Der von Eleanor J. Giraud und Christian T. Leitmeier im Anschluss an eine 2015 in Oxford abgehaltene Tagung verantwortete Sammelband widmet sich materiellen, liturgischen und musikalisch-künstlerischen Aspekten des dominikanischen Ordenslebens im Mittelalter (vgl. S. 15). Wie die Herausgeber zu Recht in der Einleitung (S. 13–29) betonen, wurde den Tätigkeiten der Predigerbrüder auf diesen Gebieten von der Forschung weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den klassischen Themen der Bildung, Predigt und Seelsorge. Um dies zu ändern, wurden in dem interdisziplinär angelegten Band 13 Beiträge aus der Musikwissenschaft, Buchwissenschaft, Kunst- und Architekturgeschichte sowie Liturgiewissenschaft zusammengestellt, die sich mit »dominikanischen« Büchern, Gebäuden, Gottesdiensten und musikalischen Ausdrucksformen beschäftigen; der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 13. Jahrhundert und dem männlichen Zweig des Ordens. In dieser Rezension soll das Hauptaugenmerk auf das weitere Forschungspotenzial aus interdisziplinärer Sicht gelegt werden, auf das durch den stimmigen Band aufmerksam gemacht wird; dieser enthält auch aus Perspektive der Geschichtswissenschaft bemerkenswerte Impulse.

Die ersten drei Beiträge sind buchwissenschaftlich und kunsthistorisch. Sie beschäftigen sich mit dem Einfluss des Ordens auf die Pariser Buchkultur (Richard und Mary Rouse), dominikanischen Taschenbrevieren (Laura Albiero) und illuminierten dominikanischen Handschriften aus Frankreich (Alison Stones). Besonders in den ersten beiden Aufsätzen wird der Einfluss der mendikantischen und predigenden Lebensweise des Ordens auf das Format von gelehrten und religiösen Büchern deutlich. Die bei Predigerbrüdern beliebten Taschenbücher, Bibel-Konkordanzen sowie das früh im Orden verbreitete Peciensystem zum schnellen Abschreiben von Texten machten demnach Schule und prägten den Umgang mit schriftlich fixiertem Wissen in Paris und darüber hinaus in nachhaltiger Weise. Wichtig sind die in allen drei Aufsätzen enthaltenen Beispiele für eine enge Kooperation der Dominikaner, die häufig keine eigenen Skriptorien unterhielten, mit externen Schreibern bei der Buchproduktion; in Paris führte das sogar zur Ansiedlung einer Buchhändlerfamilie neben dem Konvent, die über viele Jahrzehnte fest mit den Brüdern zusammenarbeitete (S. 43–47). Solche Verschränkungen auch und gerade mendikantischer Ordenshäuser mit der lokalen Wirtschaft sind ein zukunftsträchtiges sozialgeschichtliches Forschungsthema. Ein kleines Manko der buchwissenschaftlichen Beiträge ist das Fehlen des Hinweises auf die einschlägige Dissertation von Wolfram Hoyer OP1.

Um die Architektur des Ordens geht es in den folgenden Beiträgen, die von dem architektonischen Einfluss des Ordens im östlichen Mittelmeerraum (Panayoti Volti) und der Rolle der Predigerbrüder bei der schrittweisen Verlagerung des Chores im Kirchenraum in Italien, der bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend nicht mehr vor, sondern hinter dem Hauptaltar angelegt wurde (Haude Morvan), handeln. Beiden Aufsätzen gelingt es, die architekturgeschichtlichen Befunde in eine enge Beziehung zur Lokalgeschichte zu setzen; die entscheidenden Impulse für die jeweiligen architektonischen Sonderentwicklungen kamen demnach weniger von einer Politik des Gesamtordens, sondern aus der örtlichen Frömmigkeit und der Interaktion der Predigerbrüder mit Laiinnen und Laien – sogar mit griechisch-orthodoxen.

Etwas aus dem Konzept des Bandes heraus fällt der Folgebeitrag (Emily Guerry). Er hat die Geschichte der zwei Dominikaner, die im Auftrag König Ludwigs IX. die Dornenkrone nach Frankreich brachten, zum Thema, beschränkt sich jedoch weitgehend auf das Nacherzählen der Quellen. Die folgenden zwei Artikel befassen sich mit der Rolle des Thomas von Aquin bei der Abfassung des Fronleichnamsoffiziums (M. Michèle Mulchahey) und dem Einfluss seiner Eschatologie in diesen liturgischen Texten (Barbara R. Walters). Beide Aufsätze bestätigen über einen detaillierten Vergleich des Liturgietextes mit den übrigen Werken des Aquinaten den engen Bezug der Fronleichnamsliturgie zur thomistischen Theologie wie zur Biografie des Theologen und machen die in der Forschung schon lange aus gutem Grund gehegte Vermutung, Thomas sei der Autor dieses Offiziums, noch wahrscheinlicher.

