus Krönungstheorie: Dieser Gegensatz führte zum Scheitern erster Projekte wie des Werner-Plans oder der Währungsschlange. Erst als Frankreich 1976 mit Stagflation konfrontiert war und der Franc die europäische Währungsordnung zweimal verlassen musste, erklärte die Banque die Wirtschaftsdisziplin zur Richtschnur einer funktionierenden Währungsunion. Diese deutsch-französische Konvergenz über das Konzept der »Stabilitätsgemeinschaft« habe den Erfolg des Europäischen Währungssystems erleichtert, so Krauss.

Diese vier Kapitel zeigen eindrucksvoll, dass die Geldpolitik von den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Strukturen bestimmt wurde und auf deren Entwicklung reagierte. Beide Zentralbanken mussten in dieser »Scharnierzeit« der 1970er-Jahre ihre geldpolitischen Konzepte grundlegend umdenken. Für die Bundesbank fiel der Paradigmenwechsel mit dem Floaten zusammen. Erst dann konnte sie ihre Stabilitätspolitik uneingeschränkt umsetzen. Für die Banque de France ergab sich die geldpolitische Wende aus der Feststellung, dass Wechselkursstabilität nicht mehr ohne Preisstabilität zu erreichen war. Seit 1976 verfolgten die beiden Zentralbanken ähnliche Ziele. Krauss erzählt diesen Lernprozess ausführlich und liefert damit eine wichtige Nuance zur staatszentrierten Darstellung, die sich in dem oben genannten Schumpeter-Zitat ebenso findet wie in den aktuellen Debatten über den Euro: Die Entstehung einer europäischen Geldpolitik ist nicht nur die Geschichte einer Konfrontation der nationalen Wirtschaftskulturen, sondern auch die Geschichte ihrer Verflechtung.

Geldpolitische Modelle passten sich den Strukturen an, wurden aber weiterhin von Menschen verkörpert und getragen. In dieser Hinsicht hätte eine stärkere biografische bzw. ideengeschichtliche Perspektive die Studie bereichert. Zwei Beispiele: In der Bundesbank war der Chefwechsel von Karl Klasen zu Otmar Emminger 1977 ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Stabilitätspolitik. Der erste, ein Jurist und SPD-Mitglied, berücksichtigte die (außen-)politische Dimension der Geldpolitik stärker als der zweite, ein Ökonom, der sich vor allem auf monetäre Aspekte konzentrierte. Auch in der Banque spielten Personalfragen eine Rolle. Die Ernennung von Raymond Barre, einem ehemaligen Mitglied ihres Generalrats, zum Premierminister 1976 sicherte ihr eine größere Rückendeckung der französischen Regierung in ihrer Bekämpfung der Inflation.

Insgesamt leistet die quellengesättigte Studie von Clemens Krauss einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Vorgeschichte der europäischen Währungsunion. Die Konvergenz zwischen den Hüterinnen der Währung bildete das Fundament für eine gemeinsame Geldpolitik zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, die als die entscheidende Voraussetzung für die Einrichtung des Euro anzusehen ist. Die Studie ist gut lesbar und bietet einen präzisen Einstieg in die schwierige Materie der Zentralbanken und verdeutlicht so die Bedeutung dieser Akteure der zweiten Ebene.

1 Zitiert nach der »Wirtschaftswoche«. Ausgabe vom 10. Juni 1988 zum 40. Jubiläum der D-Mark.
2 Europäische Zentralbank, Jahresrückblick 2020, April 2021, online: EZB-Jahresbericht 2020 (europa.eu), konsultiert am 18.9.2022.
4 Vgl. Kenneth Dyson, Ivo Maes (Hg.), Architects of the Euro. Intellectuals in the Making of European Monetary Union, Oxford 2016; Markus Brunnermeier, Harold James, Jean-Pierre Landau, The Euro: The Battle of Ideas, Princeton 2016.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Clément Gourmet, Rezension von/compte rendu de: Clemens Krauss, Geldpolitik im Umbruch. Die Zentralbanken Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2021, 399 S. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 128), ISBN 978-3-11-07282-86, EUR 59,95., in: Francia-Recensio 2022/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.92302