Der ehemalige Kolonialoffizier Theodor Bumiller (1864–1912) war in der aufstrebenden Industriestadt Mannheim eine äußerst auffallende Erscheinung, denn auf den Straßen der Stadt inszenierte er sich häufig in schneeweißer Kolonialuniform und in Begleitung eines »schwarzen Dieners« Silimu bin Abakari. Um die Verflechtungen Mannheims und der Region mit der überseeischen Kolonialherrschaft für die Zeit um die Jahrhundertwende zu untersuchen, nutzen die Beiträge in diesem Sammelband vorwiegend biografische Perspektiven. Ihren Ausgangspunkt nehmen sie in der interessanten Hypothese, wonach lokal verwurzelte Individuen wie Theodor Bumiller besondere Identifikationsfiguren waren, die eine »stellvertretende Zugehörigkeit« zu den Kolonien stifteten. Der personenzentrierte Zugang verdeutlicht, wie sich zum einen das Koloniale häufig im Gewand des Weltläufigen zeigte und als lokal verwurzelte Aufgeschlossenheit im Umgang mit Alterität gedeutet wurde, zum anderen aber auch, wie relevant die koloniale Inszenierung hierbei war. Die schillernde Persönlichkeit Bumillers ist für solche Fallstudien besonders geeignet.

Zunächst analysiert Bernhard Gißibl dessen Inszenierung über Dinge, körperliche Performanzen und Fotografien, die ihn als draufgängerischen Kolonialeroberer und »Alten Afrikaner« auswiesen. Dabei werden Affinitäten zwischen einem als Heidelberger Korpsstudent geprägten Männlichkeitsideal, das auf jede Infragestellung mit Gewalt reagierte, und dem militärischen Männerbund der sogenannten Wissmanntruppe sichtbar. Bumiller profitierte davon, dass das koloniale Projekt zwar äußerst populär war, aber nur wenige unmittelbar an dem mit Abenteuer, Exotik und nationaler Bedeutung aufgeladenen Unterfangen tatsächlich beteiligt waren.

In seiner zeitgenössischen Rezeption wurde diese Gewaltbereitschaft und seine in den Selbstzeugnissen frappierende Empathielosigkeit übersehen, wie insbesondere im Beitrag von Katharina Niederau sichtbar wird. Als Adjutant der umstrittenen Wissmanntruppe war er an den blutigen kolonialen Unterwerfungsfeldzügen in Ostafrika beteiligt, wobei die Truppe Erpressungen, Plünderungen und willkürliche Hinrichtungen beging und auf eine Strategie der verbrannten Erde setzte. In seinen Tagebüchern zeigt sich nicht nur die Ubiquität einer extremen Gewalttätigkeit, sondern auch die Komplexität der Interaktionen und lokalen Allianzen in Ostafrika, in denen die Kolonialisten auf Übersetzer wie Silimu bin Abkari angewiesen blieben. Die Rolle dieses sprachlich gewandten, von den Komoren stammenden Muslims ging indessen weit über die von Bumiller vorgesehene Inszenierung als »Diener« hinaus.

Jan Diebold nutzt die von Silimu bin Abakari in Kiswahili verfassten Reiseberichte und überwindet so die zeitgenössischen, rassistischen Lesarten seiner Person. Die Agency einer tatsächlich weltläufigen Persönlichkeit wird sichtbar, die mit Wissmann und Bumiller bis nach Sibirien reiste. So lernen wir eine nicht-europäische Perspektive auf die deutsche Eroberung Ostafrikas kennen, wobei der Intermediär Silimu bin Abakari zwar die abschätzige Haltung auf die »unzivilisierten« Ostafrikaner teilte, sich aber mit eigener Kritik an den deutschen Maßnahmen in seinen Aufzeichnungen nicht zurückhielt. In seiner Beziehung zu Bumiller wird aber auch eine koloniale Paradoxie erkennbar, die zwar von Rassismen durchzogen, aber je nach Situation und Kontext durch freundschaftliche Züge und militärische Kameradschaft gekennzeichnet war.

