Bereits der Titel zeigt programmatisch das Ziel der Studie an: »Regnum statt Interregnum«. Ingrid Würth löst den holländischen Grafen Wilhelm, der von 1247 bis 1256 als römisch-deutscher König regierte, aus einer vermeintlich passiv-reaktiven Position, in der ihn die Forschung bis zum heutigen Tag sieht. Einschätzungen dieser Art folgen ältere Darstellungen, die Wilhelm als »Pfaffenkönig« am Gängelband des Papstes und seiner Legaten oder im Schatten seiner übermächtig scheinenden Königswähler charakterisieren. An der Entstehung dieser Bilder haben bereits die Zeitgenossen des 13. Jahrhunderts gewirkt: Der Mainzer Erzbischof Siegfried III. von Eppstein, der auf seiner berühmten Tumbaplatte die beiden Könige Heinrich Raspe und Wilhelm in Zwergengröße darstellen ließ, ebenso wie Rudolf von Habsburg, der seinem Verständnis nach direkt an die Staufer anknüpfte, sodass die Zeit zwischen dem Tod Friedrichs II. (1250) und seiner Erhebung (1273) zur vermeintlich königlosen Zeit (»Interregnum«) degradiert wurde. Bemerkenswert ist aus forschungsgeschichtlicher Perspektive nicht die Tatsache, dass die national orientierte Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts diesen Modellen dynastischer und kurfürstlicher Identitätsstiftung folgte, sondern dass sie die moderne Mediävistik bis heute prägen. Daher war eine Neubewertung längst überfällig, die in der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstandenen Habilitationsschrift vorgenommen wird.

Ingrid Würth legt ihre Bestandsaufnahme klug an, indem sie sich weder in einer Biografie des holländischen Grafen auf dem Königsthron verliert noch Aspekte in den Blick nimmt, die vergleichsweise breit erforscht sind – etwa Wilhelms Verhältnis zum »Rheinischen Bund«. Stattdessen setzt sie zunächst auf eine ausführliche Analyse des komplexen Wirkverbundes von Königsherrschaft, päpstlicher Einflussnahme sowie dem Wirken weltlicher und geistlicher Funktionsträger im Reich. Im Zentrum stehen Wilhelms Beziehungen zu den geistlichen Königswählern am Rhein, deren Engagement Würth als ambivalent beschreibt. Ihre Haltung sei nicht nur durch das Verhältnis zum König, sondern auch zu den päpstlichen Legaten in seiner Umgebung bestimmt worden. Konsequenterweise nimmt die Studie daher auch die päpstlichen Legaten in den Blick, die als »ideelle Untermauerung« der Königsherrschaft (S. 179) sowie als Agenten päpstlicher Einflussnahme nördlich der Alpen analysiert werden. Baute Wilhelm seine Macht unmittelbar nach der Wahl zunächst mit Hilfe des regionalen Niederadels seiner Herkunftsregion auf, so erlangte er zunehmend die Unterstützung des fürstlichen und gräflichen Adels im Nordwesten. Mit der Ausdehnung seines Zugriffs auf die Rhein-Main-Region setzte er vor allem auf den mittelrheinischen Adel und die Reichsministerialen. Auf der Basis der diplomatischen Überlieferung kann Würth durch den Vergleich mit dem Stauferrepräsentanten Konrad IV. belegen, dass sowohl die Quantität als auch die geografische Reichweite der Urkunden Wilhelms entsprechende Aktivitäten des Gegenspielers deutlich übertrafen, sodass »eine größere Nachfrage nach seiner legitimierenden Funktion und somit eine höhere Akzeptanz seiner Herrschaft« zu konstatieren sei (S. 124).

