Die Beiträge des Sammelbandes verfolgen das Ziel, die Rolle und die Funktion von Expertinnen und Experten vor allem in politischen Zusammenhängen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert zu untersuchen. Trägerinnen und Träger von Sonderwissen waren in unterschiedlichen Herrschaftskontexten und Machtstrukturen immer wieder gefragt, um ein bestimmtes politisches Vorgehen durch den Einsatz von Expertise zu unterstützen oder durch den Rekurs auf das symbolische Kapital oder die institutionelle Autorisierung derartiger Wissensträgerinnen und Wissensträger zu legitimieren. Geografisch bewegen sich die Themen der Aufsätze vor allem in Frankreich und Spanien. Der Band wählt eine dezidiert sozialkonstruktivistische Perspektive. Expertinnen und Experten sind dabei nicht einfach als Personen definiert, die über ein bestimmtes Spezialwissen verfügen. Vielmehr werden Expertinnen und Experten von den Herausgeberinnen als Akteurinnen und Akteure verstanden, die zwar auf Grundlage spezialisierter Kenntnisse bestimmte Ressourcen und Mittel des politischen Handelns bereitstellen, dabei jedoch darauf angewiesen sind, dass die beanspruchte soziale Rolle von ihren Klientinnen und Klienten bzw. von den politischen Instanzen, die in den Kommunikationsprozess involviert sind, als solche anerkannt und zugeschrieben wird. Dieser Vorgang, der zur Anerkennung von Expertise führt, wird folglich als dynamischer Prozess begriffen, der eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren unterschiedlicher sozialer Positionen umfasst. Das Spektrum reicht von denjenigen, die den Anspruch auf einen Expertenstatus erheben, über diejenigen, die das abgerufene Sonderwissen in der politischen Praxis operationalisieren, bis zu denjenigen, die an der symbolischen Autorisierung der Expertenkonsultation beteiligt sind. Expertise ist damit nicht schlicht eine kognitive Eigenschaft, sondern das Produkt einer komplexen Konfiguration, die aus sozialen und politischen Dispositiven resultiert. Die verschiedenen Interaktionskontexte, welche die Beiträge in den Blick nehmen, betreffen dabei sehr verschiedene soziale Felder und Wissensdomäne, die etwa das Recht, die Ökonomie, die Medizin, die Diplomatie oder die Historiografie umfassen. Die Beiträge des Bandes untersuchen in dieser Perspektive, wie Expertise als Ressource während der Frühen Neuzeit zu einem Instrument politischen Handelns wurde. Gleichwohl geht es dabei nicht nur um die Konstruktion des Sonderwissens, die im Prozess der Konsultation und Legitimation von Expertinnen und Experten zustande kommt, sondern ebenfalls um die spezifische agency der Wissensträgerinnen und Wissensträger, mittels derer sie ihren Auftraggeberinnen und Auftraggebern bestimmte Handlungsoptionen offerieren und auf diese Weise am politischen Entscheidungsprozess partizipieren.

Neben diesen grundsätzlichen strukturellen Gegebenheiten fokussiert der Band zudem spezifische Kontexte, in denen die Konsultation und der Einsatz von Expertise in besonderer Weise begünstigt wurden. Das war nicht zuletzt in Situationen wahrgenommener Kontingenz, Unsicherheit und Veränderung der Fall, in denen etablierte Routinen der politischen Praxis irritiert wurden und bestimmte Nischen entstanden, in welchen sich Expertinnen und Experten positionieren konnten. Insofern derartige Nischen in den Blick genommen werden, wird das Handeln von Expertinnen und Experten nur bedingt im Rahmen von Institutionen verortet. Vielmehr geht es um konkrete Kommunikationssituationen und Interaktionen, die sich auch außerhalb institutioneller Strukturen abspielen können. Gleichwohl nutzen Expertinnen und Experten ihre institutionelle Autorisierung, um ihren Anspruch auf Expertise zu begründen. In diesem Sinne spielen Institutionen ebenfalls eine Rolle im Rahmen des dynamischen Prozesses von Inszenierung, Legitimierung und Anerkennung von Expertentum.

Der Band wird eröffnet mit einem Prolog von Saúl Martínez Bermejo über die Verkörperung der Expertenautorität, über den Einsatz von Körper und Stimme in der Inszenierung von Expertise im Spanien des 16. bis 18. Jahrhunderts. Es folgen drei große Abschnitte, die analysieren, wie Expertinnen und Experten als solche identifiziert und wie sie autorisiert werden, in welcher Weise Expertise in der politischen Praxis wirksam wird und in welcher Hinsicht der Blick auf diesen Einsatz der Expertise dazu beiträgt, die politische Praxis besser zu verstehen. Im ersten Beitrag fragt Frédéric Graber nach den heuristischen Möglichkeiten des Expertenbegriffs für die Erforschung der Moderne. Nicolas Schapira diskutiert anschließend, inwieweit Akteurinnen und Akteure während des 17. Jahrhunderts Expertise reklamieren konnten, wenn sie noch nicht in der Gunst des Fürsten standen und sich außerhalb der Machtzentren befanden. Anhand der Karriere von Juan de Ibarra, Sekretär des Consejo de Indias im Spanien der 1590er-Jahre, verfolgt Sylvain André das Zusammenspiel von Herrschaftspraktiken und Expertise. Maxime Martignon fragt hingegen nach den Strategien und Ressourcen, die von Wissensträgerinnen und Wissensträgern eingesetzt wurden, um in der Zeit Ludwigs XIV. als maritime Expertinnen und Experten anerkannt zu werden. Demgegenüber nimmt Robert Carvais den Wissensbereich der Architektur in den Blick und untersucht die Herausbildung einer Profession in ihren politischen Zusammenhängen im 18. Jahrhundert.

