Der Historiker und Archivar Uwe Folwarczny greift mit seiner im Jahre 2019 an der Universität Potsdam vorgelegten Dissertation ein von der Forschung bislang nur am Rande behandeltes Thema auf: die Regierungszeit Joachim Friedrichs von Brandenburg. Denn diese politisch einflussreiche Persönlichkeit fand bislang in historischen wie kirchengeschichtlichen Abhandlungen nicht jene Beachtung, die ihr eigentlich zusteht und das zum Schaden der Sache: Gerade im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert sind zahlreiche politische Prozesse in Bewegung, kumulieren politische, militärische wie wirtschaftliche Krisen, werden unterschiedliche und höchst divergierende konfessionelle Überzeugungen konfrontativ gelebt, aber auch Wege des politischen Miteinanders gesucht und pragmatisch umgesetzt.
Ein Grund dieser Vernachlässigung von Johann Friedrichs Regierungshandeln mag wohl auch darin liegen, dass seine Herrschaft bislang in der Forschung in einer Übergangszeit verortet wurde, welche in Brandenburg zwischen lutherischer-orthodoxen Überzeugungen der Obrigkeit und der Hinwendung Johann Sigismunds 1613 zur reformierten Konfession steht. Mit einer solchen Verortung folgt die historische Analyse nicht nur einem Konfessionalisierungsparadigma, sondern stellt Kurfürst Joachim Friedrich dadurch auch in den politischen Schatten seines Nachfolgers Johann Sigismund.
Diese Vernachlässigung räumt Folwarczny eindrücklich beiseite. Es ist das Verdienst seiner Studie, dass in ihr die politischen Absichten und Handlungen von Kurfürst Joachim Friedrich ausführlich dargestellt und interpretierend analysiert werden. Dabei folgt Folwarczny in seiner Arbeit keinem chronologisch-biografischen Aufbau, sondern unterteilt diese in insgesamt sechs thematische Kapitel: Einer ausführlichen Einleitung (A; S. 11–44) folgt eine Beschreibung der Herrschaft Johann Friedrichs als Markgraf von Brandenburg (B; S. 45–88). Zentrale Bedeutung im Gesamtduktus nimmt das Kapitel C ein, in dem die Regierungszeit Johann Friedrichs als Kurfürst von Brandenburg in den Jahren 1598 bis 1608 in den Blick genommen wird (C; S. 107–325). Dabei wird deutlich, dass Johann Friedrich innenpolitisch einen strengen lutherischen Kurs verfolgt, außenpolitisch jedoch – insbesondere mit Blick auf seine politischen Ziele in Jülich-Berg-Kleve-Mark – höchst pragmatisch vorgeht. Konfessionelle Differenzen mit politischen Bündnispartnern wie den Niederlanden oder der Kurpfalz aus dem reformierten Lager werden zugunsten gemeinsamer politischer Ziele zurückgestellt.
In Kapitel D (S. 326–352) wird der Versuch einer zusammenfassenden Deutung seiner Regierungsjahre vorgelegt. Während Johann Friedrich innenpolitisch den lutherischen Bekenntnisstand Brandenburgs durch eine orthodoxe Bildungs- und Kirchenpolitik festigte, gelang ihm zudem die Stabilisierung seiner Herrschaftsansprüche in den ihm unterstellten Territorien. Zudem konnte er gegen den Widerstand Polens die Vormundschaft über den erkrankten Albrecht Friedrich von Preußen durchsetzen.
Abschnitt E (S. 353–539) führt insgesamt 22 Biogramme wichtiger Amtsträger auf. In den Biogrammen werden nicht nur biografische Entwicklungen der besprochenen Personen genannt. Insbesondere hebt der Autor ihre Bedeutung im brandenburgischen Netzwerk um Johann Friedrich hervor. Eine gelungene Auswahl von Werken dieser Amtsträger, eine Quellenübersicht, eine umfassende Literaturliste sowie, falls vorhanden, Signaturen der jeweils verwendeten Porträts runden dieses Kapitel ab.
