Unter der Betreuung durch den Bayreuther Rechtshistoriker Bernd Kannowski ist wieder einmal eine beeindruckende Dissertation entstanden. 2019 schloss die Verfasserin ihre Arbeit zum Erbrecht der »Buch’schen Glosse« ab. Der Jurist Johann von Buch versah etwa 100 Jahre nach der Entstehung des Sachsenspiegels dieses Rechtsbuch mit einer Glossierung – darin folgte er dem Vorbild der »Glossae Ordinariae« des römisch-kanonischen Rechts. Mit seiner Glossierung, die in der Folge die Bezeichnung »Buch’sche Glosse« erhielt, prägte Johann von Buch über Jahrhunderte die weitere Entwicklung des sächsischen Rechts. In das Zentrum der Untersuchung ist der rechtliche Gehalt der »Buch’schen Glosse« einerseits zum Recht des Sachsenspiegels und andererseits zum römisch-kanonischen Recht gestellt. In tiefgehenden Ausführungen setzt sich die Verfasserin mit den erbrechtlichen Regelungen des Sachsenspiegels und des römisch-kanonischen Rechts auseinander, um sie mit der Fassung in der »Buch’schen Glosse« zu vergleichen. Für ihre Untersuchungen hat sie drei wesentliche Bereiche gebildet, in die sie die zahlreichen Detailfragen des Erbrechts einpasst: die Erbfolge, die Rechtsgeschäfte von Todes wegen und das Ehegüterrecht im Todesfall und die zu beachtenden Sondermassen.
In ihrer überaus sorgfältigen Untersuchung überprüft die Verfasserin anhand einzelner Glossenstellen, wie im Sachsenspiegelrecht einerseits und dem römisch-kanonischen Recht andererseits bestimmte Rechtsfragen gelöst wurden. Wohlbegründet stellt die Verfasserin fest, dass der Glossator in einer bewussten Abweichung von der in der Rechtspraxis üblichen Auslegung in der Glosse anstrebt, den Sachsenspiegeltext im Sinne des römisch-kanonischen Rechts auszulegen. Aus den Glossenstellen, in denen der Glossator den Sachsenspiegel als ein Privileg beschreibt, das Karl der Große gegeben hat, schließt die Verfasserin, dass der Glossator von einer weitgehenden Übereinstimmung des Sachsenrechts mit dem gemeinen Recht ausgeht. Wenn auch Details des Sachsenrechts vom gemeinen Recht abweichen, so sei der Sachsenspiegel doch als eine kürzere Darstellung des römisch-kanonischen Rechts anzusehen. Die Stellen des Glossenprologs, die sich mit der zeitgenössischen Rechtspflege befassen, sind der Verfasserin ein Beleg dafür, dass nach Ansicht Johann von Buchs der Sachsenspiegel von der zeitgenössischen Rechtspraxis überwiegend falsch verstanden wird. Zu diesem Falschverständnis habe beigetragen, dass den Rechtspraktikern das nötige Rechtswissen fehlte und dass der Rechtsstoff in äußerst ungeordneter Weise dargestellt worden sei. Hierbei sei von einer verkürzten und konfusen Darstellungsweise im Sachsenspiegel auszugehen. Nach Ansicht der Verfasserin habe der Glossator bei seiner Glossierung nicht vorgehabt, das geltende sächsische Recht darzustellen, sondern er habe mit seiner Arbeit beabsichtigt, den eigentlichen Sinn des Sachsenspiegels, wie er ihn verstand, zu ermitteln.
