»Ich verkannte nicht, daß man damit manchmal zur Auslandspropaganda mißbraucht wurde, für die manchmal ein politisch Unbescholtener gerade recht sein konnte«. Vergleichsweise nüchtern schrieb der Philosoph Hans-Georg Gadamer in seinen Memoiren über seine wissenschaftliche Reisetätigkeit in den 1930er-Jahren. Mit dem »akademischen Tourismus« belegte er, ebenso wie viele andere der porträtierten Wissenschaftler und wenigen Wissenschaftlerinnen, die im vorzustellenden Sammelband vorkommen, eindrücklich, dass der Nationalsozialismus trotz aller lautstarken Bekenntnisse zur wissenschaftlichen Autarkie mit international inkompatibler »deutscher Physik«, »deutscher Biologie« etc. durchaus großes Interesse daran hatte, die eigenen Forschenden in die Welt hinauszuschicken.

Warum dies so war und welche Intentionen die Protagonistinnen und Protagonisten selbst mit diesen Reisen verbanden, untersuchen die Autorinnen und Autoren des Bandes anhand zahlreicher empirischer Tiefenbohrungen; neben disziplingeschichtlichen Arbeiten (insbesondere aus der Philosophie), sind das organisationsgeschichtliche Analysen und biografische Annäherungen. Im Grunde alle Beitragenden kommen dabei – vielleicht erwartungsgemäß, hier aber nochmals überzeugend auf Grundlage archivalischer Überlieferungen belegt – zu dem Schluss, dass das NS-Regime bestrebt war, Reputationsgewinne im Ausland zu erlangen beziehungsweise Gefährdungen des eigenen Ansehens (so zum Beispiel aufgrund der auch an Universitäten und Forschungseinrichtungen geltenden antisemitischen Bestimmungen) proaktiv wie reaktiv durch die Entsendung der eigenen Wissenschaftselite zu begegnen.

Der spannende Punkt in den Aufsätzen ist, dass es gerade deshalb nicht vorrangig die ohnehin überzeugten Nationalsozialisten waren, die das Reichserziehungsministerium, das Auswärtige Amt, das Reichspropagandaministerium oder andere Stellen, die sich in der üblichen nationalsozialistischen Polykratie dazu berufen fühlten, wissenschaftliche Kontakte zum Ausland zu pflegen, entsandten, sondern eben genau jene Forscherpersönlichkeiten vom Schlage eines Gadamer. Diese, so belegen zahlreiche Aufsätze eindrücklich, bewiesen scheinbar in den Gastländern qua ihrer Person, des auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Arbeiten erworbenen Renommees und ihrer vor 1933 begonnenen internationalen Vernetzung, dass die Umwälzungen des Nationalsozialismus so gravierend nicht gewesen sein könnten. Vielmehr würde sich unter dem Nationalsozialismus das Deutsche Reich weiterhin als zivilisierter Kulturstaat mit Hochachtung für Forschung und Wissenschaft und Interesse an der internationalen Einbettung bzw. – im Duktus der Zeit – an der »zwischenstaatlichen Verständigung« verstehen.

Die Autorinnen und Autoren werten jedoch nicht nur das Schriftgut der Behörden aus, sondern auch die Quellen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst – mit (auch das sicher erwartungsgemäß) zum Großteil betrüblichen Befunden. Wohl wissend, dass es der NS-Staat war, der die notwendigen Ressourcen wissenschaftlichen Arbeitens bereitstellte (auf Mitchell G. Ashs Beschreibung von Wissenschaft und Politik als »Ressourcen füreinander« berufen sich zahlreiche der versammelten Aufsätze), biederten sich selbst gestandene Ordinarien bei den Behörden an, waren geradezu pennälerhaft beflissen darin, auf die eigenen Verdienste bei der Werbung für das »neue Deutschland« in Gesprächen mit ihren ausländischen Gesprächspartnern hinzuweisen, und empfahlen sich so für weitere Reisen und Vergünstigungen.

Dem Band gelingt es so durchaus überzeugend, beide »Ressourcen« (also Wissenschaft und Politik) in angemessener Weise zu berücksichtigen. Zuweilen entwickeln sich im Verlauf der Komplettlektüre sicher Redundanzen, weil sich die zu erzählenden Geschichten der vorgestellten wissenschaftlichen Reisen am Ende doch zu gleichen beginnen. Auch erscheint die fortlaufende Betonung, dass das nationalsozialistische Deutschland sich wissenschaftlich nicht abgekoppelt habe, zwar als unbedingt richtig, zugleich aber nicht als eine in der Wissenschaftsgeschichte derart neue Erkenntnis, dass sie noch derart prominent hervorgehoben werden müsste.

Gewichtiger sind aber vielleicht zwei Einwände, die mit der Konzeption des Bandes insgesamt zu tun haben: Zum einen die zeitliche Beschränkung auf die Jahre ab 1933. Einige Beiträgerinnen und Beiträger weisen darauf hin, dass es auch schon in der Weimarer Republik durchaus üblich war, dass reisende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Behörden über ihre Erfahrungen Bericht erstatteten. Auslandsreisen zum ideologischen Nulltarif hatte es also auch vor 1933 nicht gegeben. Ebenso fühlten sich auch schon vor 1933 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Auslandskontakten bemüßigt, ihr Vaterland in der Fremde zu verteidigen (dann allerdings noch vor allem in Bezug auf die Anschuldigungen im Zuge des Ersten Weltkrieges); auch darauf verweisen einige Beiträge sporadisch. Hier systematischer nach Kontinuitäten zu fragen, wäre ein sicher lohnenswertes Unterfangen.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Frage einer systematisierenden Klammer, mit deren Hilfe die Einzelbeiträge methodisch verbunden werden könnten. Ein Rekurs auf die Annahmen der Science-Diplomacy-Forschung, die kürzlich von Sönke Kunkel z. B. für die Geschichtswissenschaft operationalisiert worden ist (und die sich auch für diesen interdisziplinär ausgerichteten Sammelband eignen würde), böte sich an, um das, was die Beiträge beschreiben, analytisch zu fassen und die Befunde über die NS-Forschung hinaus fruchtbar zu machen. Dies wäre ein neuer innovativer Forschungskontext, in den sich die Beitragenden, die Herausgeberin und die Herausgeber des Bandes mit ihren konkreten Beispielen gut einschreiben könnten.1

Trotz dieser Einwände liegt mit dem Band ein breites Panorama vor, dass deutlich macht, wie intensiv tatsächlich die Auslandskontakte in den untersuchten Wissenschaften waren, wie der genaue Ablauf dieser Kontaktpflege aussah und wie die Reisenden ihre Erfahrungen NS-konform aufbereiteten und so nur dem Selbstbild nach in der Rolle »politisch Unbescholtener« verblieben.

1 Vgl. den von Sönke Kunkel herausgegebenen Themenscherpunkt: Science Diplomacy, Knowledge, and Transnationalism in International Relations, 1890s–1980s, in: Journal of Contemporary History, 56/3, hier insb. ders., Science Diplomacy in the Twentieth Century: Introduction, S. 473–484, DOI: 10.1177/00220094211006762.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jonathan Voges, Rezension von/compte rendu de: Andrea Albrecht, Lutz Danneberg, Kristina Mateescu, Ralf Klausnitzer (Hg.), Internationale Wissenschaftskommunikation und Nationalsozialismus. Akademischer Austausch, Konferenzen und Reisen in Geistes- und Kulturwissenschaften 1933 bis 1945, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2022, 436 S., 22 Abb., ISBN 978-3-11-073730-1, EUR 102,95., in: Francia-Recensio 2023/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96932