Den zweiten Teil des Bandes, der sich mit Legitimationsstrategien beschäftigt, wird von Marie-Laure Acquier eröffnet, die anhand des Wirkens von Diego de Saavedra Fajardo die Ambivalenzen von diplomatischen Expertinnen und Experten analysiert und dabei das Verhältnis von theoretischem Wissen und Erfahrungswissen diskutiert. Welche Art von Expertise einem Minister zukommt und auf welche Weise dieser wiederum andere Expertinnen und Experten konsultiert, um sie im Dienst seines Fürsten oder zum Nutzen seiner eigenen Karriere einzusetzen, zeigen hingegen Anne Saada und Sébastien Schick anhand des Falls von Gerlach Adolph von Münchhausen. Jean-François Dunyach schließlich arbeitet die verschiedenen Ebenen von Patronagebeziehungen heraus, in denen sich Expertinnen und Experten am Ende des Ancien Régime befanden, indem er die Vorgehensweise des Ingenieurs William Playfair in den Blick nimmt, der sich gleichsam auf einem Wissensmarkt zwischen Großbritannien und Frankreich positionierte.

Der letzte große Anschnitt des Bandes ist der Frage gewidmet, welchen konkreten heuristischen Nutzen die Analyse von Expertise als politischer Ressource für die Erforschung der politischen Praxis vom 16. bis zum 18. Jahrhundert hat. Dinah Ribard eröffnet diese Sektion mit einem Beitrag, der diskutiert, wie es zwei Experten zur Zeit Ludwigs XIV. gelingen konnte, Einfluss auf das politische Geschehen zu nehmen, obwohl sie gerade nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügten. Olivier Christin nimmt anschließend die Reflexionen in den Blick, die der französische Schriftsteller Guillaume de la Perrière im 16. Jahrhundert über das Verhältnis zwischen gelehrter Expertise und der politischen Beratung des Fürsten anstellte. Der Reflexion und Selbstbeobachtung von Expertinnen und Experten ist ebenso der Beitrag von Renaud Malavialle gewidmet, der untersucht, wie spanische Humanisten über den Nutzen und den Erwerb von prudencia nachdachten, die ihrerseits in ihrer Funktion für politische Entscheidungen betrachtet wird. Stärker auf die soziale Praxis hebt wiederum der Beitrag von Nicole Reinhardt ab, die sich dem Einsatz moraltheologischer Expertise durch königliche Beichtväter im 17. Jahrhundert zuwendet. Ökonomisches Spezialwissen steht demgegenüber im Beitrag von Anne Dubet im Mittelpunkt, die im Spanien des 18. Jahrhunderts die Konstruktion einer Finanzexpertise und deren politische Relevanz verfolgt. Expertinnen und Experten auf verschiedenen Ebenen der politischen Strukturen im Frankreich des 18. Jahrhunderts sind wiederum Gegenstand der Analyse des Beitrags von Marie-Laure Legay, die das Wirken der »agents d’affairs« zwischen Zentrum und Peripherien der Macht untersucht und dieses in einen Prozess der »Bürokratisierung« einordnet.

Die Aufsätze sowie die instruktive Einleitung und Zusammenfassung der Herausgeberinnen zeigen in einschlägiger Weise, wie heuristisch gewinnbringend eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf vormoderne Expertenkulturen in unterschiedlichen thematischen Feldern sein kann. Durch die Fokussierung auf zwei primäre geografische Räume sowie auf das politische Feld im Besonderen gelingt es dem Band, diese analytische Perspektive in sehr verdichteter Weise fruchtbar zu machen. Die Studien sind dadurch systematisch aufeinander bezogen und verfolgen, wenngleich mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, eine gemeinsame Linie. Zu bemängeln wäre allenfalls, dass die deutschsprachige Forschung über Expertenkulturen im vormodernen Europa keine Berücksichtigung gefunden hat. Hier hätten sich gerade auf konzeptioneller Ebene große Schnittmengen ergeben. An die methodischen Ansätze, die hier in den vergangenen Jahren entwickelt und erprobt wurden, hätte sich fruchtbar anschließen lassen. Am analytischen Ertrag der Studien, die in diesem Band versammelt sind, und an der Einschlägigkeit des untersuchten Quellenmaterials ändert dies freilich nichts. Für die Expertenforschung der Vormoderne ist damit zweifellos ein wichtiger Beitrag geleistet.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Marcel Bubert, Rezension von/compte rendu de: Marion Brétéché, Héloïse Hermant (dir.), Parole d’experts. Une histoire sociale du politique (Europe, XVIe–XVIIIe siècle), Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2021, 312 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-8182-1, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94365