Der Band folgt einem Trend der jüngeren Druckgeschichte, Buchdruck nicht nur als Massenmedium der Verbreitung neuer, gegebenenfalls »revolutionärer« Ideen gleichsam als Instrument von bottom-up-Bewegungen von der Reformation zur Aufklärung zu untersuchen, sondern auch die Instrumentalisierung des Drucks für gouvernementale Zwecke, gerade der Herrschafts- und Autoritätsdurchsetzung ins Zentrum der Untersuchungen zu rücken. Zwar ist auch dies im Grundansatz seit jeher Thema der Druckgeschichte gewesen, da in jeder Einführung daran erinnert wird, dass etwa gedruckte Ablassbriefe zu den frühesten Erzeugnissen der Inkunabelperiode gehörten, doch sind etliche der Beiträge sehr wohl erhellend und richten den Blick auf einige ephemere, aber doch wichtige und in ihrer Alltäglichkeit die frühneuzeitliche Lebenswelt prägende Druckerzeugnisse, die man sonst oft vernachlässigt. Rachel Midura zeigt im Eröffnungsbeitrag, wie die Plakatdrucke von Hygienepolizeinormen im Mailand des 16. Jahrhunderts Teil der sozialen Disziplinierungspraxis auch unter Carlo Borromeo waren und mit der religiösen Disziplinierung verknüpft wurden: die Reinigung des Volkskörpers von der contagione echter Krankheiten und die Reinigung von Häresie und Irrglauben wurden enggeführt. Bemerkenswert ist, dass hierbei im ersten überlieferten Ediktsdruck von 1549 (S. 29) Mailand quasi als kaiserliche Stadt des regnum italicum mit dem Doppeladler des Heiligen Römischen Reiches und der Kaiserkrone (nicht: »double-headed Habsburg eagle«, S. 30), erst nach Abdankung Karls V. mit spanischem Wappen (S. 31) firmiert. Gautier Mingous untersucht ähnlich die Nutzung des administrativen Drucks seitens der konsularischen Handelsvorsteher, dem Magistrat und des Königs in Lyon mit einer genauen Lokalisierung der Publikationsorte, was gut die Realität von »Publizität« von Normen und Bekanntmachungen veranschaulicht (ähnlich Arthur der Weduwen zur munizipalen und staatlichen Normenpublikation in den Niederlanden; zur politischen Außenöffentlichkeit der Religionskriege Ramon Voges). Dass Souveräne begannen, Staatsdrucker zu privilegieren, scheint allgemein erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts gängig zu werden, so ab 1560 Willem Silvius für Philipp II. in Antwerpen (S. 73) oder etwas früher Francesco Minuzio Calvo und Antonio Blado als päpstlicher Drucker (Paolo Sachet zum stampatore camerale, S. 182) oder Januszowski in Polen-Litauen, der zeitweilig sowohl »sumptu & impensa regia« als auch als offiziell bischöflicher Drucker auftrat (Justyna Kiliańczyk-Zięba), exemplifiziert Renaud Adam schließlich für die südlichen Niederlande: über Teilmonopol-Privilege für Ediktdrucke bis hin zur Dynastisierung des Hofdruckeramts vom 16. bis zum 18. Jahrhundert etablierte sich eine Praxis, in der Namen und Marke einer Offizin sich mit der legislativen Publizität verbanden. Für das Ende des 18. Jahrhunderts erweisen sich vielmehr Periodika wie Schreibkalender oder etwa die Grazer Bauernzeitung nicht nur als Medien der Handelsnachrichten und Werbung, sondern auch als Medium öffentlicher Bekanntmachungen der Obrigkeit (Andreas Golob).

Der Übergang zum reformierten Bekenntnis der Staatskirche in England unter dem Kindkönig Edward VI. und Erzbischof Cranmer (1547–1553) war auch ein Moment der staatlichen Druckoffensive: Die Druckleistung verdoppelte sich in der Regierungszeit im Vergleich zur vorherigen Siebenjahresperiode unter Heinrich VIII. Besonderes Augenmerk richtet Celyn Richards hier auf eine Rekonstruktion der Druckproduktionskosten. Jan Hillgärtner zeigt, dass von den 109 deutschsprachigen Zeitungen, die für die Zeit zwischen 1605 und 1650 nachweisbar sind, gerade die sehr frühen, der Wolfenbütteler »Aviso« (ab 1608) und »Formicas Ordentliche Postzeittungen« besonders starke Bindungen zur Obrigkeit, auch im Sinne von Vorzensur hatten. Obgleich nicht im engeren Sinne »staatlich«, konnte die berühmte Typographia Medicea, die zwar nur 25 Editionen in 30 Jahren unter der Ägide Giovanni Battista Raimondis hervorbrachte, nur aufgrund der mäzenatischen Protektion der Medici-Familie und -Kardinäle in Rom existieren: Die Pioniertätigkeit im Gießen von orientalischen Drucklettern, die den Druck von syrischen und arabischen Werken ermöglichte, nimmt in gewisser Weise im kleinen Maßstab das vorweg, was dann die (im Band nicht vertretene) Druckerei der Propaganda-Kongregation fortsetzte, auch und gerade wenn Raimondis Produkte noch eher späthumanistisch, weniger allein missionsbezogen ausgerichtet waren (Caren Reimann). Dass Patronage auch intra-staatliche Gegenöffentlichkeit bewirken konnte, zeigt das Beispiel der katholischen Druckproduktion unter dem Schutz der Königin Katharina von Braganza, Gemahlin Karls II., in London entgegen des parlamentarischen »Act for preventing the frequent Abuses in printing« (1662) (Chelsea Reutcke).

