Geschichten über Drogen teilen sich oft – und grob vereinfacht – in zwei Varianten. Entweder wird auf die eine oder andere Weise der Umstand betont, dass es sie schon so lange gibt wie die Menschen selbst, dass sie dazugehören und ihr Gebrauch, also der Rausch, eine Art vierter Trieb sei. Oder Drogengeschichten sind eingerahmt in die üblichen zeitgenössischen Denkmuster. Will heißen: Drogen sind gefährlich, machen süchtig und ruinieren unsere Jugend. Das Dreigestirn aus Drogen, Sucht und Gefahr lauert fast überall, wo das Wort Erwähnung findet. Und weil im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Idee um sich griff, aufgrund der Gefahren Drogen im großen Stil aus dem Verkehr zu ziehen und ihren Gebrauch faktisch zu verbieten, schauen wir zumeist von diesem Punkt aus auf die Geschichte der Drogen. »Most drug histories are written through the lenses of regulation and criminalization« (S. 5), die auch im frühen 21. Jahrhundert bestimmend sind. Die Gefahr besteht also darin, mit einer Art teleologischen Perspektive die Geschichte der Drogen nur als Vorlauf zur modernen Ordnung des Drogenwissens zu lesen.

Mit »Drugging France« geht Sara E. Black von der Newport University einen anderen Weg und trägt mit minutiöser und aufwendiger Quellenarbeit dazu bei, die Rede von einer Geschichte als Geschichte der Gegenwart mit Leben zu erfüllen. Zugleich wird ein hochinteressantes Panorama des Drogenkonsums im langen 19. Jahrhundert sichtbar. Das gelingt ihr vor allem, weil sie die ebenso übliche wie irreführende Trennung von Medikament und Droge genauso unterläuft wie typische retroaktive Deutungen; sie vermeidet Interpretationen, die Drogenpraktiken des 19. Jahrhunderts als logische Vorläufer oder umgekehrt die Drogenpolitik des 20. Jahrhunderts als logische Folge nahelegen.

Dank Blacks Forschung wird eine eigentlich selbstverständliche, aber öffentlich kaum bekannte Tatsache zur lebendigen Geschichte: Fast alle bekannten Drogen, die im 20. Jahrhundert weltweit kriminalisiert wurden, kamen als Medikamente und Stoffe zur wissenschaftlichen Grenzverschiebung und zur Selbsterkundung auf die Welt. Im 19. Jahrhundert verbreiteten sie sich rasant. Sie dienten dazu, Schmerz zu kontrollieren, für Operationen zu sedieren, Koliken kleiner Kinder einzudämmen, dem Wahnsinn auf die Spur zu kommen oder ihn womöglich unter Kontrolle zu bringen, orgiastische Zustände hervorzurufen oder zu verlängern etc. Kurzum: Entgegen der heutigen Vorstellung, dass Drogenkonsum zu Kontrollverlust führt, ermöglichten psychotrope Substanzen »French citizens to realize new levels of control over their own minds and bodies« (S. 281). Gleichzeitig ist das Thema eng verbunden mit der Akademisierung und Professionalisierung der Medizin, die nicht zuletzt anhand drogistischer Fragen ihren Alleinvertretungsanspruch fixieren will. Als Phrase verdichtet: Was die richtige von der falschen Nutzung von Drogen trennt, wollen Ärzte entscheiden – mit zweifelhaftem Erfolg.

