1957 zog General Hans Speidel als Vertreter der am 9. Mai 1955 – kein zufälliges Datum – der NATO beigetretenen Bundesrepublik ins damalige NATO-Hauptquartier Fontainebleau bei Paris ein. 14 Jahre zuvor hatte er Paris verlassen, wo er bis März 1943 als Oberst Chef des Kommandostabes des Militärbefehlshabers war und nach einer Unterbrechung an der Ostfront am 15. April 1944 als Chef des Stabes der Heeresgruppe B unter Rommel zur Verteidigung des »Atlantikwalls« nach Frankreich zurückkam. Speidel war damit in seiner ersten Funktion verantwortlich dafür, dass alle Befehle von oben, d. h. auch politische aus Berlin, durch die Besatzungsmacht in Frankreich ausgeführt wurden. Dies war somit keine rein militärische Aufgabe.

Seine Ernennung zum deutschen NATO-General musste daher wie eine ungeheuerliche Provokation in Frankreich wirken und tat es auch. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Reihen der Résistance-Veteranen und ihrer politischen Vertretungen, von den Kommunisten zu den Gaullisten. Doch stieß Speidels Rückkehr nach Paris nicht bei allen auf ein solches Echo, sondern auch auf ein gegenteiliges seitens ehemaliger Résistance-Mitglieder, vor allem aus der Gruppe Combat, im Februar 1941 in Lyon von Henri Frenay gegründet, der nach den Worten von Belot »als Erfinder der Résistance im Inneren« gilt (S. 27). Nach seiner erzwungenen Flucht nach Algier im November 1943 wurde er von de Gaulle in die Leitung des Comité français de la Libération nationale berufen.

Nach dem Krieg engagierte sich Frenay für die deutsch-französische Aussöhnung und einen europäischen Föderalismus. Er gehörte zu den großen Persönlichkeiten der Europabewegung und trat für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ein, die in der Folge des Schuman-Plans auch von Frankreich aus lanciert wurde (Pleven-Plan), dann aber an einer fehlenden parlamentarischen Mehrheit in Frankreich selbst scheiterte, unter anderem durch die öffentlichkeitswirksame Intervention des vorübergehend aus der aktiven Politik ausgeschiedenen Charles de Gaulle, der damals immer noch vom »Reich« statt von der Bundesrepublik sprach (S. 16). Doch die Angst vor einem remilitarisierten (West‑)Deutschland musste dann unter dem Druck des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts der Notwendigkeit des NATO-Beitritts der Bundesrepublik weichen.

An der Auseinandersetzung um die Causa Speidel stellt Robert Belot die ganze Problematik der erinnerungsbedingten antideutschen Einstellung (»mémoire anti-allemande«) in Frankreich dar. Er analysiert sehr prägnant die Verbindung, die zwischen einem traditionellen Antigermanismus der nationalistischen Rechten der Vorkriegszeit und den politischen Absichten der nach 1945 starken Kommunisten gezogen wurde, die in ihrem Kalkül alle Register der Propaganda gegen die NATO zogen und im Fall Speidel zugleich an das Feindbild aus dem Krieg anknüpfen und die Kreise der ehemaligen Résistance hierfür mobilisieren konnten. So standen sich noch einmal die kommunistische und nichtkommunistische Résistance und in der öffentlichen Debatte 1957 vor allem Kommunisten und Sozialisten gegenüber.

