Titel und Untertitel des zu besprechenden Werkes sind nicht eindeutig, ja führen vielleicht sogar in die Irre: Weder betrachtet die Paderborner Dissertation von Sarah Masiak das Phänomen der Kinderhexen(prozesse), wie dies der Begriff der Teufelskinder, wenngleich quellenmäßig (Deüffelskinder), nahelegen könnte, noch umfasst ihr Untersuchungsgebiet auch nur annähernd das gesamte Hochstift Paderborn. Vielmehr setzt sich Masiak intensiv und ausschließlich mit den Hexenverfolgungen in dem darin liegenden Dorf Fürstenberg auseinander, wo die Prozesse, in ganz überwiegender Zahl gegen erwachsene Männer und Frauen geführt, über das gesamte 17. und bis ins 18. Jahrhundert hinein eine besondere Form annahmen: Zentraler Aspekt der dortigen Hexereivorwürfe waren genealogisch-familiäre Beziehungen zwischen den der Hexerei über mehrere Generationen hinweg Bezichtigten, die verhängnisvolle »Dynastien« an Angeklagten und Hingerichteten hervorbrachten. Es geht dabei nicht nur bzw. kaum um Kinder, sondern – im Sinne von Nachkommen – um erwachsene »Kinder des Teufels«. Über 90 % der rund einhundert zwischen 1601 und 1703 Verfolgten in Fürstenberg seien, so die Quellen, »von Hexenart« gewesen (S. 6f.): Mitglieder neun verschiedener Familien standen als »Infecti« über mehrere Generationen hinweg immer wieder vor Gericht. Masiak stellt daher die berechtigte Frage, ob dem Hexenglauben der frühneuzeitlichen, ohnehin stark von genealogischen Aspekten bzw. von Verwandtschaftsverhältnissen geprägten Gesellschaft »die Imagination einer blutsmäßigen Vererbung gewisser ›Hexenqualitäten‹ innewohnte« (S. 26).
Stärker als in der bisherigen Forschung für andere Gebiete spielte in Fürstenberg die Abstammung in der Argumentation gegen die vermeintlichen Hexen, Zauberer (und Wehrwölfe) eine Rolle. Masiak beschreibt, wie diese einerseits von der Gesellschaft angesichts ihrer Herkunft kategorisiert und abgestempelt wurden und wie sie andererseits selbst mit dem ihnen in die Wiege gelegten Stigma umgingen. Sie kommt dabei zu bemerkenswerten Ergebnissen: Manche dieser »Teufelskinder« gingen rechtlich, teilweise erfolgreich, gegen die Verleumdungen vor. Andere leugneten ihr Geburtsstigma nicht, sondern nahmen ihre Rolle bzw. die ihnen von ihrem Umfeld oktroyierte Identität als Hexe(r) aktiv an und lebten die ihnen auferlegte Zuschreibung bzw. nutzten sie für das Erreichen eigener Zielsetzungen. Etikettierte Personen identifizierten sich bei zunehmenden sozialen Reaktionen mit der ihnen zugewiesenen Rolle, die schließlich »zu einem Teil ihrer Identität« (S. 77) und Selbstwahrnehmung wurde (Labeling Approach).
Die Autorin bettet die über hundert Jahre andauernden Verfolgungen in Fürstenberg mittels ihres mikrohistorischen und kriminalsoziologischen Ansatzes in größere Zusammenhänge ein, denn sie bildeten »nicht nur den Auftakt einer Hexengeschichte, sie offenbarten zugleich eine Familien- und Dorfgeschichte« (S. 1). Konsequenterweise untersucht sie, mittels Abgabenverzeichnissen und Katasteraufnahmen und abseits vom Hexereidelikt, zunächst die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der agrarisch geprägten Dorfgesellschaft an sich sowie das lokale Gerichts- und Prozesswesen mit seiner eher milden Strafpraxis, um anhand der lokalen Streitkultur das eigentliche Potential der Quellen auszuschöpfen: »Einblicke in bestimmte Weltauffassungen und -bilder« zu gewinnen und anhand der überlieferten Selbstwahrnehmungen und Fremdzuschreibungen Rückschlüsse auf »innere Überzeugungen und mentale Dispositionen« zu ziehen (S. 36), ja »ein lokales Werte- und Normensystem zu erstellen« (S. 65) und eine »Dorfidentität« (S. 141) zu rekonstruieren. Dabei kommt Masiak zu einem weiteren wichtigen Ergebnis, dass es sich nämlich bei den Bezichtigten nicht etwa um unterprivilegierte Außenseiter handelte, sondern dass gerade diejenigen Familien, die vermehrt in obrigkeitlichen Diensten der Familie von Westphalen standen, auffällig oft mit den »berüchtigten Hexengeschlechtern« (S. 132) korrelierten. Masiak bezeichnet das Hexereidelikt in Fürstenberg daher als »ein spezifisches Mittel- und Oberschichtendelikt« (S. 298).
