Studien, die sich eine systematische Erschließung und Untersuchung von mittelalterlichen Wappenbüchern zum Ziel machten, sind bislang rar geblieben. Besonders für das römisch-deutsche Reich gilt immer noch der 1939 erschienene Überblick von Egon von Berchem, Donald Lindsay Galbreath und Otto Hupp als wichtiges Grundlagenwerk. Nur selten wurde der Versuch unternommen, neben repertoriumsartigen Verzeichnissen den historischen Quellenwert von Wappenbüchern genauer zu erkunden. Daher ist es zu begrüßen, dass nach der Synthese der langjährigen Editionsarbeit des dänischen Heraldikers Steen Clemmensen 2017 nun mit Elmar Hofmans Dissertation eine weitere Monografie erschienen ist, die sich ganz dieser Quellengruppe widmet. Die Arbeit entstand im Rahmen des von Torsten Hiltmann geleiteten Projekts »Die Performanz der Wappen« an der Universität Münster und ist durch den dort verfolgten Ansatz geprägt, Traditionen der Heraldik kritisch zu hinterfragen und Wappen und ihren Gebrauch konsequent zu historisieren.
Der problematisierende Zugriff des Autors äußert sich bereits in zwei grundsätzlichen Entscheidungen zu Beginn der Studie. So stellt sich Hofman die Frage, welche Quellen unter einem »Armorial« zu fassen sind, da bislang unklar geblieben sei, was ein »Armorial« eigentlich ist. Der Autor versteht darunter eine »Wappensammlung«, die eine gewisse Kohärenz aufweist, wobei er betont, dass diese Wahrnehmung im Grunde auf einem modernen (Analyse-)Konstrukt beruht. Auch verstreut liegende Wappen oder zahlenmäßig kleine Wappengruppierungen, etwa in einer Miniatur, können also bei einem erkennbaren Zusammenhang als »Armorial« bezeichnet werden, nicht nur die großen, ganze Kodizes füllenden Wappenhandschriften. Die Vielfalt an Beispielen, die sich aus einer solchen Definition ergibt, strukturiert der Autor durch den Rückbezug auf Textgenres, in deren Umfeld die Armoriale begegnen (Stundenbücher, Chroniken, höfische Romane etc.). Einen Sonderfall bilden für Hofman »Armorial books«, d. h. ausschließlich Wappensammlungen umfassende Handschriften, die er zwar in den Überblick aufnimmt, in denen er aber keine Gattung bzw. Genrehaftigkeit gegeben sieht. Um Vorannahmen zu vermeiden, die Armoriale fest mit bestimmten Präsentationsweisen, Werken oder medialen Trägern assoziieren, erweist sich die englische Begrifflichkeit für die Arbeit als vorteilhaft; Hofman spricht ansonsten von »collections of coats of arms«. Den im Deutschen in der Regel verwendeten Begriff »Wappenbuch« lehnt er aufgrund dieser Implikationen hingegen ab.
Im zweiten Kapitel macht der Autor deutlich, dass er ein Armorial stets an das Werk und das Medium, in dem es begegnet, rückgebunden sieht. Im Fall der Studie handelt es sich dabei um mittelalterliche Handschriften – insgesamt eine Auswahl von 135 Stück –, die auch bei Kopien oder Teilkopien von mittelalterlichen Wappensammlungen jeweils eigenständig und als wesentliche Grundlage der Analyse betrachtet werden. Inhalt und Material, Wappensammlung und Handschrift (als materieller Träger) bilden für den Autor – im Sinne des material turn – eine Einheit.
Methodisch orientiert Hofman seine Studie an der jüngeren Semiotik und Kommunikations- und Medienwissenschaft. Angesichts des Entstehungsorts der Studie überrascht an dieser Stelle etwas, dass die einflussreichen Münsteraner Konzepte zu Kommunikationsformen und -praktiken der Vormoderne nicht explizit in die Überlegungen einbezogen werden.
