Die älteren brandenburgischen Hohenzollern des 16. Jahrhunderts haben unter biografischen Aspekten in der Geschichtsschreibung bisher eher wenig Aufmerksamkeit erfahren1. Dieser Umstand erscheint vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen durchaus bemerkenswert, fielen doch in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts die nicht unkomplizierte Wahl Karls V. zum Römischen König und die sich verstärkende Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich. Besonders die Reformation und deren vergleichsweise späte Einführung in der Mark Brandenburg, mit allen daran hängenden Konflikten, sowohl auf territorialer als auch auf Reichsebene und die wirkmächtigen Reichstage von Worms und Augsburg seien hier nur als Eckpunkte genannt. Mit Kurfürst Joachim I. und seinem Bruder, Markgraf (Kardinal) Albrecht, finden sich gleich zwei Widerstreiter der Wittenberger Theologen. Für gut drei Jahrzehnte gehörten somit zwei Hohenzollern gleichzeitig zum Kurkolleg. Zudem regierten Joachim I. und sein Sohn, Joachim II., jeweils mehr als 35 Jahre und prägten damit die Geschichte der Mark Brandenburgs aber auch des Alten Reiches für einen großen Teil des 16. Jahrhunderts.
Mathis Leibetseder, Referatsleiter im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, legt mit seiner äußerst umfangreichen Biografie Joachims II. die erste umfassende Lebensbeschreibung dieses Kurfürsten vor. Es ist dabei wenig überraschend, dass es der Kontext des 500-jährigen Reformationsjubiläums war, der den Anstoß für dieses Vorhaben gab, dem zunächst eine Ausstellung vorausging.
Das Werk gliedert sich neben einer kurzen Einleitung (S. 1‑25), die sowohl eine Einordnung der Biografie als auch die maßgeblichen Grundsätze der Darstellung anschaulich umreißt, in drei Hauptabschnitte. Der erste Abschnitt ist dem Kurprinzen gewidmet (S. 26–150), in dessen Mittelpunkt, neben den spärlichen aktenmäßig belegten Nachrichten über den jungen Kurprinzen, dessen Verhältnis zum Vater, die Stellung innerhalb des Gesamthauses, die Bezüge zur Reformation und die erste Ehe stehen.
Der zweite Hauptabschnitt (S. 151–367) konzentriert sich auf die beiden Jahrzehnte zwischen 1535 und 1555, zwischen Regierungsantritt und Augsburger Reichstag. Am Anfang steht hier zunächst die nicht unproblematische Landesteilung, d. h. die Abteilung der Neumark für den jüngeren Bruder Johann. Das Zentrum des Abschnittes bildet die Einführung der Reformation und der neuen Kirchenordnung. Ausführlich wird der Ort der ersten lutherischen Abendmahlsfeier am 1. November 1539 diskutiert – Spandau oder Berlin/Cölln (S. 196–212). Die Quellen liefern, wie in vielen anderen Fällen auch, hier keinen eindeutigen Befund. Beachtenswert ist die Auflösung dieser Frage, die nicht auf das Wo des Abendmahls abzielt, sondern auf den Umstand selbst und dessen Verbreitung und damit auf die öffentliche Dokumentation der Anhängerschaft des Kurfürsten, wenn vielleicht auch nicht unbedingt an das lutherische Bekenntnis, so aber doch wenigstens an die neuen Zeremonien (S. 210–212).
Der letzte zentrale Abschnitt (S. 368–540) befasst sich mit Joachim II. als Renaissance-Fürst. In den Mittelpunkt werden hierbei die Kunstpatronage, die dynastische Politik und die unterschiedlichen Versuche des Ausbaus der Hof- und Landesverwaltung gestellt. Da sich die Mehrzahl dieser Aspekte chronologisch auf die im vorhergehenden Kapitel behandelten Jahrzehnte verteilte, wird hier wieder am Beginn der Regentschaft angesetzt. Den Abschluss bildet ein eigener, allerdings nur kurzer Abschnitt zum Tod des Kurfürsten und zum anschließenden Herrschaftswechsel (S. 541–559). Angeschlossen ist ein umfangreicher Anhang. Dieser besteht u. a. aus einer Zeittafel (S. 567–584) zu den zentralen Lebensstationen Joachims II. und den allgemeinen historischen Ereignissen, eine freundliche Zugabe für alle Leser und Leserinnen, die vielleicht in der Geschichte des 16. Jahrhunderts nicht ganz sattelfest sind. Sehr nützlich für die weitere Forschung dürften die ausdrücklich als »Materialien für ein noch zu erstellendes Itinerar Joachims« (S. 589) bezeichnete »Chronologische Ortsliste 1535–1571« (S. 589–651) sein. Diese beruht hauptsächlich auf den Urkunden und Schreiben, die der Kurfürst entwarf oder ausfertigte. Ein knappes Register, das Personen, Orte und Sachen umfasst, dient der etwas schnelleren Orientierung. Ein kleiner Tafelteil u. a. mit den bekannten Porträts des Kurfürsten und seiner Gemahlinnen, die die Abbildungen innerhalb des Bandes ergänzen, beschließt das Werk.