Für seine Beweisführung bedient sich Johann von Buch zahlreicher Belegstellen aus Quellen des gelehrten Rechts. Bemerkenswert ist es, wie die Verfasserin diese Stellen untersucht und in Verbindung zum Text der Glosse setzt. Gerade bei der Ordnung der Erbfolge, die in nur wenigen recht abstrakten Artikeln des Sachsenspiegels beschrieben ist, gelingt der Verfasserin der Nachweis, dass sich der Glossator über den Text des Sachsenspiegels hinwegsetzt. Dabei widerspricht der Wortlaut des Sachsenspiegels dem gelehrten Recht bei der Benachteiligung von Frauen und der weiblichen Linie. Dem Glossator kommt bei seinem Vorgehen zugute, dass das gelehrte Recht die getroffenen Regelungen bereits als non iuste bezeichnete. Bei den ehegüterrechtlichen Regelungen für den Todesfall behält der Glossator zwar die Rechtsinstitute bei, doch werden sie durch Gleichsetzung mit römischrechtlichen Rechtsinstituten als Konkretisierung allgemeiner Billigkeitsregeln des gelehrten Rechts beschrieben. Eine weitgehende Änderung im Recht der Rechtsgeschäfte von Todes wegen in der Glosse zeigt sich bei der Übernahme der Enterbungsgründe aus Novelle 115, für die es im Sachsenspiegel, anders als in Art. 15 des Schwabenspiegels, keine so weitgehende Regelung gibt. Die Verfasserin vergleicht die durch den Glossator dargestellte Auslegung mit dem zeitgenössischen und jüngeren Schöffenrecht und zeigt dabei, dass sich die Auslegung, die der Glossator einzelnen Regelungen gab, noch nicht in der Rechtspraxis durchgesetzt hatte.
In einem besonderen Abschnitt befasst sich die Verfasserin mit grundsätzlichen Fragen der Glossenforschung, der den Umfang einer eigenen Veröffentlichung annimmt. Sie setzt sich mit der durch Claudius von Schwerin und seine Mitarbeiterinnen vertretenen Schichtentheorie zur Entstehung der »Buch’schen Glosse« auseinander. Grundsätzlich verdienen diese Ausführungen Beachtung, doch leiden sie daran, dass die Verfasserin sich mit zwei Ausarbeitungen Schwerins auseinandersetzt, die bislang nicht gedruckt vorliegen. Um die Einwände der Verfasserin verlässlich würdigen zu können, wäre es geboten gewesen, die nicht allzu umfangreichen Ausführungen abzudrucken. Ohne diesen Abdruck ist der Eindruck eines Schattenboxens schwer zu vermeiden. Wie soll ein Leser Argumente würdigen, deren Basis nicht nachprüfbar ist? Hatte Kannowski noch Schwierigkeiten, diese Quellen bereitzustellen, so ist für die Verfasserin dieser Hinderungsgrund entfallen: seit dem 1. Januar 2015 ist der Nachlass Schwerins gemeinfrei und daher bereit für einen Druck. Wenn sie schließlich, wie auch schon Bernd Kannowski und Frank Michael Kaufmann, ohne eigenständige Argumente zu dem Ergebnis kommt, dass die Schichtentheorie als widerlegt anzusehen sei, so ist nach dem Sinn der dazu gemachten Ausführungen zu fragen.
Innovativ an der Arbeit ist der Versuch zu werten, sie in einer »geschlechtergerechten Sprache« (S. 45 Anm. 177) vorzulegen, die »grammatikalisch überwiegend auf ein generisches Femininum« hinauslaufe (S. 47 Anm. 178). Hierzu ist der Arbeit nicht zu entnehmen, ob diese Sprachfassung bereits in der Begutachtungsphase an der Universität Bayreuth vorgelegen oder ob die Arbeit ihre Sprachgestaltung im Druckprozess gefunden hat. Nicht überzeugend ist der Hinweis, bei der Verwendung des generischen Maskulinums ohne besondere Kennzeichnung werde nicht deutlich, wann die männliche Form generisch verwendet sei und wann die dargestellte Regelung tatsächlich nur für männliche Personen gelte, es verbleibe damit »bei einer nicht wünschenswerten Unschärfe der Darstellung«. Statt eine insgesamt schwer lesbare und schwierig verständliche Darstellung zu schaffen, hätte die Verfasserin doch in den wenigen Zweifelsfällen die notwendige Schärfe der Darstellung bieten können. Stattdessen lässt sie Leser und Leserinnen mit der Frage allein, welche »akademisch gebildeten Zeitgenoss*innen« im 14. Jahrhundert bereits gefestigte Vorstellungen vom Verständnis des Sachsenspiegeltextes besaßen«.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ulrich-Dieter Oppitz, Rezension von/compte rendu de: Gesine Güldemund, Das Erbrecht der Buch’schen Glosse, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2021, 693 S. (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 35), ISBN 978-3-412-52189-9, EUR 100,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94524