Aufwändig und differenziert rekonstruiert sie nicht nur familiäre Zusammenhänge, sondern auch die Zusammensetzung des Gerichtspersonals, um »eine interne Hierarchie in der lokalen Hexenjustiz« (S. 238) aufzudecken. In der Zusammenschau kann Masiak nicht ausmachen, »wer konkret – die dörfliche Nachbarschaft oder die Ortsobrigkeit – die zentrale treibende Kraft in der jeweiligen Verfolgungswelle war oder das größere Verfolgungsinteresse besaß« (S. 287f.). Feststellbar ist jedoch, dass sich die Fürstenberger Prozesse mit der Zeit wandelten: Ob die verdächtige Person »von Hexenart« abstammte und ob sie intensive Gemeinschaft zu ebenfalls berüchtigten Personen pflegte, wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts wichtiger als die Frage nach möglichen devianten Verhaltensauffälligkeiten oder Schadenszauberdelikten, die eine eher untergeordnete Rolle spielten: »Während zu Beginn der Hexenjagd [1601] der Schadenzauber im Vordergrund stand, war es spätestens ab dem Jahr 1631 die Komplizenschaft, die im Verlauf der Jahrzehnte zunehmend in den Fokus [der] gerichtlichen Ermittlungen rückte« (S. 277). Auch die Hinrichtungspraxis änderte sich von der Lebendverbrennung zur Enthauptung und anschließender Verbrennung (S. 282).
Angesichts eingeschränkter Heiratsoptionen lässt sich erklären, warum die Mitglieder berüchtigter Familien weiterhin untereinander intensive Heiratsbeziehungen pflegten, barg doch gerade dieses Verhalten das »Risiko, ihren sozialen Makel gesellschaftlich zu zementieren« (S. 447). Die Frage, warum man in Fürstenberg nicht danach trachtete, die »Hexengeschlechter« generell auszurotten, beantwortet Masiak ebenfalls differenziert: Die »Teufelskinder« erfüllten teils wichtige Funktionen in der Dorfgesellschaft und waren »für die kommunale Infrastruktur unabkömmlich« (S. 408). Nicht nur vermeintliche Fakten, sondern auch »Pragmatismus, Kalkül und Ökonomie« (S. 466) beeinflussten daher die Entscheidungsfindung der Kläger. Zudem fand die Teufelsweihe nach den Vorstellungen der Zeitgenossen lediglich an ausgewählten Kindern und Erwachsenen statt. Zwar bildeten »der transgenerative Vererbungsaspekt und die familiäre Sozialisation« (S. 329) die Grundlage für das anfängliche Mistrauen. »Trotz eines bestehenden Generalverdachtes musste die Gesellschaft erst qua Beobachtung eruieren, ob sie [die Teufelskinder] der Hexensekte beigetreten waren oder nicht« (S. 301).