Besonders hervorzuheben ist der Anhang (F; S. 540–625). Der um sich greifenden Unsitte, wissenschaftliche Arbeiten ohne ein Register zu veröffentlichen, wird von Folwarczny mit seiner Studie eindrucksvoll begegnet. Einem Abkürzungsverzeichnis sowie dem Stammbaum- und Tabellenverzeichnis folgt ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis. Sorgfältig erstellte Personen-, Orts- und Sachwortregister vervollständigen diese Arbeit auf gelungene Weise.
Mit seiner Studie hat der Autor nicht nur die erste Darstellung der Regierungszeit Johann Friedrichs von Brandenburg vorgelegt. Folwarczny gelingt das Kunststück, in sprachlich eleganter Form nicht nur die innenpolitischen Bemühungen des Kurfürsten zu beschreiben, sondern auch die europäischen wie reichspolitischen Rahmenbedingungen seiner Regierung archivgestützt darzustellen. Auf diese Weise wird diese Studie zu einem wichtigen Nachschlagewerk brandenburgischer Politik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Erfreulich für den insbesondere an der rheinischen Landesgeschichte Interessierten ist die Tatsache, dass die politischen Kontexte um Jülich-Berg-Kleve-Mark ab 1609 ältere rheinische Vorarbeiten ergänzen. Überhaupt ist der souveräne Umgang mit den Archivalien ebenso hervorzuheben wie der sorgfältig erstellte Fußnotenapparat.
Einziges Manko dieser durchweg gelungenen Arbeit bleibt, nach Ansicht des Rezensenten, eine Unsicherheit bei der methodischen Ausgangsfrage. Worin besteht konkret der Vorzug einer »kollektivbiografischen« Vorgehensweise in Abgrenzung zur Prosopografie? Auch wenn die verwendeten Begrifflichkeiten in der methodischen Reflexion (S. 13–15) deutlich benannt werden, auch wenn das Ziel dieser Methode, nämlich eine »etatistische Verengung« des Konfessionalisierungsparadigmas vermeiden zu wollen, bestimmt wird, bleibt doch zu fragen, wie dies dem Autor gelungen ist und worin der inhaltliche Mehrwert einer kollektivbiografischen Darstellung von Amtsträgern gegenüber der Darstellung politischer Netzwerke denn eigentlich besteht.
Auch ist es bedauerlich, dass – auch aus nachvollziehbaren Gründen – eine Analyse der »persönlichen Konfessionalität« (S. 17) Johann Friedrichs anhand persönlicher Äußerungen nicht durchgeführt wurde. Der Erkenntnisgehalt solcher Aussagen sei sehr kritisch zu beurteilen, so heißt es zur Begründung. Daher sucht der Autor die konfessionelle Haltung des Kurfürsten anhand seiner tatsächlich umgesetzten Politik zu bewerten.
Allerdings gilt festzuhalten: Auch wenn konfessionellen Positionierungen von Spitzenpolitikern , nicht nur jener Jahre, methodisch mit großen Vorbehalten begegnet werden muss, so ist doch der Anspruch geäußerter Aussagen und die Wirklichkeit der dann umgesetzten Politik für eine Interpretation hilfreich.
Aber diese Bemerkungen sind Kleinigkeiten. Folwarczny gelang mit seiner Studie ein großer Wurf. Sie ermöglicht tiefe Einblicke in das politische Handeln einer zentralen Herrscherpersönlichkeit am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges im Reich und wird auf Jahre hinaus ihren Wert behalten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Andreas Mühling, Rezension von/compte rendu de: Uwe Folwarczny, Lutherische Orthodoxie und konfessioneller Pragmatismus. Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg zwischen Dynastie, Territorien und Reich, Berlin (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen 20) 2022, ISBN 978-3-428-18263-3, EUR 109,90., in: Francia-Recensio 2023/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96889