Die Rezension nimmt zwei Bände in den Blick, die sich vorwiegend an Lehrende im Bereich der mittelalterlichen (und frühneuzeitlichen) Geschichte des Mittelmeerraums richten. Sie folgen einem Trend, spezielle Lehr- und Quellenbücher für die universitäre Lehre zu verfassen, der im Zusammenhang mit höheren Lehrdeputaten steht und in Deutschland beispielsweise in der Reihe »Seminar Geschichte« im De Gruyter Verlag seinen Ausdruck findet. In der Geschichte ist diesen Bänden erfreulicherweise immer eine enge Verzahnung von historischem Narrativ und konkreter Anbindung an die Überlieferung charakteristisch. In der mediävistischen Lehre wird der Wunsch nach einem diverseren Curriculum kontinuierlich lauter, häufig fehlen jedoch Übersetzungen einschlägiger Quellen zu Themen, die beispielsweise den Mittelmeerraum in all seinen Facetten in den Blick nehmen. Das an der Universität Konstanz erarbeitete Wiki zur transmediterranen Geschichte mit seinen umfangreichen Kommentierungen und dem Abdruck der Quellen in Originalsprache und Übersetzung besitzt in diesem Bereich Vorbildcharakter1.
Die beiden hier zu besprechenden Bände zum Mittelmeerraum, der bewusst weit gefasst wird, reihen sich in diese Entwicklungen ein und erweitern unsere Möglichkeiten, den Mittelmeerraum in der Lehre zu behandeln, beträchtlich. Dabei bildet der Band »The Sea in the Middle« das Lehrbuch und der Band »Texts from the Middle« den dazugehörigen Quellenreader mit Auszügen aus einschlägigen Quellen in englischer Übersetzung – auf einen Abdruck in Originalsprache wurde verzichtet. Der Kapitelaufbau bleibt dabei jeweils derselbe, sodass man mühelos die passenden Quellenstellen finden kann. Beide Bände können aber natürlich auch unabhängig voneinander gewinnbringend genutzt werden. In ihrem Vorwort formulieren die Herausgeber ihr Ziel, ein Lehrbuch zu publizieren, das den Entwicklungen der Forschung in den letzten Jahrzehnten gerecht wird. Das Mittelmeer soll konsequent in den Mittelpunkt der Beobachtungen gerückt werden, um so den Perspektivwechsel von einer anglo-europäisch-westlichen hin zu einer mediterranen Sichtweise auf die Geschichte nun auch in einem Lehrbuch zu verankern. Lehrenden soll damit die Möglichkeit geboten werden, aufbauend auf ihren jeweiligen eigenen Spezialisierungen, einen Kurs über die Entstehung Europas aus mediterraner Perspektive zu konzipieren.
Beide Bände folgen einem konsequent mediterran gedachten chronologischen Dreischritt, der zunächst ungewöhnlich erscheinen mag, wenn man nordalpine Periodisierungen gewöhnt ist: Der erste Teil, »The Helleno-Islamic Mediterranean (650‑1050 CE)«, nimmt die Periode in den Blick, in der der Mittelmeerraum vom byzantinischen Reich und dem Islam geprägt war. Der zweite Teil, »An Age of Conflict and Collaboration (1050‑1350 CE)«, beschreibt eine Epoche, die nach der Desintegration des islamischen Kalifats eine völlig veränderte politische Struktur bereithielt. »Conflict and Collaboration« klingt zunächst banal für die Beschreibung einer historischen Periode, charakterisiert das Mittelmeer in jener Zeit aber recht gut. Der dritte Teil, »The Contest for the Mediterranean (1350‑1650 CE)«, geht von den Veränderungen des 14. Jahrhunderts, vor allem der Pest, aus und erstreckt sich dann bis ins 17. Jahrhundert, in dem andere regionale Schwerpunkte dem Mittelmeer endgültig den Rang abgelaufen haben. Erfreulicherweise endet der Band nicht mit 1453 oder 1492, sondern nimmt die Kontinuitäten in den Blick, die über diese Epochenereignisse in beide Richtungen hinausgehen: Weder kam Kolumbus’ Amerikafahrt aus dem Nichts, noch hat sie umgehend eine neue Weltordnung etabliert. Dasselbe gilt für die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen.
