Der Sammelband »Die Exekutiven der Revolutionen« ist das Ergebnis einer historischen Tagung, die im Februar 2015 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stattfand. Er setzt sich zum Ziel, »Europas exekutive Institutionen, die zur Durchsetzung revolutionärer Ziele eingerichtet wurden« zu untersuchen, und zwar im Hinblick auf »Entstehung, Zusammensetzung, Wirksamkeit und Funktion der jeweiligen Provisorischen Regierungen im revolutionären Zusammenhang« (S. IX). Der zeitliche Bogen wird von 1789 bis 1849 gespannt, räumlich befassen sich die Artikel mit den Revolutionen in Frankreich, Spanien, Sizilien, Griechenland, Belgien, Italien und Österreich-Ungarn.
Die Struktur des Sammelbandes offenbart eine gewisse Identitätskrise. Karsten Ruppert erklärt im Vorwort die Absicht, ein »umfassendere[s] Panorama des Zeitalters der bürgerlichen Revolutionen« (S. IX). vorzulegen, dem ein weiterer Band zur provisorischen Zentralgewalt in Deutschland 1848/1849 folgen werde. Jedem Artikel setzt er deshalb einen darstellenden Aufsatz voraus, der die jeweilige behandelte Revolution historisch und politisch kontextualisieren soll. Dadurch nimmt Ruppert schon eher die Rolle eines Autors als die eines Herausgebers ein, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die vorliegende Publikation darüber im Unklaren ist, ob sie Tagungsband oder historische Darstellung sein möchte.
Den inhaltlichen Wert des Bandes schmälert das jedoch kaum. Großen Raum nimmt die Auseinandersetzung mit den französischen Revolutionen ab 1789 ein, was sowohl ihrer Anzahl als auch ihrer Signalwirkung für andere europäische Revolutionen geschuldet ist. Guido Braun untersucht den Wohlfahrtsausschuss der ersten Französischen Revolution als Prototypen provisorischer Revolutionsexekutiven und identifiziert als ein zentrales Element das Problem der politischen Legitimation. Er distanziert sich sowohl von einer zeitlichen als auch inhaltlichen Reduzierung dieser Revolutionsexekutive auf die Zeit Robespierres und der Schreckensherrschaft, beleuchtet stattdessen alle Phasen des Ausschusses über sein Bestehen von 1793 bis 1795 hinweg und stellt seine Errungenschaften wie die Abschaffung der Sklaverei im Mai 1794 in den Vordergrund.
Stefan Grüner behandelt in seinem Artikel die Commission municipale von 1830, eine kurzlebige und provisorische Pariser Stadtregierung aus politischen Notabeln, denen er attestiert, in den auslaufenden Wirren der revolutionären Straßenkämpfe und den letzten Juli- und ersten Augusttagen desgleichen Jahres nicht nur für die Inthronisierung Louis-Philippes als Generalstatthalter Frankreichs verantwortlich zu sein, sondern auch maßgeblich die konstitutionellen und politischen Rahmenbedingungen der Julimonarchie vorgeformt zu haben. Grüner distanziert sich dabei von einer Interpretation der französischen Julirevolution von 1830 als unvollendet oder gescheitert, sondern sieht sie vielmehr als uneindeutig, was die Ziele verschiedener Akteursgruppen anbelangt, woraus er einen sehr spezifischen Handlungsspielraum für die provisorische Regierung ableitet.
Armin Owzar untersucht schließlich die Regierungen der Zweiten Französischen Republik, ausgehend von der provisorischen Übergangsregierung unter Alphonse de Lamartine, über das infolge der Wahl zur Nationalversammlung im Mai 1848 neugebildete Exekutivkommitee, die konservative Regierung unter Louis-Eugène Cavaignac, bis zu den Regierungen unter der Präsidentschaft Louis-Napoléon Bonapartes, die schließlich in den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 und die Errichtung des Zweiten Kaiserreichs 1852 mündeten. Dabei relativiert er die gängige Darstellung eines reinen Scheiterns der Republik, indem er die Frage aufwirft, inwiefern ausschließlich das Handeln von Regierungsmitgliedern über diese vier Phasen hinweg dafür verantwortlich gemacht werden kann.
