Elsass-Lothringen und Oberschlesien waren zwei weitgehend katholisch geprägte Regionen an der westlichen bzw. östlichen Peripherie des Deutschen Kaiserreichs. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918/1919 gingen sie dem deutschen Staatsverband ganz bzw. teilweise verloren. Entsprechend avancierten in der Weimarer Republik beide Gebiete bald zu einem gefragten Objekt Berliner revisionspolitischer Begehrlichkeiten. Bezugspunkt hierbei waren die in den Nachbarstaaten Frankreich und Polen neu entstandenen, zahlenmäßig bedeutenden deutschsprachigen Minderheiten. Deren Interessen als »Auslandsdeutsche« gegenüber der Dominanz der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft mit Nachdruck zu vertreten, lautete fortan die Devise deutscher Politik.

Aus dieser Konfliktlage heraus erwuchsen in der Zwischenkriegszeit 1918–1939 ganz verschiedenartige Nationalitätenkonflikte, welche die Beziehungen des Deutschen Reiches zu seinen Nachbarn Polen und Frankreich belasteten. Die Habilitationsschrift von Thies Schulze hat es sich zur Aufgabe gemacht, am Beispiel der beiden katholischen Grenzregionen den Einfluss des Vatikans als »transnationalem Akteur« auf diese Nationalitätenkonflikte in den Blick zu nehmen. Seine Arbeit ist der Ertrag des Forschungsprojekts »Universaler Anspruch und nationale Identitäten. Die Haltung des Vatikans zu Nationalitätenkonflikten in der Zwischenkriegszeit« des Exzellenzclusters »Religion und Politik« an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, welchem der Autor 2008–2016 als Projektleiter vorstand. Schulze lehrt seitdem als Privatdozent und Akademischer Oberrat am Historischen Institut der Universität Bonn.

Der Blick auf den sozio-ökonomischen und politischen Charakter der beiden Grenzregionen Elsass-Lothringen und Oberschlesien ausgangs des Ersten Weltkriegs zeigt ebenso Unterschiede wie auffällige Gemeinsamkeiten. So sind hinsichtlich der Territorialgeschichte und wirtschaftlichen Struktur deutliche Disparitäten zu konstatieren. Im Kontrast zu dem überwiegend ländlichen Elsass-Lothringen zählte Oberschlesien seit der Industrialisierung zu den großen Bergbau- und Schwerindustriegebieten in Europa.

Auch im Hinblick auf Tradition und Dauer der Zugehörigkeit zu Deutschland scheinen beide Regionen kaum vergleichbar. Während Lothringen und das Elsass – abgesehen von der 48-jährigen Reichslandzeit – seit dem 17./18. Jahrhundert fest im Besitz der französischen Krone waren, zählte Oberschlesien seit über 300 Jahren zu Habsburg bzw. Preußen und war auch niemals Teil des frühneuzeitlichen polnischen Staatsverbandes gewesen. Ein gemeinsames regionales elsass-lothringisches Bewusstsein hatte vor 1871 überhaupt nicht existiert, hingegen identifizierten sich seit der Revolution viele Bewohner mit dem Ideal der französischen »nation«.

Die nationalpolnische Bewegung des 19. Jahrhunderts wiederum nahm Oberschlesien erst verspätet, kurz vor der Jahrhundertwende, ins Visier. Insofern wird verständlich, warum die Rückkehr Elsass-Lothringens an Frankreich 1918 hingenommen wurde, während der drohende Verlust Oberschlesiens in einem (para-)militärisch geführten »Volkstumskampf« endete. Die Teilung Oberschlesiens durch den Völkerbund war eine Kompromissentscheidung, aber auch ein Verstoß gegen das zuvor propagierte »Selbstbestimmungsrecht der Völker«, da bei dem Plebiszit am 20. März 1921 60 Prozent der Bevölkerung des Abstimmungsgebiets für den Verbleib bei Deutschland votiert hatten.

