In den letzten Jahren hat Reichsitalien wieder verstärkt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die »Regesta Imperii« haben mit dem sog. »Italienprojekt« hier seit 2016 einen Schwerpunkt gesetzt1. Anne Huijbers ist es zu verdanken, dass im November 2018 eine Konferenz in Rom zu den Kaisern und der Reichsidee in Italien vom späten 13. bis zum 15. Jahrhundert stattgefunden hat, deren Tagungsakten von 2022 hier vorzustellen sind. Im Zentrum stehen die symbolische Kommunikation, die politische Theorie, die juristische Seite, die humanistische Oratorik sowie die volks- und lateinsprachige zeitgenössische Historiografie rund um die Könige, die nach Italien kamen oder den Zug nach Süden wenigstens – wie Rudolf I. (reg. 1273–1291) – planten: So ein Zug konnte sich lohnen (S. 12f.).

Len Scales blickt auf die drei Dynastien, die den Romzug als ein Mittel zur dynastischen Kontinuität im Reich nutzten: Habsburg, Luxemburg, Wittelsbach. Die Humanisten näherten sich der Reichsidee mit sehr unterschiedlichen Perspektiven. Für den im Dienste eines Colonna-Kardinals stehenden Kölner Kanoniker Alexander von Roes waren die Hauptstädte des Reichs Rom, Mailand, Aachen und Arles immer noch konstitutiv für das Reichsgebilde (S. 14). Umgekehrt war man in Italien vielerorts stolz auf die eigenen Beziehungen in den Norden. So betonte Lucca unter Karl IV. seinen Status als Reichsstadt (S. 20). Etliche italienische Ärzte, Bankiers, Ratgeber und Diplomaten standen im Dienste der römischen Könige und Kaiser. Der transalpine Kulturaustausch wird in Cola di Rienzos Vermittlung von Dantes »De Monarchia« an den Prager Hof deutlich; umgekehrt war Marsilius᾽ von Padua »Defensor pacis« verbreitet (S. 33f.).

Die erste Sektion ist dem Spannungsfeld zwischen der imperialen Idee und dem res publica-Verständnis in den italienischen Kommunen gewidmet. Einleitend hierzu analysiert Carole Mabboux den Umgang mit dem ciceronianischen Verständnis der res publica. Im 14. Jahrhundert verbanden etliche Autoren republikanische Ideale mit der Fähigkeit der kommunalen Selbstbestimmung und »Freiheit«. Giovanni Villani bezeichnete in seiner »Cronica« aus den Jahren 1320–1340 mit der Republik das antike Rom, aber auch sein Florentiner Gemeinwesen, um so auch seine gefährdete politische und legislative Autonomie hervorzuheben (S. 52, 56). Kernpunkt der Kaiserfrage für das kommunale Italien war die Garantie der städtischen Freiheiten. So konnten Dantes »Monarchia« (ca. 1313) und Marsilius die Rechte des Kaisers verteidigen (S. 59). Anna Modigliani geht den Begriffen Imperium und res publica in den Briefen Cola di Rienzos und in zeitgleichen Chroniken nach. Rom war ja die città imperiale schlechthin. Colas Tribunenamt war insofern ambivalent, als es schon in der Antike von Augustus zur eigenen Machtsteigerung instrumentalisiert worden war. Colas Ritterweihe vom 1. August 1347 implizierte die Ablehnung der Konstantinischen Schenkung und Aneignung der kaiserlichen Gewalt durch einen Laien (S. 79). Man müsse bei dem nach der Alleinherrschaft strebenden Cola di Rienzo den Unterschied zwischen seinem eigenen Konzept der res publica Romana und demjenigen der res publica Romanorum der Stadtstatuten von 1360/1363 beachten (S. 82), was ja auch erklärt, warum ihn seine Landsleute letztlich fallen ließen. Juan Carlos D’Amico stellt Fazio degli Ubertis »Dittamondo« vor, dem eine imaginäre Reise durch Europa und Afrika zugrunde liegt. Die als alte Frau personifizierte Roma beklagt sich über ihre verschiedenen Ehemänner, beginnend mit Romulus und den sechs Königen von Rom. Konstantin gilt ihr wegen seiner Schenkung als ungetreuer Gemahl (un marito infedele) (S. 95). Die Alte wirft Kaiser Karl IV. (Carlo di Buemme), der ja nur insgesamt kurze Zeit – immerhin zu zwei Gelegenheiten 1355 und 1368 – am Tiber weilte, wegen seiner Absenz vor, des Titels, den er trage, nicht würdig zu sein (S. 93). Die in einem zweiten Gedicht (»canzone di Roma«) ventilierte Lösung hätte die Wahl eines italienischen Stellvertreter-Königs durch den Kaiser (Karl IV.) sein können, worauf vielleicht Cola di Rienzo in seiner zweiten Regierungsphase in Rom gehofft hatte (die allerdings mit seiner Ermordung tragisch für ihn endete).