Ein vierter Beitrag von Iris Edenheiser und Gißibl widmet sich der Geschichte der vor allem aus Waffen bestehenden ethnografischen Sammlung Bumillers, die heute in den Reiß-Engelhorn-Museen verwahrt wird. Obwohl sich anhand seiner schriftlichen Aufzeichnungen nachweisen lässt, dass die allermeisten Stücke zweifellos aus Plünderungen stammen, finden sich auch etliche Artefakte aus diplomatischen Verhandlungen. Sie fallen nicht in die Kategorie Raubkunst, sondern lassen sich nach Ansicht der Autorin und des Autors für die afrikanischen Verhandlungspartner auch als eine selbstbewusste Behauptung von Gleichrangigkeit mit den Deutschen interpretieren. Anhand von Fotografien können sie die privaten und später die musealen Inszenierungen der kolonialen Sammlung analysieren, deren ethnologische Kustoden die Umstände des gewalttätigen Erwerbs bewusst und systematisch verschleierten. Der durch Gewalt ermöglichte »vollständige Zugriff auf den Besitz des besiegten Gegners« wurde »umgedeutet zur ethnographischen Akribie eines vermeintlich vollständigen materiellen Ausdrucks einer Ethnie« (S. 212).

Zwei weitere Beiträge über lokale Persönlichkeiten bestätigen die einleitende These über die Relevanz lokaler Identifikationsfiguren: Zum einen rekonstruieren Ulrich Nieß und Karen Strobel die bis dahin völlig unbekannte Biografie des freigelassenen Sklaven Thomas van Vorden (1816–1863) aus Surinam, der ab 1854 in Ludwigshafen eine Gaststätte mit dem Namen »Zu den drei Mohren« betrieb, als eine selbstbewusste Aneignung einer Fremdzuschreibung. Sein außergewöhnlicher sozialer Aufstieg war indessen nur dank der aristokratischen Förderung durch seinen ehemaligen Dienstherrn möglich. Zum anderen zeichnet Dominik Nagel ein komplexes biografisches Portrait des ehemaligen Kolonialgouverneurs von Kamerun, Theodor Seitz (1863–1949), einer führenden Persönlichkeit des deutschen Kolonialrevisionismus der 1920er-Jahre, der sich als »Verkörperung der Rechtschaffenheit des deutschen Kolonialismus« (S. 267) zu inszenieren wusste. Schließlich beleuchtet der Beitrag von Marion Jourdan, wie die Mannheimer auf die Kolonialausstellung von 1907 und die reisenden Völkerschauen blickten. Während sich viele ihrer Beobachtungen mit jenen zu anderen Städten parallelisieren lassen, ist positiv hervorzuheben, wie hier auch die Agency der Darstellerinnen und Darsteller und ihre Interaktionen mit der Mannheimer Bevölkerung herausgearbeitet werden.

Insgesamt handelt es sich hier um einen sehr überzeugenden und überaus lesenswerten Band zur Lokalgeschichte des Kolonialismus, die sich nicht in lokalen Partikularitäten und biografischen Besonderheiten erschöpft, sondern deren mikrohistorische Studien einen exemplarischen Charakter besitzen. Die Beiträge sind sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt und erhalten in der luziden Einleitung Gißibls eine forschungsstrategische Grundlegung, die weit über die Grenzen Mannheims relevant sein dürfte. Die versammelten Mikrostudien demonstrieren eindrucksvoll, dass noch viele ungehobene Schätze zur globalen Geschichte in unseren Lokal- und Regionalarchiven auch andernorts aufzuspüren sein dürften.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Bernd-Stefan Grewe, Rezension von/compte rendu de: Bernhard Gißibl, Katharina Niederau (Hg.), Imperiale Weltläufigkeit und ihre Inszenierungen. Theodor Bumiller, Mannheim und der deutsche Kolonialismus um 1900, Göttingen (V&R) 2021, 342 S., 32 teilw. farb. Abb. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beihefte, 127), ISBN 978-3-525-10157-5, EUR 70,00., in: Francia-Recensio 2023/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94486