Im Folgebeitrag (Innocent Smith OP) geht es um die Gebete der dominikanischen Eigenliturgie, wobei der Autor zu dem etwas ernüchternden Fazit kommt, dass der Eigenanteil hier relativ gering war und die überwiegende Zahl der Gebete auch in der übrigen lateinischen Liturgie vorkam. Die beiden nächsten Aufsätze behandeln Themen im Umkreis der vom Ordensmeister Humbert von Romans um 1256 verantworteten Reform der dominikanischen Liturgie und gelangen zu bemerkenswerten Ergebnissen. So wird in dem Beitrag zu den dominikanischen Messbüchern aus der Zeit vor 1256 (Eleanor J. Giraud) deutlich, dass auch schon vor den Reformen eine große Einheitlichkeit in den Gesängen und Gebeten gegeben und folglich der von den normativen Quellen behauptete uneinheitliche »Wildwuchs« stark übertrieben war. Der Aufsatz zum Zusammenhang der Integration von Frauenklöstern in den Orden und der Liturgiereform (Innocent Smith OP) zeigt, dass die gemeinsame Liturgie zum »vital link« (S. 330) zwischen dem männlichen und weiblichen Zweig des Ordens wurde und insofern die bei den Dominikanern zu dieser Zeit noch umstrittene Cura monialium förderte. Beide Aufsätze sind anschlussfähig für die Geschichtswissenschaft, weil sie die normativen Texte zur Liturgiereform überzeugend mit anderen Quellen kontrastieren und so neu in der übrigen Geschichte des Ordens kontextualisieren.

Der Band schließt mit zwei Beiträgen über den »Tractatus de musica« des Dominikaners Hieronymus von Moravia, in denen dessen inhaltliche Kohärenz und originelle Leistung hervorgehoben werden (Błażej Matusiak OP) bzw. betont wird, wie dominikanisch die Schrift, die zahlreiche Anspielungen auf Thomas von Aquin birgt, ist (Christian T. Leitmeier). Damit ist ein wichtiges Problem angesprochen, das in zahlreichen Beiträgen berührt wird: die Frage nach dem dominikanischen Eigencharakter der jeweils behandelten Bücher, Architektur und übrigen Gegenstände.

Interessanterweise fallen hier die Ergebnisse der Aufsätze je nach Gegenstand weit auseinander. So müssen die Autorinnen und Autoren der – hierdurch nicht weniger lesenswerten – buchwissenschaftlichen Beiträge schließlich zugeben, dass der von ihnen konstatierte Einfluss der Predigerbrüder auf die Buchkultur letztlich wohl für alle Bettelorden gilt (z. B. S. 47 und 61); hingegen ist die eindrucksvolle Rezeption des Thomas von Aquin bis ins sprachliche Detail hinein, die sich in der Musiktheorie seines ansonsten völlig unbekannten Mitbruders Hieronymus von Moravia zeigt, wohl doch zurückzuführen auf eine im Orden typische Art zu theologisieren (vgl. z. B. S. 356). Ähnlich schwankende Befunde, die hier leider nicht ausgeführt werden können, ergibt die Analyse der Architektur und der Liturgie. So ist der gelungene Band eine wichtige Lektüre für alle, die sich für die Frage nach dem Eigencharakter des Dominikanerordens und der Orden überhaupt interessieren.

1 Wolfram Hoyer, Dominikanische Buchnormen, Diss. phil. Wien 2017, online: http://othes.univie.ac.at/49289/ (08.02.2023).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Adrian Kammerer, Rezension von/compte rendu de: Christian Thomas Leitmeir, Eleanor J. Giraud (ed.), The Medieval Dominicans. Books, Buildings, Music, and Liturgy, Turnhout (Brepols) 2021, 420 p., 27 b/w, 17 col. fig., 15 tab. (Medieval Monastic Studies [MMS], 7), ISBN 978-2-503-56903-1, EUR 100,00., in: Francia-Recensio 2023/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94532