Die Klammer für Darstellung und Interpretation ist die Ambiguität des Kurfürsten. Die tatsächliche oder vermeintliche Unentschiedenheit in dessen jeweiliger Haltung und Argumentation ist das prägende Narrativ. Das ist nun nicht unbedingt neu. Neu ist hingegen die überwiegend positive Deutung dieser Ambiguität. Besonders auffällig wird das, wenn es um die Unterschiede, etwa der Politikstile Joachims I. und seines Sohnes, geht. Auf der einen Seite der willensstark, kompromisslos und egoistisch agierende Vater (u. a. S. 150), auf der anderen Seite der lange überlegende und taktierende Sohn, der über die Rolle des Vermittlers seine Ziele erreichen möchte. Nicht zweifelsfrei klären lässt sich die Ursache dieses ambiguen Verhaltens des jüngeren Joachims. Ob dieses tatsächlich dem taktischen und abwägenden Kalkül und Geschick geschuldet ist, wozu der Autor mehrheitlich tendiert, oder doch eher einer Zögerlichkeit und Unsicherheit, die aus einer Entscheidungsschwäche resultierte, kann aufgrund der Quellenlage wohl kaum entschieden werden.
Nicht ganz glücklich erscheint die Trennung zwischen dem Reichsfürsten der ersten beiden Abschnitte auf der einen und dem Renaissance-Fürsten des letzten Abschnittes auf der anderen Seite. Zumal zahlreiche Aspekte, etwa die dynastische Politik oder die Landesverwaltung, einschließlich der Finanzen, von den in den ersten Abschnitten behandelten Themen der Territorial- und Reichspolitik nicht zu trennen sind, ja diese geradezu die Grundlagen des Handelns bildeten. Gerade im Hinblick auf die dynastische Politik relativieren sich auch die Unterschiede zwischen Joachim I. und seinem Sohn. Das Ziel war in jedem Fall der Erhalt der Dynastie und die Sicherung bzw. Mehrung des territorialen Besitzes für dieselbe. Geht man von dieser Prämisse, dem was der Autor »Partikularegoismus der Dynastie« (S. 475) nennt, aus, unterschieden sich Vater und Sohn allenfalls in der Wahl ihrer Mittel. Das ist auch ein gewisser Widerspruch zu der oben skizzierten Gegenüberstellung der beiden. In diesen Kontext gehören auch die Erfolge Joachims II. bei der Besetzung des Erzbistums Magdeburg und des Bistums Halberstadt mit einem Administrator aus dem Haus Hohenzollern (S. 465–476). Dass in Halberstadt dieses Projekt mit dem Tod des Markgrafen Sigismund im Jahre 1566 bereits wieder endete, wird nicht weiter thematisiert. Auch die Mitbelehnung der Berliner Hohenzollern im Jahre 1563 mit dem Herzogtum Preußen gehört in diesen Zusammenhang (S. 476–484). Neben der Heiratspolitik waren es solche Vorhaben, die Optionen auf eine ungewisse Zukunft waren.
Gestützt auf eine umfangreiche Akten- und Literaturkenntnis gelingt dem Autor neben der Lebensbeschreibung Joachims II. ein breites Panorama, das zahlreiche Aspekte der Geschichte Brandenburgs und des Alten Reiches sowie der europäischen Fürstengesellschaft berührt. Gerade auch jenseits der eigentlichen Landesgeschichte bietet dieses in mehrfacher Hinsicht gewichtige Werk zahlreiche Anknüpfungspunkte, etwa im Hinblick auf die dynastische Politik oder die Residenzbildung. Diese zwei vermeintlich bereits abgehandelten Felder sind, und das verdeutlicht auch dieser Band, keineswegs erschöpfend bearbeitet. In jedem Fall dürfte und sollte diese Biografie aber zur Diskussion anregen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Holger Kürbis, Rezension von/compte rendu de: Mathis Leibetseder, Joachim II. von Brandenburg. Kurfürst zwischen Renaissance und Reformation, Berlin (Duncker & Humblot) 2022, 756 S., 33 Abb. (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen, 15), ISBN 978-3-428-18478-1, EUR 129,90., in: Francia-Recensio 2023/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96895