Erhellend ist, wie das Papsttum erst langsam zum Druck als »Waffe« oder »Öffentlichkeitsmedium« fand. Wenig wichtig war dies unter den Päpsten der Renaissance bis Alexander VI., aber Julius II. ist nicht nur als päpstlicher condottiere zu Ross und mit Waffen gerüstet zu erinnern, sondern er nutzte für seine besondere Politik der Exkommunikation von Signorien, Fürsten und Republiken unter Vermischung von weltlicher mit geistlicher potestas, wie es etwa Christine Shaw gezeigt hatte, auch den Druck als unverzichtbares Medium: Die Bannstrahlen wurde nun in massiven Druckzahlen durch ganz Italien verbreitet (Margaret Meserve mit einer Zusammenstellung der Bullendrucke). So bereitet gerade Julius II. die europaweite Exkommunikationsbullen-Politik der Päpste auch des konfessionellen Zeitalters medial und der Sache nach vor.

Den Band beschließen einige Beiträge zu Bibliotheken und Buchbesitz im politico-konfessionellen Kontext (Ernesto Oyarbide Magaña zur Bibliothek Diego Sarmiento de Acuña, Graf von Gondomar; Forrest C. Strickland zum Buchbesitz niederländischer Geistlicher), zur Buchzensur (Rindert Jagersma zum in den Niederlanden gedruckten Pamphlet »La couronne usurpée et le prince supposé«, das im Umfeld der Glorious Revolution von 1688 gedruckt wurde), zur Scheu, die biblische Botschaft zu Beginn der englischen Reformation zu illustrieren (Nora Epstein zu John Day) und zur Funktion von lutherischen Revokationspredigten im 17. Jahrhundert, Konversionen und damit den Bestand der Konfessionsgrenzen öffentlich zu machen (Martin Christ).

Das Verhältnis von »Print und Power« ist in allen Beiträgen thematisiert, den thematischen Kern des Bandes repräsentieren vor allem jene Artikel, in denen es um den administrativen und gouvernementalen Druck im weiteren Sinne geht, welchen die Herausgeber auf S. 10 ansprechen. Eine vertiefte methodische Reflexion zum Verhältnis von Staat (Obrigkeit) und Drucköffentlichkeit hätte hier angeschlossen werden können: Ist die Notwendigkeit, Bannbullen so zu drucken wie auch Gegner ihre Invektiven publizieren, Zeichen von Stärke oder von Schwäche? Ist die frühneuzeitliche Obrigkeit oder »der Staat« in seinem janusköpfigen Angewiesen-Sein auf und zugleich dem Bemühen der Abwehr und der Kontrolle des Druckmediums nicht latent doch immer der Notwendigkeit ausgesetzt, wahrgenommen zu werden, sich dem Volk immer breitflächiger und allgemeiner mitzuteilen? Schafft das Medium so nicht schlicht durch die mediale Faktizität der Kommunikationsform eine Abhängigkeit und Reziprozität? Dies sind Fragen zu einem historisierbaren Phänomen, das dann für sich steht und vor und neben der viel voraussetzungsreicheren Denkfigur der aufklärerischen »kritischen Öffentlichkeit« weiterer Forschung bedarf. Hierfür sowie für die Illustration, wie der Druck das Bild von und das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Volk formt, bildet der Band reiches Beispielsmaterial auf aktuellem Forschungsstand.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Nina Lamal, Jamie Cumby, Helmer J. Helmers (ed.), Print and Power in Early Modern Europe (1500–1800), Leiden (Brill Academic Publishers) 2021, XVII–444 p., 47 fig., 11 tab. (Library of the Written Word – The Handpress World, 92), ISBN 978-90-04-44888-9, EUR 143,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94382