Der vorliegende Sammelband ist aus der internationalen Tagung »I filosofi e la Bibbia: Letture filosofiche delle Scritture in età moderna« [Die Philosophen und die Bibel: Philosophische Lektüren der Heiligen Schrift in der Neuzeit] hervorgegangen, die vom 9. bis zum 10. Mai 2019 in Rom und Viterbo stattfand und von unterschiedlichen, italienischen Forschungsinstitutionen und Universitäten organisiert wurde: der Fakultät für moderne Sprachen und Literaturen, Geschichte, Philosophie und Rechtswissenschaften (DISTU) der Universität Tuscia, der Fakultät für Philosophie der Universität La Sapienza in Rom und dem Institut für das Europäische Lexikon der Intellektuellen und der Ideengeschichte (ILIESI-CNR)1 des Nationalen Forschungsrats in Rom. Schon die interdisziplinäre Zusammenarbeit dieser verschiedenen – philosophischen, philologischen, historischen sowie ideengeschichtlichen – Forschungseinrichtungen lässt erahnen, wie umfangreich das behandelte thematische Spektrum der Beiträge ist.

Die sechzehn Autoren und Autorinnen – bis auf zwei Ausnahmen alle aus dem italienischen akademischen Raum – setzen dabei in fünf Kapiteln jeweils unterschiedliche Schwerpunkte, die den Themenkomplex des Einflusses und der Rolle des biblischen Textes in den philosophischen Reflexionen der Frühen Neuzeit umkreisen. Wie die drei Herausgeberinnen in ihrer programmatischen Einleitung unterstreichen, kommt dabei dem 17. Jahrhundert eine Schlüsselrolle zu, wobei gerade dieser Zeitraum immer noch ein gewisses Desiderat darstellt: Denn mit Ausnahme der Pionierarbeit von Amos Funkenstein »Theology and the Scientific Imagination from the Middle Ages to the Seventeenth Century« (1986) und einiger anderer allgemeiner Monografien, gibt es nur wenige Studien, die die Beziehung der Philosophen zur Heiligen Schrift in der Frühen Neuzeit umfassend und gründlich rekonstruieren. Ziel und Motivation der Tagung sowie des anschließenden Sammelbandes war es daher, den Diskurs über die verschiedenen philosophischen Lesarten der Bibel in der Frühen Neuzeit interdisziplinär zu beleuchten, mit Fokus auf dem 17. Jahrhundert.

Zunächst rückt im ersten Kapitel (»Enquiring on Moses«) die zentrale Figur des biblischen Moses in den Blickpunkt: Während Simonetta Bassi dessen vielfältige Darstellungen in der Renaissance analysiert, fokussiert Pina Totaro die Figur des Moses im Kontext des philosophischen Werks Baruch de Spinozas. Bassi arbeitet heraus, dass sich die Analyse der unterschiedlichen Bilder Moses’ als nützlicher Sensor erweist, der den Wandel der Urteile und Werte in der Frühen Neuzeit aufzeigt: War Moses zu Beginn der Renaissance vor allem ein Gesetzgeber und Führer, so wandelte sich sein Bild während und vor allem am Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr zu einer Art Magier und religiösem und politischem Hochstapler. Dies betrifft auch Überlegungen zu seiner Rolle als Verfasser des Pentateuchs: Pina Totaro weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass der Ursprung der Kritik an Moses’ Autorschaft der Bibel sich zwar bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt, jedoch zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert in besonderem Maße Konjunktur hatte. Spinozas Rolle hebt sie in diesem Kontext hervor: Denn erst mit seinem exegetischen und philosophischen Denken setzt die erste wirkliche Krise der Theologie ein, indem ihre Deutungshoheit philosophisch hinterfragt und ihr Forschungsgebiet neu definiert wird.

Im zweiten Kapitel wird der Bereich der Prophetie in den Mittelpunkt gerückt (»Prophet’s Witnessing«): Detailreich und präzise werden ihre Natur und ihr Status in den drei Kapiteln von Guido Giglioni, Anna Lisa Schino und Diego Donna vor dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit den philosophischen Reflexionen Tommaso Campanellas, Thomas Hobbes’ und Baruch Spinozas analysiert. Hierbei werden die theologisch-politischen Implikationen des Stellenwerts der Prophetie in der Frühen Neuzeit im Kontext der Reflexionen des jeweiligen Philosophen ausgelotet.