Neben diesem inhaltlich umfänglichsten französischen Fall präsentiert der Band aber auch ein breites Spektrum anderer Revolutionsexekutiven. Walther L. Bernecker befasst sich mit der Zentraljunta des spanischen Unabhängigkeitskrieges gegen die napoleonische Besatzung, die von 1808 bis 1810 bestand. Dabei untersucht er diese provisorische Revolutionsregierung in all ihrer Zwiespältigkeit, einerseits als ausführende revolutionäre Kraft, die als solche eine Vorreiterrolle auf dem Weg Spaniens zur Konstitutionalisierung leistete, andererseits aber auch als eine zutiefst traditionsverhaftete Verteidigerin der Zustände des Ancien Régime, die damit geradezu konterrevolutionär wirkte.
Einen zweiten Länderschwerpunkt stellt die Auseinandersetzung mit den italienischen Revolutionsexekutiven der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar. Jens Späth befasst sich mit den revolutionären Regierungen in Neapel und Palermo im Königreich beider Sizilien 1820/1821, und stellt dabei immer wieder Parallelen zum spanischen Fall heraus. Marco Meriggi untersucht die Revolutionen von Mailand und Venedig in den Jahren 1848/1849, Thomas Kroll die Römische Republik von 1849. Bei diesen Beispielen ist es häufig die Frage nach dem Einwirken provisorischer Exekutivorgane auf die Konstitutionalisierung des Staatswesens, die im Mittelpunkt steht. Späth, Meriggi und Kroll verfolgen damit mehrere Bewegungen in unterschiedlichen Phasen des Risorgimento und zeigen die Vielfältigkeit dieser langanhaltenden Revolutionsbewegung des 19. Jahrhunderts auf.
Dies sind nur einige der Revolutionen und Revolutionsexekutiven, die im Sammelband beleuchtet werden. Ioannis Zelepos untersucht in seinem Beitrag die regionalen Aufstandsregierungen, die sich nach dem Ausbruch des griechischen Unabhängigkeitskrieges 1821 bildeten. Johannes Koll befasst sich mit der provisorischen Regierung, die im Zuge der Belgischen Revolution 1830/1831 zusammentrat und das Land auf dem Weg in die eigene Nationalstaatlichkeit begleitete. Und Lothar Höbelt untersucht den provisorischen Regierungsrat, der sich in der Folge des Prager Pfingstaufstands bildete, während sich Tibor Frank mit dem ungarischen Landesverteidigungsausschuss auseinandersetzt, womit beide revolutionäre Bewegungen und ihre Exekutivorgane im Kontext des österreichischen Kaiserreichs 1848/1849 beleuchten.
Damit gelingt es dem Sammelband, ein breites Panorama provisorischer Revolutionsregierungen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa zu präsentieren. Parallelen und Gemeinsamkeiten sowohl im Wesen der jeweiligen Exekutivorgane als auch in ihren politischen Zielen und ihrem Handeln werden erkennbar, etwa wenn es um Konstitutionalisierungsprozesse oder um die Frage des Handlungsspielraums provisorischer Regierungen in oftmals unübersichtlichen und politisch mehrdeutigen Revolutionskontexten geht. Andererseits werden auch erhebliche Unterschiede deutlich, etwa was die politische Ausrichtung von Revolutionsexekutiven oder ihre Absichten und Funktionen anbelangt. Angesichts dieses differenzierten Untersuchungsspektrums ist es umso auffallender, dass Rupperts abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse dazu neigt, die Gemeinsamkeiten der untersuchten Fallbeispiele im Sinne eines Zeitalters vergleichsweise kohärenter europäischer Revolutionen in den Vordergrund zu stellen.
Insgesamt hat Karsten Ruppert einen lohnenden Sammelband zu den Exekutivorganen revolutionärer Bewegungen zwischen 1789 und 1848/1849 vorgelegt, der vor allem zur Frage der Möglichkeiten und Grenzen ihrer Handlungsspielräume großen Mehrwert bietet.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Benjamin Marquart, Rezension von/compte rendu de: Karsten Ruppert, Die Exekutiven der Revolutionen. Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2022, X–531 S., ISBN 978-3-657-79101-9, EUR 99,00., in: Francia-Recensio 2022/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.92309