Seit mehreren Jahrzehnten schon legt der Autor vielbeachtete Publikationen zum politischen Denken im Hoch- und Spätmittelalter vor; in der vorliegenden Studie handelt er über den im 15. und frühen 16. Jahrhundert im Zenit seiner Wirkmächtigkeit stehenden Konziliarismus und Humanismus, um sich dabei auf das zentrale Moment der Rechtfertigung von Macht, Legitimität und Autorität durch deren wichtigste Protagonisten zu konzentrieren. Mithin geht es zum einen um die Begründung der Stellung von Papst und Generalkonzil innerhalb der gesamtkirchlichen Ordnung, zum anderen um die humanistischen Vorstellungen des bürgerlichen, aber auch aristokratisch konnotierten Tugendrepublikanismus, wobei all das vor dem Hintergrund der juristischen Konstruktionen von Souveränität und Staatlichkeit in damaliger Zeit erfolgt.

Knapp, konzis und gut lesbar nimmt sich der gerade einmal 200 Seiten umfassende Überblick aus, was konsequente Konzentration auf ausgewählte Autoren und Werke bedeutet; über weite Passagen hin nimmt dies fast den Charakter einer kommentierten Sammlung von sämtlich ins Englische übersetzten Quellen an. Die lateinischen Originaltexte finden sich in den jeweiligen Anmerkungen, die gleichfalls Angaben einschlägiger Literatur in nicht minder strikter Auswahl enthalten, was gerade eher an überbordende Detailfülle und ausufernde Annotationsgelehrsamkeit gewohnte deutschsprachige Leser durchaus schätzen dürften. Allerdings sei nicht verschwiegen, dass dennoch das eine oder andere repräsentative Werk etwa von Meuthen, Miethke oder Helmrath durchaus Erwähnung verdient hätte und dass die angeführten Titel bisweilen etwas nachlässig-ungenau zitiert wurden (z. B. Binder, »Konzilsgedanken«; S. 187).

Trotz des durchgängigen Verzichts auf die Konsultation handschriftlichen Materials und besagter Beschränkung auf seine Leitfrage bietet Canning aufs Ganze einen verlässlichen Kurzführer durch die Hauptwerke eines Gerson, Panormitanus, Cusanus, Segovia, Torquemada und Roselli, wobei die Nichtberücksichtigung etwa von Ragusa und Enea Silvio oder die Zuordnung Segovias – jener geradezu reinsten Verkörperung konziliarer Theorie – in den Kontext der propapalen Autoren Torquemada und Roselli (S. 61–71 bzw. 91) etwas verwundert. Grundsätzlich und mit Recht lässt der Verfasser keinen Zweifel daran, dass es »den« Konziliarismus als monolithischen Block nie gab und die Väter in Konstanz und Basel, im Gegensatz etwa zu den Hussiten, nie eine grundsätzlich andere Kirche anstrebten, sondern innerhalb der bestehenden und wohlgemerkt nach wie vor exklusiv klerikal ausgerichteten Ecclesia »nur« Rang und Gewichtung der obersten Gewalten anders austariert wissen wollten. Die Diskussion mit den Böhmen zwang im Übrigen die Konziliaristen zur präzisierenden Definition ihrer eigenen ekklesiologischen Positionen – eine Thematik, die eigentlich für Canning von Interesse gewesen wäre. Und schließlich will beachtet sein, dass es für die Selbstverortung mancher Theoretiker, insbesondere im Fall von Parteiwechsel (Cusanus, Panormitanus, Enea Silvio), jenseits aller Prinzipientreue durchaus auch handfeste Gründe gab.

Geradezu sprichwörtlich sind Flexibilität und Fluidität in der Welt der Humanisten (im Text selbst ist, im Gegensatz zum Buchtitel, stets nur vom italienischen Humanismus die Rede). Ob in monarchisch-fürstlichem oder republikanischem Dunstkreis, ob in Mailand, Florenz, Rom oder Neapel, humanistische Gelehrsamkeit wechselte nicht zuletzt unter den Vorzeichen von Angebot und Nachfrage die Dienste der Großen, um dann aber ihr Talent ganz und gar für die Macht der jeweilig Herrschenden und deren Erhalt einzusetzen. Das gilt selbst für die Ausnahmeerscheinung eines Machiavelli, der sich nach Canning nicht nur durch die Klarheit seiner Argumentation und seinen literarischen Genius, sondern vor allem in der Sache selbst durch seinen völligen Verzicht auf die Begründung von Macht und Herrschaft als singulär profiliert. All die anderen Denker kann Canning so am Ende in einem großen Kreis vereinen, den er schließlich noch weiter zieht: von den großen Legisten des 14. Jahrhunderts – wie den von ihm schon mehrfach behandelten Bartolo von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis – bis hin zu den Monarchomachen und den Vertretern der englischen Common Law-Tradition. Den definitiven Schlusspunkt setzt er, etwas überraschend, so doch durchaus sympathisch, mit einem kurzen Rekurs auf Johannes von Segovia und dessen Wertekanon von Konsens, Vertrauen, Wahrheit und Vernunft als Grundpfeilern jeglicher guten Ordnung. Wenig Gehör fanden die Worte des Weisen von Aiton, doch verdienstvoll ist, dass der Verfasser sie als unausgesprochenes Schlussplädoyer uns Heutigen in Erinnerung ruft.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Heribert Müller, Rezension von/compte rendu de: Joseph Canning, Conciliarism, Humanism and Law. Justification of Authority and Power, c. 1400–c. 1520, Cambridge (Cambridge University Press) 2021, 200 p., ISBN 978-1-108-83179-6, EUR 88,54., in: Francia-Recensio 2023/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94510