Der Lehrbuchband beginnt mit einer konzisen Einführung in den Mittelmeerraum unter dem Titel »Land, Sea, and People«. Jeder der drei Hauptteile beginnt wiederum mit einer knappen historischen Einführung, gefolgt von jeweils vier bis sechs Unterkapiteln, die verschiedene Schwerpunkte der Epoche hervorheben. Die Autoren haben auf eine Darstellung der politischen Geschichte der einzelnen Reiche und Dynastien verzichtet, um stattdessen breitere historische Trends, die die Region als Ganzes geprägt haben, in den Mittelpunkt zu rücken. Alle Abschnitte beginnen mit einem »Artifact«, das etwas irreführend sowohl ein Objekt als auch einen Text oder ein Konzept wie den Heiligen Krieg bedeuten kann und das beispielhaft für die in dem jeweiligen Kapitel zentralen Themen analysiert wird und parallel zum eigentlichen Narrativ des Lehrbuchtextes steht.
Im Quellenreader finden sich zu den einzelnen Themen jeweils mehrere Quellenauszüge sowie Diskussionsfragen, die als Lektüreaufgaben für die Studierenden genutzt werden können. Die Auswahl deckt ein enorm breites Spektrum – sowohl im Hinblick auf die Quellengattungen und -sprachen als auch auf die behandelten Themen – ab, das hier nicht im Detail vorgestellt werden kann. Beispielhaft sei dies anhand der Abschnitte des Querschnittkapitels »Slavery and Captivity« (S. 176–189) gezeigt, das sich über den gesamten Darstellungszeitraums des Bandes erstreckt: »Slave Soldiers in the Muslim World« bietet zwei Auszüge von Ibn Khaldun sowie einen osmanischen Text aus dem 16. Jahrhundert. »Early Medieval Europe and the Slave Trade« fokussiert gesetzliche Grundlagen im Frühmittelalter von Papst Hadrian über Karl den Großen zu Lothars Vertrag mit Venedig. In »Slave Life in Late Medieval Mediterranean Europe« findet sich eine Auswahl von sieben Dokumenten aus dem unerschöpflichen Quellenfundus zum Alltagsleben von Sklavinnen und Sklaven, darunter Briefe, Gesetzestexte und Testamente. »Crusaders, Corsairs, and Captives« enthält drei Auszüge aus dem 12. und 16. Jahrhundert, leider mit einer großen Lücke dazwischen. »Perceptions of Black Africans in the Early Modern Mediterranean« schließlich leitet über zum frühneuzeitlichen Sklavenhandel mit Dokumenten zur Versklavung afrikanischer Menschen im 16. Jahrhundert.
Dieses Beispiel zeigt auch die Grenzen des Ansatzes: Die einzelnen Themen werden durch die Quellen nicht repräsentativ abgebildet – was ein solcher Band auch nicht leisten kann –, und manchmal verwundert die Auswahl auch, wie im o. g. Beispiel der Piraterie. Als weiterer Kritikpunkt ist anzuführen, dass die einordnenden Kommentare zu den Quellen – im Gegensatz zu jenen des Konstanzer Projekts – sehr knapp gehalten sind, sodass man als Nutzer nicht umhinkommen wird, zusätzliche Sekundärliteratur zu Rate zu ziehen, um mit den Studierenden eine Quellenkritik vornehmen zu können. Hier hätte man sich noch mehr Informationen beispielsweise zu den Verfassern der Quellen gewünscht. Während das Lehrbuch aufwändig und farbig illustriert und mit zahlreichen Karten ausgestattet ist, steht der Quellenreader dahinter zurück. Dies mag dem Ziel geschuldet sein, diesen etwas günstiger zu halten, geht allerdings zu Lasten der Übersichtlichkeit. Insgesamt haben die Autoren der universitären Lehre mit beiden Bänden aber einen kaum zu überschätzenden Dienst erwiesen. Man wird die Bücher sicherlich nicht vollständig für einen Kurs verwenden, gerade für die in Deutschland übliche Kursstruktur von 13 bis 15 Sitzungen zu je 90 Minuten ist das Material zu umfangreich, aber man wird immer wieder darauf zurückgreifen, sei es für einzelne Kurseinheiten oder auch nur für einzelne Quellen, Diskussionsansätze oder Essayaufgaben.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Thomas E. Burman, Brian A. Catlos, Mark D. Meyerson (ed.), Texts from the Middle. Documents from the Mediterranean World, 650–1650, Berkeley, 2022, 290 p., ISBN 978-0-520-29653-4, USD 34,95; Thomas E. Burman, Brian A. Catlos, Mark D. Meyerson (ed.), The Sea in the Middle. The Mediterranean World, 650–1650, Berkeley, California (University of California Press) 2022, 496 p., 185 fig., ISBN 978-0-520-29652-7, USD 49,95. , in: Francia-Recensio 2023/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96774