Die zweite Sektion ist der Kaiseridee bei Juristen und Humanisten gewidmet. Daniela Rando geht auf das Werk von ausgewählten Juristen an der Universität Padua im 15. Jahrhundert ein. Raffaele Fulgosio musste auf dem Konstanzer Konzil konstatieren, dass die universale Herrschaft des Kaisers nicht überall anerkannt wurde. Francesco Zabarella ging in einem consilium einigen Fragen im Zusammenhang mit der Wahl des Königs der Römer nach: Mit welchem Recht und Verfahren führten die sieben Kurfürsten die Wahl durch? Was geschah bei Uneinigkeit? Welche potestas genoss der Gewählte vor der Krönung durch den Papst? Der nachmalige Bischof von Trient Johannes Hinderbach hat dagegen seine universitären Mitschriften gesammelt. Alle drei Autoren waren sich einig, dass die weltliche Gewalt der römischen Könige und Kaiser nicht durch den Papst beeinträchtigt werden durfte (S. 117f.). Veronika Proske untersucht das Treffen zwischen Papst Eugen IV. und Kaiser Sigismund anlässlich dessen Krönung 1433 in Rom und dessen Widerhall bei den Humanisten. Die Augenzeugen berichteten detailliert vom zeremoniellen Ablauf. Eindruck machte stets der massenhafte Ritterschlag durch den neuen Kaiser auf der Tiber-Brücke. Der oft erwähnte angebliche Rundgang des Kaisers aus dem Hause Luxemburg mit dem gelehrten Ciriaco d’Ancona durch Rom war indes eine literarische Fiktion (S. 147). Der oft – ungerechtfertigt – als »Reichsschlafmütze« verkannte Friedrich III. war viermal nach Italien gezogen und zweimal in Rom gewesen. In den von Riccardo Pallotti analysierten Begrüßungsreden, die führende italienische Humanisten an den Habsburger richteten, wurde dieser wiederholt aufgefordert, die Führung eines Kreuzzugs zu übernehmen (S. 162). Ein weiterer Kitt waren die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen italienischen und deutschen Fürstenhäusern, auf die abschließend Claudia Märtl hinweist. So darf man nicht vergessen, dass Friedrichs III. Ehefrau Eleonora die Nichte des Königs von Neapel Alfons von Aragon war (S. 167). Friedrichs mitziehende Kanzlei arbeitete auf Hochtouren und versorgte – nicht zum Schaden der stets klammen kaiserlichen Kasse – viele Italiener mit Privilegien. Aeneas Silvius Piccolomini setzte mit seinen Schriften auf den Kaiser Maßstäbe. Auf die Friedrich III. oft zugedachte Führung eines Kreuzzugs ließ sich der vorsichtige Habsburger aber nicht ein.

Die dritte Sektion des Bandes ist den Strategien gewidmet, mit denen namhafte Geschichtsschreiber des Spätmittelalters und Humanismus die Reichsthematik angingen. Heike Johanna Mierau untersucht hierfür spätmittelalterliche Universalchroniken, deren wirkmächtigste zweifellos die auch in Italien weitverbreitete Papst-Kaiser-Chronik Martins von Troppau war. Bemerkenswerterweise war das Werk auch ein Hilfsmittel für Juristen, die seinen Informationen Beweischarakter zusprachen. Die Herausgeberin Anne Huijbers selbst wendet sich Autoren zu, die sich mit der Geschichte der Kaiser beschäftigt haben. Zunächst gilt die Analyse Giovanni Mansionarios (gest. 1337) »Ystorie imperiales«, gefolgt von Benvenuto da Imolas »Libellus augustalis«. Die beiden Autoren legitimierten die kaiserlichen Ambitionen auf der italienischen Halbinsel. Rino Modonutti zeigt das Auf und Ab des Engagements des Albertino Mussato für die Kaiser seiner Zeit, hier besonders für Heinrich VII. aus dem Hause Luxemburg. Die 1315 einsetzenden Dichterkrönungen in Italien vereinten Kaiser und Dichter – beiden gebührte der Lorbeer (S. 275f.). Mussatos Glaube an das Reich lebte wieder bei der Ankündigung der Romfahrt Ludwigs des Bayern im Jahr 1327 auf, wie ein Brief an Marsilius von Padua belegt. Hier knüpft Alexander Lees Beitrag zu Ludwig IV. von Bayern an, den Mussato zunächst als potentiellen Wiederhersteller der paduanischen Freiheit begrüßte (S. 291). Der Paduaner Frühhumanist und Historiograf teilte aber Ludwigs Abkehr vom legitimen Papst nicht. Das antike Rom war zweifellos der Fluchtpunkt im Kalkül der Humanisten. Schließlich wurde Karl IV. zur Projektionsfläche ihrer Wünsche. Mit der »Goldenen Bulle« 1356 verschwand Ludwig der Bayer allerdings weitgehend aus ihrem Fokus (S. 302). Coluccio Salutati verurteilte Ludwig, da er sich von Matteo Visconti hatte unterstützen lassen, und zog Parallelen zu dem ebenfalls Florenz bedrohenden Bündnis zwischen Karls IV. Sohn Wenzel und Giangaleazzo Visconti.

Claudia Märtl zieht eine Bilanz des Bandes. Ein von ihr aufgezeichnetes Desiderat zielt auf die Fortführung des Katalogs Percy Ernst Schramms zu den Porträts deutscher Kaiser und Könige über 1190 hinaus (S. 333). Ähnlich würde es sich lohnen, die kaiserlichen Reservatrechte (gestreift im Band u. a. auf S. 21, 168, 179, 335) gezielt aufzuarbeiten. Jeder vom Kaiser ernannte Hofpfalzgraf, Ritter oder poeta laureatus war kraft seiner Privilegien (vor allem des Rechts auf Ernennung von Notaren und der Legitimierung von unehelich Geborenen) ein potentieller Multiplikator kaiserlichen Herrschaftshandelns. Kein Wunder, dass die Päpste sehr schnell in unerbittlicher imitatio imperii auch diese Nischen mit eigenen analogen Ernennungen zu besetzen trachteten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Rehberg, Rezension von/compte rendu de: Anne Huijbers (ed.), Emperors and Imperial Discourse in Italy, c. 1300–1500. New Perspectives, Roma (École française de Rome) 2022, 368 p. (Collection de l’École française de Rome, 592), ISBN 978-2-7283-1563-5, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2023/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96755