Bei all diesen Unterschieden jedoch sind – mit Blick auf Bevölkerung und politische Kultur – interessante Parallelen zwischen beiden Gebieten zu erkennen, die einen paradigmatischen Regionalvergleich rechtfertigen. 75 bis über 90 Prozent der Bevölkerung waren katholischen Glaubens. Als Folge vielgestaltiger kultureller Einflüsse bestand in beiden Regionen eine besondere Sprachdiversität, die eine im Zeitalter der Nationalismen erwünschte klare nationale Zuordnung der Bevölkerung erschwerte bis unmöglich machte. In Oberschlesien existierten nebeneinander Polnisch und Deutsch als Muttersprache – viele Bewohner waren zweisprachig – sowie ein weit verbreiteter oberschlesischer Dialekt mit Lehnwörtern aus beiden Sprachen. Die Oberschicht neigte mehr dem Deutschen zu, die Unterschicht sprach eher Polnisch; Gottesdienste wurden überwiegend auf Deutsch abgehalten. Im Elsass wiederum war das »Elsässerditsch«, ein alemannischer Dialekt, allgemein gebräuchlich, während in Lothringen der frankophone Anteil etwas höher lag. Nur die Oberschicht und die Zugewanderten bedienten sich der Deutschen Hochsprache. Bürgerlich-städtische Eliten beherrschten zudem das Französische.

Politisch dominierte seit der Jahrhundertwende – und auch nach dem Übergang an Polen bzw. Frankreich – in beiden Regionen der politische Katholizismus. Katholische Priester zählten in beiden Regionen seit jeher zu den führenden politischen Exponenten. In Oberschlesien waren sie aktiv auf beiden Seiten in den »Abstimmungskampf«, teilweise sogar in gewaltsame Vorkommnisse involviert. Interessant ist zudem, dass zur Zeit des Übergangs hier wie dort kurzzeitig regionale Autonomiebestrebungen existierten, die angesichts der überbordenden Dynamik der Nationalismen in Frankreich wie in Polen nach dem Ersten Weltkrieg aber keine ernsthafte politische Alternative darstellten.

Thies Schulze untersucht am Beispiel zweier regionaler politischer Spannungsfelder Art und Ausmaß der Eingriffe der Katholischen Kirche in diese Nationalitätenkonflikte. In welcher Weise vermochten sie sie zu beeinflussen? Waren sie geeignet, sie zu lindern oder verschärften sie sie sogar (S. 2)? Ausgehend vom universalen Selbstverständnis des römischen Papsttums deutet der Autor das Wirken des Heiligen Stuhls auf das Geschehen in den Bistümern dabei als Einflussnahme eines transnationalen Akteurs, ja einer globalen Instanz, in die nationalen Denkmustern entspringenden regionalen innerkirchlichen Konflikte. Schulze möchte damit einen Beitrag zu der immer mehr an Bedeutung gewinnenden »Globalgeschichte« leisten.

Zur Einordnung des Spannungsverhältnisses zwischen Heiligem Stuhl und den »Grenzdiözesen« bedient er sich eines »Zentrum-Peripherie-Modells«, wobei er die Regionen aber nicht als »passive oder reaktive Einheiten« auffassen möchte. Denn die dortigen Akteure, politisch engagierte Geistliche und Funktionäre katholischer Verbände und Parteien, hätten »päpstliche Verlautbarungen« genutzt, »um sie im eigenen Sinne auszulegen«, oder versucht, »die vatikanische Politik mit Hilfe von Eingaben und Denkschriften zu beeinflussen«. Es sei vielmehr von einer »Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie« auszugehen, wenn auch »im Rahmen eines starken Machtgefälles« (S. 3f.).

Zur Umsetzung seines Forschungsvorhabens hat der Autor Archivbestände nationaler, regionaler und kirchlicher Provenienz in denkbar größtem Umfang konsultiert. Hervorzuheben sind hier die erst seit 2003/2006 für die Forschung frei zugänglichen Akten der Vatikanischen Archive aus dem Pontifikat Papst Pius XI. (1922–1939) in Rom, hier wiederum die Akten der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, der »außenpolitischen Zentrale« des Vatikans; weiterhin die Bestände der Nuntiaturen im Vatikanischen Geheimarchiv sowie der Außenministerien in Berlin, Warschau und Paris. Besonders erwähnenswert ist, dass der Autor dank seiner außerordentlichen Sprachkenntnisse auch Literatur in französischer, italienischer und polnischer Sprache umfangreich rezipiert hat.