In fünf thematisch sortierten Kapiteln folgt Sara E. Black also verschiedenen Stoffen und Motiven. Zunächst skizziert sie, wie vor allem Opiate zum »integral part of everyday life« wurden (Kapitel 1, S. 63). Dafür wurde der Stoff systematisch auch im Land selbst angebaut, sein Morphiumgehalt genau vermessen und seine Distribution organisiert. Frankreich erlebte im 19. Jahrhundert eine Art Industrialisierung der Opiumproduktion. Zugleich veränderten psychotrope Substanzen das Schmerzempfinden auffällig. Apotheker, Ärzte und andere, teils dubiose Akteure verbreiteten die Kunde vom tendenziell schmerzfreien Leben. Zur gleichen Zeit, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nahmen Selbstversuche (Kapitel 2) von Ärzten und Pharmazeuten – oder allgemeiner: von »[men] of science« (S. 116) – deutlich zu. Irgendjemand musste schließlich irgendwie die Wirkung diverser Stoffe genauer analysieren und verstehen, um die verschiedenen Anwendungskontexte ebenso zu antizipieren wie die Gefahren. Und da es kaum Erzählungen oder sprachlich übertragene Deutungen der Wirkung gab, besonders bei psychoaktiven Stoffen, blieb nur der Selbstversuch.

Nicht zufällig griffen die weit verstreuten Drogenpraktiken auch auf die Frage über, was genau der Wahnsinn eigentlich ist. Haschisch etwa weckte den Verdacht, manche Drogen könnten einen Wahnsinn auf Zeit hervorrufen, also eine Modellpsychose, die für die Forschung von einigem Erkenntniswert sein könnte. Dass sich auch die neue psychiatrische Forschung, die selbst ein schwieriges Kapitel »humanistischer« Entwicklungen des 19. Jahrhunderts ist, für entsprechende Stoffe interessierte, überrascht schließlich weniger. Das dritte Kapitel des Buchs nimmt sich dieses Themas an und zeigt, wie vielfältig besonders Morphium in den Psychiatrien zum Einsatz kam. Einerseits mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten zu sedieren, andererseits um den vermeintlich echten und damit wohl unheilbaren Wahnsinn von anderen Stadien und Zuständen zu separieren – wer nicht einmal auf Morphium runterkommt, wird wohl nicht zu retten sein.

Durch das ganze 19. Jahrhundert zieht sich, nicht nur mit Blick auf Drogen, der Versuch einer professionellen Ärzteschaft, das Feld der Medizin unter Kontrolle zu bringen. Die Frage, wer welche Droge zu welchem Zweck applizieren oder konsumieren darf, ist dafür wichtig. »Psychotropic consumption outside the boundaries of ›official medicine‹« wird schrittweise zum pathologischen Verhalten umgedeutet und lässt erahnen, welche Ideologisierungen Drogen im 20. Jahrhundert einholen werden. Das vierte Kapitel fokussiert besonders die praktisch ungebrochenen Drogenkonsumpraktiken außerhalb der medizinischen Sphäre, vor allem in Verbindung mit Sexualität. Mit dem abschließenden fünften Kapitel kehrt Sara E. Black gewissermaßen zurück zum Anfang und thematisiert die »Economies of Pain«. Gemeint ist die gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast flächendeckende Verwendung schmerzstillender Medikamente in Krankenhäusern und im Militär.

An manchen Stellen hätte dem Text etwas Verdichtung gutgetan. Die Menge an Quellen, deren ausführliche Darstellung die Vielfalt und Ubiquität von Drogennutzung und Drogenexperimenten eindrücklich bebildert, produziert ein paar Längen. Vielleicht wäre es hier und da besser gewesen, ähnliche Praktiken und Interpretationen zusammenzufassen oder gemeinsam darzustellen, statt sie aneinanderzureihen. Das Programm von »Drugging France« ist allerdings überzeugend: Das Buch will Lesende aus der Komfortzone des selbstverständlichen und oft irreführenden bis falschen Drogenwissens der Gegenwart holen und zeigen, wie eng Droge und Medikament verflochten sind. Im Verhältnis erscheinen heutige Debatten zum Thema oft engstirnig und eingefahren.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Robert Feustel, Rezension von/compte rendu de: Sarah E. Black, Drugging France. Mind-altering Medicine in the Long Nineteenth Century, Montréal, QC (McGill-Queen’s University Press) 2022, 400 p. (Intoxicating Histories, 5), ISBN 978-0-228-01143-9, USD 42,95., in: Francia-Recensio 2023/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96946