Die von Masiak mit dem Forschungsbegriff der »primären Devianz« bezeichnete genetische Veranlagung musste also erst aktiviert werden, um strafwürdig zu werden: »[D]ie Willensfreiheit des Menschen, d. h. sich bewusst für das Böse zu entscheiden, [stand] in der Tat im Vordergrund des Hexenbildes« (S. 412). Als Zäsur und Unterscheidungskriterium (verfolgungswürdig oder nicht) galt die Anwendung des Schadenszaubers. Die Ausübung des Malefiziums stellte »einen bewussten Bekennungsakt zur Hexenlehre« (S. 315) dar, was dessen an anderer Stelle von Masiak festgestellter abnehmender Bedeutung allerdings in gewissem Maße widerspricht (s. oben). Interessant sind in diesem Zusammenhang ihre Gedankenexperimente zu einer möglichen Internalisierung der fremdattribuierten Hexenrolle bis hin zur »Identitätserschütterung« und einer »Verhaltens- und Charakteränderung« (S. 465), vor deren Hintergrund ihr die »freiwilligen Todeswünsche der Delinquenten nicht mehr länger irrational“ erscheinen (S. 453). Stellenweise droht die Autorin bezüglich derartiger Selbstzuschreibungen aber Missverständnissen aufzusitzen, indem sie die Sprache der Quellen fehlinterpretiert: Bei der Aussage »wan sie gebrandt würde [,], solte ihr gantzes Guth der sämptlichen Heren Westphalen verfollen« (S. 415), handelt es sich nicht etwa um eine Verfluchung der Obrigkeit durch die angeklagte Sprecherin, die, wie Masiak interpretiert, sich selbst als Hexe stilisierte und eine Art Zauber über die Güter ihrer adeligen Gerichtsherren ausgesprochen habe, sondern um eine sachliche Beschreibung der gängigen und auch in anderen Territorien üblichen Konfiskationspraxis. Eine Schwäche im Bereich rechtlicher Begriffe zeigt sich auch in Wendungen wie »knallharte Indizien« oder »Personalunion« (S. 431, gemeint ist hier eine Gruppe von Personen).
Ein weiteres Manko stellen die für den Untersuchungs(zeit)raum fehlenden Kirchenmatrikeln und der Umgang mit dieser Situation dar. Masiak sucht diese Lücke vor allem mittels Steuerlisten und Flurbüchern zu kompensieren. Genealogische Zusammenhänge lassen sich darin aber wenn überhaupt nur indirekt erschließen. Sie behilft sich mit der »simple[n] Prämisse […], dass Personen mit gleichen Nachnamen zu ein und demselben Familienstamm gehörten« (S. 332), was zum einen zu Trugschlüssen, zum anderen zum weitgehenden Ausblenden kognatischer Verwandtschaftsverhältnisse führt. Nachbarschaft spielt in der Studie bezeichnenderweise gar keine Rolle, was verwundert, weil sie sich ja auf den übersichtlichen Sozialraum des Orts Fürstenberg konzentriert und auf ein »Delikt«, bei welchem dem Aspekt räumlicher Nähe wesentliche Bedeutung zukommt.
Masiak erkennt und nutzt Fürstenberg als »probate[s] Experimentierfeld für die Entstehungsbedingungen, Verläufe und Auswirkungen von sozialen Stigmatisierungs- und Marginalisierungsprozessen sowie die daraus resultierenden Verhaltensdispositionen der Akteure« (S. 8). Sie legt eine lokale historisch-sozialanthropologische Studie zu einer frühneuzeitlichen Dorfgesellschaft vor, die weit über das Hexenthema hinausreicht. Die zu diesem Zweck unternommenen aufwändigen prosopografisch-genealogischen Rekonstruktionsversuche verdienen höchste Anerkennung. Ihre Ergebnisse werden in der weiteren Forschung mit Beobachtungen aus anderen Regionen abzugleichen sein. Leider verfügt das Buch über keinerlei Register, die diese Arbeit erleichtern könnten. Dem von ihr rekapitulierten Faktorenbündel, das in vielen Gebieten Europas zu Hexenverfolgungen führen konnte, ist mit den von ihr analysierten Verwandtschaftsverhältnissen und der zeitgenössischen Überzeugung, dass es sich bei den Hexen um Personen handelte, die »aufgrund ihrer blutsmäßigen Veranlagung […] bereits vor dem eigentlichen Teufelsbündnis eine charakterliche Disposition zum Bösen bzw. Kriminellen mitbrachten« (S. 322), jedenfalls eine weitere Komponente hinzuzufügen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Andreas Flurschütz da Cruz, Rezension von/compte rendu de: Sarah Masiak, Teufelskinder. Hexenverfolgung und gesellschaftliche Stigmatisierung im Hochstift Paderborn (1601–1703), Konstanz (UVK) 2020, X–538 S., zahlr. Diagr. u. Kt. (Konflikte und Kultur, 37), ISBN 978-3-7398-3095-7, EUR 64,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94383