Zur Beschreibung der Handlungsspielräume königlicher Politik wendet sich die Verfasserin zwei unterschiedlichen Regionen zu, die repräsentativ für verschiedene Voraussetzungen und Entfaltungsmöglichkeiten stehen: Zum einen Wilhelms Aktivitäten in Holland als Herkunftsregion mit etablierten familiären und herrschaftlichen Netzwerken, zum anderen seine Politik im Osten des Reiches, den er sich sukzessive erschließen musste. Stets blieb die Grafschaft Holland auch während Wilhelms Herrschaft Bezugspunkt seines Handelns, sodass Würth sie als »Teil seines Regimes im Reich« bezeichnet (S. 208). Auf diese Weise revidiert sie die Einschätzung der älteren Forschung, die Wilhelms militärische Maßnahmen im Nordwesten als Versäumnis seiner Herrscherpflichten zugunsten regionaler Ambitionen wertete. Nach dem Tod Friedrichs II. wandte sich der König zunehmend den norddeutschen Welfengebieten sowie der Harz- und Saaleregion zu. Würth merkt jedoch an, dass die Grundlagen dieser seit 1252/1253 ausgeweiteten Verbindungen auf älteren Kontakten beruht haben dürften. Dies dokumentieren etwa die strategisch wichtigen Ehen: Die Hochzeit seiner Schwester Margarete mit Hermann I. von Henneberg im Jahr 1249 erschloss Wilhelm die Kreise des thüringischen Adels. Seine eigene Ehe, die er im Jahr 1252 mit der Urenkelin Heinrichs des Löwen und Großnichte Kaiser Ottos IV., Elisabeth, einging, bescherte ihm die gleichermaßen prestigereichen wie wichtigen Verbindungen zu den Welfen. Deren verzweigte Verwandtschaftsbeziehungen verschafften ihm Zugang zu den Markgrafen von Brandenburg und den Herzögen von Sachsen, die seine Herrschaft im selben Jahr bestätigten und somit ein breiteres Legitimationsfundament schufen.

Der Wahrnehmung des Königs in der Historiografie widmet sich der letzte Abschnitt der Studie. Zeitgenössische Geschichtsschreiber werteten seine Herrschaft primär aus regionaler Sicht und beurteilten sein Wirken in ihrem jeweiligen geografischen Umfeld vom Nieder- und Mittelrhein (»Annales S. Pantaleonis«, »Gesta Treverorum«) über Holstein (Albert von Stade), Friesland (Menko von Wittewierum) und Thüringen (»Erfurter Predigerannalen«) bis nach Bayern (Hermann von Niederaltaich). Aus jeweils örtlicher Perspektive erscheint Wilhelm als Herrscher, »der im Zusammenspiel mit anderen Großen seinen Einflussbereich ausbaut und dessen Königsherrschaft […] im Verlauf weniger Jahre fast das ganze nordalpine Reich« erfasste (S. 365). Eine Zäsur der zeitgenössischen Wahrnehmung bildete die Königserhebung Rudolfs von Habsburg, der seine direkten Vorgänger weniger als eigenständige politische Akteure, sondern bestenfalls als Gegenspieler mächtiger Stauferherrscher sah. Anders stellte sich die Wahrnehmung in Holland dar, waren doch dort die dynastische Memoria der Grafenfamilie und die Erinnerung an ihre Rolle in der Reichspolitik aufs Engste miteinander verwoben.

Stets betont Ingrid Würth die Kontinuität von personalen Konzepten und konsensualen Aspekten der Königsherrschaft, auf deren Grundlage sie Wilhelm in der Tradition seiner staufischen Vorgänger und habsburgischen Nachfolger sieht. Aus dieser Perspektive stellt die Verfasserin das noch in jüngsten Arbeiten etablierte Paradigma des »Interregnum« nicht nur in Frage, sondern spricht ihm jegliche erkenntnisleitende Funktion ab: »Wenn ein Begriff so wenig für das Verständnis dieser Zeit leisten kann, weshalb sollte man dann noch weiter an ihm festhalten, vor allem, wenn er in seiner wörtlichen Bedeutung offensichtlich missverständlich, ja sogar falsch ist?« (S. 443). Es bleibt zu hoffen, dass dieser Appell auf fruchtbaren Boden fällt. Ingrid Würths Studie liefert für eine Neubewertung in jedem Fall eine exzellente Grundlage.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Claudia Garnier, Rezension von/compte rendu de: Ingrid Würth, Regnum statt Interregnum. König Wilhelm, 1247–1256, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2022, LVIII–476 S., 10 Abb. (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, 80), ISBN 978-3-447-11782-1, EUR 78,00., in: Francia-Recensio 2023/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96773