Die Studie gliedert sich in drei große Hauptabschnitte: Teil I beschäftigt sich mit dem Oberschlesischen Plebiszit, der Neugründung der polnischen Diözese Kattowitz 1925 sowie den hieraus resultierenden kirchlich-nationalen Spannungen in der Region Ostoberschlesien. Teil II behandelt die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in den drei Departements »Haut-Rhin«, »Bas-Rhin« (Diözese Straßburg) und »Moselle« (Diözese Metz), die kirchenpolitischen Konflikte mit der Linksregierung Herriot 1924/1925, die Auseinandersetzung um die Autonomiebewegung 1926–1931 sowie die Differenzen im elsässischen und lothringischen Katholizismus bis Kriegsbeginn 1939. Teil III nimmt schließlich die Haltung des Heiligen Stuhls als transnationaler Akteur in Sachen Nationalitätenkonflikte in den Blick. Jeweils am Ende der beiden Abschnitte zu den regionalen Geschehnissen fragt Schulze explizit nach der Rolle der Priesterschaft in den Konflikten vor Ort, den Auseinandersetzungen um Gottesdienst und Seelsorge, Sprachproblematik und Elementarschulunterricht sowie »Festkultur und Gemeinschaftsstiftung«.

Zu welchen Ergebnissen gelangt der Autor? Die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Katholischen Kirche in den untersuchten Regionen waren vor allem durch vielerlei regionale Besonderheiten geprägt. So dominierten unterschiedliche Akteursgruppen: in Ostoberschlesien die katholischen Verbände, während im Elsass und in Lothringen die Priesterschaft für sich in Anspruch nahm, die Interessen der deutschsprachig-katholischen Bevölkerung zu vertreten. Daraus resultierte auch eine unterschiedliche Entwicklung der innerkirchlichen Konflikte in beiden Gebieten. Der zeitliche Verlauf der Konflikte in den beiden Regionen hingegen war eher ähnlich: Nach einem Höhepunkt Ende der 1920er-Jahre ging es bei den späteren neuen Kontroversen weniger um den grundsätzlichen Wunsch nach sprachlicher/kultureller Autonomie als um eine gemeinsame katholische Aktion gegen ideologische Gegenkräfte. Eine zentrale Rolle spielte in beiden Regionen die Sprache: bezüglich Seelsorge und Gottesdienst in Ostoberschlesien, hinsichtlich der Schulpolitik im Elsass.

Das generelle Handeln des Heiligen Stuhls in Sachen Nationalitätenkonflikte, so das Fazit Schulzes, lässt sich nur schwer auf einen Nenner bringen: Während die Kirche in Personalfragen oder auf struktureller Ebene zur Vermeidung von Konfliktkonstellationen mit den nationalen Regierungen eher in deren Sinne agierte, unterstützte sie in sprachlich-kulturellen Fragen meist die deutschsprachigen Minderheiten, was beim Zuschauer gewissermaßen den Eindruck einer »Doppelten Nationalisierung der kirchlichen Sphäre« (S. 315) erwecken musste. Dies wirkte sich in zweierlei Hinsicht aus: Einerseits bildete das Eingreifen der Kirche in den Nationalitätenkonflikten ein konfliktverschärfendes Potenzial, andererseits wurden dadurch die regionalen Akteure dazu gezwungen, die Legitimation ihrer Gegenspieler zumindest teilweise zu akzeptieren, statt sie von vornherein komplett zu desavouieren. Dies bot potenziell die Grundlage für gemeinsames kirchliches Handeln über landsmannschaftliche Grenzen hinweg, etwa gegen zentralistische Assimilationsbemühungen.

Aufgrund des regional geprägten Selbstbildes der katholisch-deutschsprachigen Gruppen in beiden Regionen war es der Katholischen Kirche als Institution kaum möglich, in den Konflikten der Grenzregionen einen »neutralen Standpunkt« einzunehmen. Insofern könne man, so Schulze, der Römischen Zentrale auch keine umfassende Entscheidungsgewalt zuschreiben. Der Vatikan griff stets punktuell und aufgrund von Informationen aus der Peripherie in die Konflikte ein. Diese konnten sich so gegen eine allumfassende Durchdringung aus Rom behaupten.