Zum Tragen kommt der kommunikationshistorische Ansatz vor allem ab dem vierten Kapitel, das den Versuch unternimmt, die Textanteile in den Wappenhandschriften umfassend zu berücksichtigen. Von Interesse sind für den Autor besonders die häufigen kurzen Einleitungstexte zu den einzelnen Wappensammlungen, in denen er eine spezifische zeitgenössische Zusammenfassung des Inhalts sieht. Gegenüber der verbreiteten Einteilung von Wappensammlungen nach Anthony Wagner bzw. Michel Pastoureau schlägt Hofman vor, sich an Stichworten in diesen Texten zu orientieren und, anstatt von »occasional armorials«, »general armorials« oder »ordinaries« zu sprechen, vielmehr darauf zu achten, wie die Zeitgenossen die Wappenfolgen einordneten. Anhand der Texte identifiziert Hofman insgesamt fünfzehn allgemeine »Indikatoren« wie Rang, persönlicher Titel oder Ahnen/Verwandtschaft, die den Inhalt strukturieren können. Neben den oben genannten Textgenres findet sich auch hier ein Ansatzpunkt der Studie für eine neue Typologisierung von Wappensammlungen.
Das fünfte Kapitel stellt den sozialen Kontext der Quellen ins Zentrum, wobei der Rückbezug auf eine bestimmte mittelalterliche Handschrift – den materiellen Träger – entscheidend bleibt. Hofman fragt also nicht nach den Verfassern von Wappensammlungen, sondern nach den Herstellern der Handschriften. Im Anschluss an die jüngere Forschung wendet er sich gegen die These, dass die Wappensammlungen in erster Linie (oder sogar ausschließlich) von Herolden verfasst wurden. Begleitet wird dieses Kapitel, wie auch die übrigen, immer wieder von Statistiken mit einer quantitativen Auswertung des Quellenkorpus.
Kapitel 6 untersucht Wappensammlungen als visuelle Konfiguration; der Autor diskutiert darin spezifische grafische Darstellungsweisen und Anordnungen der Wappen, die in den Sammlungen begegnen. Diese konnten etwa politisch-soziale Ordnungsvorstellungen ausdrücken oder die Konstruktion dynastischer Kontinuität. Das letzte Kapitel vertieft in vier Beispielen die Untersuchung von Absichten, die Wappensammlungen in mittelalterlichen Handschriften zugrunde liegen konnten.
Die im Rahmen der Studie vorgestellten alternativen Ansätze können insgesamt überzeugen, auch wenn sie sich teilweise in zukünftigen vertiefenden Arbeiten erst noch werden durchsetzen müssen. Kapitel 2 hinterlässt gleichwohl den Eindruck, dass es stimmiger gewesen wäre, die Ablehnung von Auffassungen der älteren Forschung stärker aus der Analyse folgen zu lassen, als sie dem Hauptteil voranzustellen. Auch stellt sich die Frage, ob die ab dem 15. Jahrhundert gerade in den »armorial books« wiederkehrenden Strukturelemente, komplexen Gestaltungsformen (auch unter Einbeziehung von Bildthemen) und Anordnungen von Wappensammlungen möglicherweise doch eine Einordnung als Gattung rechtfertigen können.
Am Mehrwert der kenntnisreichen und reflektierten Studie ändert diese kleinere Kritik freilich nichts. Der Autor unternimmt eine in vielen Punkten dringend erforderliche Revision der bisherigen (vor allem englischen, französischen, deutschen und niederländischen) Forschung und argumentiert konsequent für neue Ansätze. Ein Verdienst ist sicherlich, dass Elmar Hofman durch die Berücksichtigung auch kleinerer Wappensammlungen auf Handschriften aufmerksam macht, die bisher noch nicht oder kaum unter »armorialen« Gesichtspunkten untersucht worden sind. Seine Studie stellt einen wichtigen Beitrag dazu dar, ein solides Fundament für die weitere Beschäftigung mit dieser Quellengruppe zu bilden, gerade auch von Seiten der Geschichtswissenschaft.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Aaron Jochim, Rezension von/compte rendu de: Elmar Hofman, Armorials in Medieval Manuscripts. Collections of Coats of Arms as Means of Communication and Historical Sources in France and the Holy Roman Empire (13th–Early 16th Centuries), Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2022, 378 S., 46 Abb. (Heraldic Studies, 4), ISBN 978-3-7995-1554-2, EUR 58,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94527