Die Themenstellung des vorliegenden Werkes ist mehr als aktuell: Wie Gesellschaften mit energetischen Ressourcen umgehen und diese technisch nutzbar machen, ist nicht nur für Epochen seit der Industrialisierung relevant. Genauso aufschlussreich ist die Analyse von Energie- und Stoffströmen in Gesellschaften, denen die Nutzung fossiler Energiequellen noch weitgehend fremd war.

Das zweibändige Werk versammelt exemplarische Beispiele der technikgestützten Nutzung von Muskel-, Wasser- und Windkraft und thermischer Energie im europäischen Mittelalter bis zu Zeiten Leonardo da Vincis. Wie der Titel verdeutlicht, handelt es sich nicht um eine analytische Gesamtdarstellung, sondern um eine kommentierte Präsentation entsprechender Schrift- und Bildquellen, die auf jahrzehntelangen Arbeiten von Dietrich Lohrmann, Horst Kranz, Thomas Kreft und Ulrich Alertz in Aachen beruht. Präsentiert werden Auszüge aus technischen Manuskripten des Mittelalters im engeren Sinne, aber auch zahlreiche Belege für die Nutzung energetischer Ressourcen aus anderen Quellenbeständen. Auch wenn viele der ausgewählten Quellen durchaus bekannt sind und zum Teil von den Autoren selbst an anderer Stelle publiziert wurden, bleibt der für diese Zusammenstellung gewählte energiegeschichtliche Fokus gewinnbringend, weil er einen kohärenten Zugang zu diesem Thema eröffnet.

In jeder Hinsicht überzeugend ist der breite thematische Bogen, der nicht nur die komplexe Maschinentechnik des Mittelalters insbesondere in Form von Mühlwerken unterschiedlicher Art behandelt. Vielmehr erschließen die ausgesuchten Quellen auch darüber hinaus Informationen zum Einsatz von menschlicher und tierischer Muskelkraft, zum Transport zu Lande und zu Wasser oder zu Wärmeressourcen wie Brennholz, Torf, Holz- oder Steinkohle. Etwa die Hälfte des zweiten Bandes ist zudem den ebenso aufschlussreichen wie vielfältigen Bemühungen gewidmet, Energie möglichst effizient zu nutzen – durch den Einsatz von Magneten und Quecksilber ebenso wie durch Maschinenelemente wie Gegengewicht, Kurbel oder Schwungrad, Pendel oder Feder. Gerade hier eröffnen sich vertiefte Einblicke in die zwischenzeitlich unumstrittene Kreativität technischen Schaffens im Mittelalter. Weitere Unterkapitel behandeln themenspezifische Architekturen wie den Straßen-, Brücken-, Kanal- und Schleusenbau sowie theoretische Überlegungen mittelalterlicher Autoren beispielsweise zum Phänomen der Wärme oder des Perpetuum Mobile.

All diesen Aspekten sind einheitlich aufgebaute Unterkapitel gewidmet. Zunächst erläutert eine kurze einleitende Passage den Einsatz der entsprechenden Technologie im Mittelalter. Die Quellenauszüge werden im Anschluss in Originalsprache und deutscher Übersetzung wiedergegeben. Sie sind vielfach mit Bildmaterial aus den Originalquellen illustriert sowie mit Kommentaren von unterschiedlicher Länge und Tiefe versehen. Abgeschlossen werden die Unterkapitel durch eine Bibliografie mit weiterführender Literatur. Systematische Erläuterungen der wirtschafts-, sozial- und kulturhistorischen Kontexte des mittelalterlichen Einsatzes von Technik bieten die kommentierenden Passagen allerdings nicht. Gerade wenn sie unterschiedlichen Jahrhunderten und unterschiedlichen Regionen entstammen, stehen die Quellenauszüge daher zuweilen eher unverbunden nebeneinander.

Im Gesamtbild ermöglichen die beiden Bände umfassende Einblicke in die Nutzung von Energieressourcen im Mittelalter. Für Außenstehende wie Fachleute lässt sich viel Neues entdecken, und auch in der Lehre lässt sich das derart aufgearbeitete Quellenmaterial gewinnbringend einsetzen. Die Bände werden so dem im Vorwort formulierten Ziel, »für künftige Generationen bekannte und unbekannte Quellentexte mit Übersetzung und Kommentar bereitzustellen, und das zu möglichst vielen Aspekten der mittelalterlichen Energiegeschichte«, voll und ganz gerecht.

Kritisch ist anzumerken, dass unklar bleibt, nach welchen Kriterien die präsentierten Quellen ausgewählt wurden. Bedauerlich ist zudem, dass Fachfremden die Einordnung des präsentierten Quellenmaterials in größere Linien der Energiegeschichte Westeuropas und angrenzender Regionen nicht erleichtert wird. Das Werk hätte von einer umfassenden Einleitung profitiert, die das präsentierte Material beispielsweise vor dem Hintergrund der umwelthistorischen Debatten zur Energiegeschichte unterschiedlicher Epochen und Weltregionen der letzten Jahre reflektiert hätte.

Wenn die Einleitung darauf hinweist, dass die an Schriftquellen orientierte Mediävistik Fragestellungen und Forschungsstand zur mittelalterlichen Technikgeschichte seit Jahrzehnten konsequent ignoriert, so ist dieser Vorwurf sicher völlig berechtigt. Allerdings bleibt auch das vorliegende Werk durchaus selbstreferenziell, wenn es auf die systematische Einordnung in den Stand der umwelt- und energiehistorischen Forschung verzichtet und auch die methodisch-konzeptionelle Weiterentwicklung der Technikgeschichte der letzten Jahrzehnte ignoriert. Rätselhaft bleibt in diesem Zusammenhang die einleitend geäußerte Behauptung, Technikgeschichte sei »an den meisten deutschen Universitäten einschließlich der Technischen Hochschulen so gut wie abgeschafft« (S. 9 und ähnlich S. 14). Schließlich ist die Technikgeschichte unter den »Kleinen Fächern« seit langer Zeit kontinuierlich mit stets etwa zehn Professuren in der Wissenschaftslandschaft vertreten.

Trotz der genannten Einschränkungen auf konzeptioneller Ebene ist dem Werk eine breite Leserschaft zu wünschen, die die beeindruckenden Erträge der Aachener Arbeiten zur Technikgeschichte des Mittelalters weiterführt und stärker auch in benachbarten Forschungsfeldern kontextualisiert.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Marcus Popplow, Rezension von/compte rendu de: Dietrich Lohrmann, Energieressourcen Westeuropas vor 1500. Eine Anthologie von Text- und Bildzeugnissen. Band I: Antriebskräfte und Verkehr. Band II: Wärmeressourcen und Suche nach neuen Energien, Aachen (Shaker Verlag) 2022, 1004 S., 245 Abb. (Aachener Studien zur älteren Energiegeschichte, 11–12), ISBN 978-3-8440-8576-1; 978-3-8440-8577-8, EUR 99,60., in: Francia-Recensio 2023/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94535