Die französische Buchgeschichte hat immer einige eigene Charakteristika aufgewiesen: die »bibliographie materielle« von Renouard über Muller, Aquilon bis Veyrin-Forrer legte auch für das 16. Jahrhundert zum Teil mehrseitige »dichte Beschreibungen« von Editionen vor, die fast in kodikologischer Tradition standen. Während der britische Pragmatismus auf Identifizierung von nicht satz-identischen Editionen und ihre griffige möglichst vollständige Erfassung in short-title-catalogues zielte, dies vom deutschsprachigen VD16 und dem italienischen edit16 für retrospektive Bibliografien mit Abweichungen (etwa auch Titelneusätze eigens aufnehmend) nachvollzogen wurde, blieb die französische Aufarbeitung der Druckproduktion einerseits fragmentarischer – es gibt immer noch keinen französischen STC oder VD16 –, andererseits zum Teil genauer und tiefenschärfer. Es kam die Tradition der Unterscheidung in Pariser Druckproduktion und die Produktion der »Province« hinzu, die in der historischen Entwicklung selbst begründet ist: das Pariser Zentrum wog in der Frühen Neuzeit fast durchgehend die Gesamtheit der Druckproduktion in den anderen Städten auf.
So ist auch Malcolm Walsbys gewichtiges »Booksellers and Printers in Provincial France 1470–1600« dieser doppelten »Donut«-Tradition verpflichtet, den Pariser »Kern« auszusparen, dazu – wegen Baudriers weitgehend erschöpfender Arbeit – auch Lyon, weil es sonst schwer zu bewältigen wäre oder sich Informationen doppeln würden: mit über 2650 Einträgen stellt es für das nicht-Pariser und nicht-Lyoneser Frankreich in etwa das Pendant zum deutschen »Benzing-Reske« dar, als bio‑bibliografisches Nachschlagewerk in alphabetischer Reihenfolge zu den Druckern, Verlegern und Buchhändlern, wie sie über die Druckproduktion, die langjährige buchhistorische Forschung und archivalisch nachweisbar sind. Es stellt sicher für die Zukunft ein unverzichtbares Handbuch und Grundlagenwerk dar. Die oft auf einen Ort konzentrierten bibliografischen Vorarbeiten von Muller, Aquilon, Baudrier und vielen anderen zu den Städten Lyon (hier aber nur genutzt für Querverbindungen in die anderen Province-Städte), Caen, Rouen in den Reihen der »Bibliotheca bibliographica aureliana« oder zu einzelnen Druckern – etwa zu Louis Desgraves – sind natürlich verwandt. Doch hat Walsby auch ein erhebliches Maß an eigener Autopsie an zehntausenden von Drucken sowie archivalische Studien eingearbeitet, die für viele im Druckgewerbe und -handel Tätigen überhaupt erst eine Notiz, einen Hinweis auf Briefwechsel, Lieferwege und Handelsverbindung bis hin zur autografen Unterschrift sichtbar gemacht haben. Ein besonderes Anliegen war Walsby auch die Erfassung der weiblichen Personen, die als Witwen von Offizin- oder Verlagsbetreibern oder auch sonst eigenständig erfassbar sind, auch wenn sich hier die Informationen oft auf die Namen und punktuelles Auftauchen in den Quellen beschränken. Die Einträge sind immer geordnet nach ermitteltem Aktivitätszeitpunkt, dem/den Orten der Tätigkeit, der beruflichen Rolle, einer Kurzbiografie, Hinweise auf Handelspartner, Fundort der Druckermarke oder des Mottos, bibliografischen und archivalischen Referenzen. Zuweilen sind Familienstammbäume beigegeben, wenn es sich um Druckergewerbs-Dynastien (Haultin, Cottereau etc.) handelt.