Schulzes vergleichende Regionalstudie erweist sich in jeder Beziehung als gründlichst recherchiert. Dank der präzisen Fragestellung, der paradigmatischen Herangehensweise, der nachvollziehbaren Präsentation der Inhalte sowie des gut lesbaren Textes gelingt es dem Autor, das Wissen um die innerkirchlichen Gegensätze in den beiden Grenzregionen sowie um die Positionen des Heiligen Stuhls in den Nationalitätenkonflikten im Elsass und in Lothringen sowie in Ostoberschlesien auf ein neues, deutlich breiteres Fundament zu stellen. Demgegenüber erscheinen erkenntnistheoretisch das vom Autor in den Fokus gerückte Zentrum-Peripherie-Analyseraster wie auch der Globalisierungsansatz reichlich überspitzt.

Zum einen: Ist angesichts der vielgestaltigen Untergliederung der Römisch-Katholischen Kirche im Grunde nicht jeder Vorgang zwischen Kirchenführung in Rom und Diözese vor Ort letztlich ein Dialog zwischen Zentrum und Peripherie und damit kein Spezifikum im Verhältnis Roms zu den »Grenzdiözesen«? Zum anderen ist der These des Autors zuzustimmen, dass das Aufkommen der modernen Nationalismen als wichtiges Element der »Modernen Welt« bereits vorhandene innerkirchliche Gegensätze verschärft hat. Vor allem nach 1918, weil jetzt alte Imperialmächte nachhaltig geschwächt waren und viele neue Nationalstaaten die politische Bühne betraten.

Man mag auch dem Heiligen Stuhl die Eigenschaft eines transnationalen, ja globalen Akteurs zuerkennen; etwa im Sinne einer modernen Nichtregierungsorganisation – aber ganz eigentümlichen Charakters. Im Kontrast etwa zu Umweltorganisationen, die durch ihre Politik zur Lösung globaler Umweltprobleme beizutragen versuchen und dazu auch über geeignete politische Einflussmittel verfügen, beschäftigt sich aber die Katholische Kirche im Grunde primär mit Konflikten in ihrem eigenen religiösen Zuständigkeitsbereich. Dies belegt einmal mehr auch die vorliegende Studie: Fragen des Zuschneidens von Diözesangrenzen, kirchliche Personalpolitik, die Rolle der Priesterschaft in lokalen/regionalen Konflikten, Auseinandersetzungen um die Sprachproblematik (im Gottesdienst) oder die Schulpolitik und dergleichen mehr sind ureigene kirchliche Betätigungsfelder – ohne besonderen transnationalen Bezugsrahmen.

In politischen Angelegenheiten, so auch bei Nationalitätenkonflikten, dies legt auch diese Studie nahe, kann der Heilige Stuhl sicher durchaus vieles bewegen. Um politische Macht auszuüben, ist er aber von anderen, insbesondere staatlichen Einflussfaktoren abhängig. Schon deshalb, weil Politik nicht sein genuines Betätigungsfeld ist.

Ein Kartenanhang sowie ein ausführliches Personen-, Orts- und Sachregister am Ende erleichtern das Arbeiten mit der vergleichenden Regionalstudie sehr. Zum Schluss sei noch angemerkt, dass es nach der ersten Rezensionsanfrage mehr als ein halbes Jahr sowie einiger Korrespondenzen zwischen Paris und Deutschland bedurfte, bis der Verlag Brill/Ferdinand Schöningh sich endlich in der Lage zeigte, dem Rezensenten ein Rezensionsexemplar zukommen zu lassen, das, wie ein abschließender Blick schnell ergab, für den freien Verkauf ungeeignet ist.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Hubert Roser, Rezension von/compte rendu de: Thies Schulze, Katholischer Universalismus und Vaterlandsliebe. Nationalitätenkonflikte und globale Kirche in den Grenzregionen Ostoberschlesien und Elsass-Lothringen, 1918–1939, Leiden (Brill Academic Publishers) 2021, XII–464 S., 3 s/w Karten (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 138), ISBN 978-3-506-79270-9, EUR 83,18., in: Francia-Recensio 2022/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.4.92311