Der Zusammenhang zwischen der rationalen Theologie und der natürlichen Religion bzw. Vernunftreligion ist Thema des dritten Kapitels (»Rational Theology and Natural Religion«): Hierbei werden von Sarah Hutton die Ansichten der englischen Philosophin Anne Conway sowie Henry Mores, einem der führenden Vertreter der Cambridge Platoniker, in Bezug zur Bibel untersucht. Das Werk des englischen Theologen John Biddle und der englischen Unitarier zur Zeit John Lockes werden im Beitrag von Luisa Simonutti analysiert; Stefano Brogi erörtert die Reflexionen des französischen Frühaufklärers Pierre Bayle zur Bibel.

Pascal, Hobbes und Spinoza stehen im Fokus des vierten Kapitels (»The Moral Message of the Bible«), das um die Relevanz und Aussagekraft der moralischen Botschaft der Bibel kreist: Simone D’Agostino geht dabei der Frage nach dem Zusammenhang von Frieden und Wahrheit in Pascals »Pensées« nach, unter besonderer Berücksichtigung des Fragments L974/S771, das nicht in den herkömmlichen Editionen auftaucht und daher einen besonderen Stellenwert für die Analyse einnimmt. Unter dem sprechenden Titel »An Association without Power?«, widmet sich Francesco Toto Hobbes‘ Reflektionen der frühen christlichen Gemeinschaften, insbesondere im Hinblick auf die Aspekte der Demokratie, Gabe und Anerkennung. Spinozas »Tractatus theologico-politicus« wird von Giovanni Licata mit der Frage nach der philosophischen Bedeutung des in Herz und Geist des Menschen »eingeschriebenen göttlichen Gesetzes« beleuchtet.

Schließlich wird im fünften und letzten Kapitel (»The Accomodation Doctrine«), anhand von Fallstudien zu Johannes Kepler, Marin Mersenne, René Descartes und seinen niederländischen Anhängern sowie Isaac Newton und Christian Wolff, die neue Verwendung der Doktrin der accomodatio als Vehikel für einen Bruch mit der Tradition erörtert: Die Beiträge von Édouard Mehl, Claudio Buccolini, Antonella Del Prete, Matteo Favaretti Camposampiero und Franco Giudice umreißen dabei zwar philosophisch unterschiedliche Fragestellungen, allen gemeinsam ist jedoch die Auseinandersetzung mit der zentralen Problematik des Spannungsverhältnisses zwischen dem hermeneutischen Interesse der Philosophie und der Re-Evaluierung und (Neu-)Interpretation der Bibel.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Band die enorme Spannbreite der behandelten Themen, die hier nur angerissen werden können, am Ende der Lektüre fruchtbar einlöst: Das Buch ist somit weit mehr als »nur« ein Sammelband zu einer Tagung, sondern eröffnet neue und für die Forschung innovative Perspektiven auf den Austausch und die kritische Beziehung der Philosophen der Frühen Neuzeit mit der Heiligen Schrift. Die verschiedenen Interpretationen der Bibel können in diesem Sinne als eine Art Schmelztiegel gesehen werden, in dem viele der Themen, die für die Philosophie der frühen Neuzeit von entscheidender Bedeutung waren, reflektiert wurden und darüber hinaus den Weg ebneten, die Werte der Toleranz und der libertas philosophandi zu begründen, wie die Herausgeberinnen in der Einleitung betonen. Die Zusammenstellung der unterschiedlichen Beiträge, die sich inhaltlich ergänzen, liest sich dabei schlüssig. Die Themenvielfalt bietet ein facettenreiches Kaleidoskop. Zudem, auch dies sei abschließend erwähnt, wird jeder Beitrag abgerundet durch eine umfangreiche Bibliografie, die zu einer weiterführenden und tiefergehenden Lektüre zur jeweiligen Thematik motiviert.

1 Siehe: https://www.iliesi.cnr.it/ (abgerufen am 20.02.2023).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Silvia Richter, Rezension von/compte rendu de: Antonella Del Prete, Anna Lisa Schino, Pina Totaro (ed.), The Philosophers and the Bible. The Debate on Sacred Scripture in Early Modern Thought, Leiden (Brill Academic Publishers) 2021, XIV–303 p., 4 fig. (Brill’s Studies in Intellectual History, 333), ISBN 978-90-04-41863-9, EUR 124,00., in: Francia-Recensio 2023/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96885