Der hier unmöglich referierbare Reichtum der einzelnen Einträge erschließt sich dem Forscher erst, wenn er punktuell nach einem Namen sucht, und die neuen bzw. forschungsaktuellen Informationen nachschlägt. Für viele historische Felder kann man hier Anstöße für weitere Arbeit finden: die Verbindung des Genfer Buchgewerbes mit innerfranzösischen Druckern und Verlegern ist schon in der Einleitung zum Thema gemacht, aber auch die netzwerkförmige Verbindung des französischen Druckergewerbes zum Zeitpunkt der Ligue (z. B. Einträge zu Bichon, Foigny, Bacquenois, Boyau …) lässt sich so ganz anders als nur mit Palliers und Baudriers Paris-Lyoneser Zentrierung erfahren. Fehlende Titel in der Bibliografie (etwa bei Eloi Gibier die Monografie von Desgraves) aufzuspüren, wäre hier nicht sinnvoll, da bei einer solchen Fülle nie Vollständigkeit möglich ist, und über die von Walsby genannten Titel man im Querverweis die Bibliografie gut vervollständigen kann.
Außer bei der Sensibilität Walsbys für die Verbindungen nach Genf besteht eine gewisse Schwäche darin – oder aber solche Verbindungen sind quellenmäßig wenig profiliert oder profilierbar aus französischen Archiven (?!) –, die transnationalen Verbindungen sichtbarer zu machen. Christophe Plantin ist ein kleiner Eintrag wegen seiner vor-Antwerpener Zeit gewidmet, aber die vielen französischen Drucker und Verleger, die im 16. Jahrhundert nach Deutschland, in die Schweiz migrierten, oder die im »kleinen Grenzverkehr« mit den Händlern in Mons, Douai, und anderen südniederländischen Städten standen, sind nur manchmal eher per Zufall oder sporadisch erwähnt (Jacques Foillet etwa, obwohl dann v. a. württembergischer Untertan in Montbéliard; Albert Christiaensz, der kurz für Sedan nachgewiesen ist; oder sehr interessant, der in Metz und Phalsbourg wirkende Buchhändler Claude Boucheron). Als der Conseil des troubles des Herzogs von Alba 1568/1569 den Buchbestand bei Buchhändlern in den süd-niederländischen Grenzstädten inquisitorisch erfassen ließ, war eine große Fülle französischer Drucke vorhanden, sodass man sich fragen kann, ob man – auch vor dem Hintergrund der sehr alten Forschungstradition zu »Les huguenots et les gueux« – für ein solches Nachschlagewerk in Amiens stoppen kann. Strasbourg ist außen vorgelassen als Stadt des Heiligen Römischen Reiches (von Usher Chrisman und Muller schon von den Druckern her erfasst). Gerade für die französischsprachigen Drucker und Buchhändler oder solche, die mit Übersetzungswerken tätig wurden, hätte man sich hier wie für den rheinisch-pfälzischen Raum nach 1550 vielleicht neue Erkenntnisse gerade für die Ostverbindungen erhofft, so wie für Basel und für italienische Städte schon viel über Migrationsdrucker mit Bezug zum französischen Handelsraum geforscht wurde. Es ist natürlich legitim, die politischen Grenzen Frankreichs als zentrales Ordnungskriterium zu übernehmen, doch vielleicht hätte sich so noch einiges an Querverbindungen ergeben, die auch für eine transnationale Geschichte des Buchdrucks des 16. Jahrhunderts weiterführend gewesen wäre. Für die schon so enthaltenen Hinweise im Handbuch wäre ein Orts- und Namensindex hilfreich gewesen: Freilich wären dann »Toulouse« oder »Rouen« stark repräsentiert, aber man hätte von solchen Indices her die Detailinformationen von Handels- und Druckerverbindungen – gerade auch in nicht-französische oder kleine Städte – quer durch die Masse der Einträge noch einmal anders nutzbar machen können.
Alles in allem hat das Handbuch aber selbstverständlich rasch seinen Platz als unverzichtbares Hilfsmittel gefunden: »der Walsby«.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Malcolm Walsby, Booksellers and Printers in Provincial France 1470–1600, Leiden (Brill Academic Publishers) 2020, X–902 p., 124 fig. (Library of the Written Word, 87; The Handpress World, 68), ISBN 978-90-04-32413-8, EUR 165,00., in: Francia-Recensio 2023/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96904