Die Kontroverse über die Person Speidels war durch zwei unversöhnliche Extreme geprägt: den Vorwurf des »Henkers« und die Verteidigung des »Hitler-Gegners«. Dahinter ging es jedoch um grundsätzliche Fragen von individueller und kollektiver Schuld, die in Frankreich immer noch aktuell waren, wie Belot mit ausführlichen Zitaten deutlich werden lässt. Es lag auch an der deutsch-französischen »Erbfeindschaft«, dass die Kollektivschuldthese in Frankreich noch virulent war, nicht nur zu utilitaristischen Zwecken im kommunistischen Lager. Doch eigentlich ging es um die Wehrmacht, deren Mitverantwortung in Deutschland damals tabuisiert wurde hinter einem aufgebauten Mythos des Unpolitischen und militärischer Pflicht, zu dem dann langsam die Ehre eines Stauffenberg und seiner Mitverschwörer hinzukam, ein neuer Zug, der sich seit 1957 aber gerade erst langsam in der Bundesrepublik durchsetzte. Das hätte zur damaligen Asymmetrie des deutsch-französischen Verhältnisses im Buch stärker betont werden können (vgl. S. 142).

Speidel war kein Nationalsozialist aber ein Nationalist, der 1940 nach Frankreich als Sieger und für die Revanche von 1918 zurückkehrte, nachdem er zwischen den Weltkriegen Militärattaché in Paris gewesen war. Er gehörte zu jenen »Frankophilen«, die wie Ernst Jünger und viele andere von der deutsch-französischen Kollaboration unter deutschem Kommando träumten, ein Offizier, wie ihn Vercors par excellence literarisch in »Le silence de la mer« porträtiert hatte. Diese Differenzierung ging in der Konfrontation »Henker« oder »Hitler-Gegner« unter. Seine Vorstellung von der Besatzungspolitik war sehr pragmatisch, gleichwohl den Befehlen aus Berlin unterworfen, aber im Konflikt mit dem Agieren der SS-Organe in Frankreich, die sich immer mehr durchsetzten (S. 85–89), was 1942 zur Demission des Militärbefehlshabers Otto von Stülpnagel führte, während Speidel kurze Zeit später an die Ostfront versetzt wurde.

In der zentralen Affäre der Exekution der 50 Geißeln im Oktober 1941 für ein Attentat der Résistance auf den Ortskommandanten von Nantes und bei späteren Geißelerschießungen versuchten Speidel und sein Chef die Auswahl der Opfer auf jene zu lenken, die man auch gegenüber der französischen Bevölkerung als kollektiv schuldig erklären konnte: Kommunisten und Juden, um so die Basis der Kollaboration möglichst wenig zu gefährden (S. 94f.). Diese Form des »Pragmatismus« war kein interner Widerstand, aber Speidel war auch nicht der Urheber der Repressionspolitik, sondern Teil des Räderwerks ihrer Ausführung (S. 93), so wie er kein Nazi war, aber bis zum Schluss für den militärischen Sieg kämpfte. Durch seine Nähe zu Rommel war er auch in den Widerstand des 20. Juli eingeweiht, aber nicht aktiv daran beteiligt. Nach dem Krieg schönte Speidel jedoch seine Rolle während der Besatzungszeit und gab sich als Gegner des Nationalsozialismus und Freund der deutsch-französischen Verständigung durch alle Phasen hindurch aus (S. 131ff.), was er in gewisser Weise auch war, aber unter wechselnden, entgegengesetzten politischen Vorzeichen.

Die Generäle, die Adenauer für die Wiederbewaffnung seit 1950 berieten, hatten alle eine viel höhere Verantwortung in der Wehrmacht gehabt; Manstein, der nur unter der Hand Berater Adenauers sein konnte, war sogar als Kriegsverbrecher verurteilt und dann frühzeitig entlassen worden. Gegenüber all jenen war Speidel noch der akzeptabelste – wie sagte doch jemand in der Debatte 1957 zu den Speidel-Gegnern: »Alles in allem wollen Sie doch einen deutschen General, der nie beim Militär gewesen ist!« (S. 67).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Wolfgang Geiger, Rezension von/compte rendu de: Robert Belot, La mémoire anti-allemande en France. Henry Frenay et l’affaire Speidel (1957), Lyon (Presse fédéraliste) 2022, 174 p. (Textes fédéralistes, 21), ISBN 978-2-491429-11-9, EUR 15,00., in: Francia-Recensio 2023/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96942