Seit 1838 steht neben der alten Steinmanufaktur in Mettlach, unbeachtet von Touristen oder auch sonst der großen Öffentlichkeit, ein von Karl-Friedrich Schinkel erschaffener gusseiserner Brunnen, verziert mit einer Statue, die Johann König von Böhmen und Graf von Luxemburg (1296–1346) darstellen soll. Wie lässt sich dieses Artefakt erklären? Wie sein Standort? Sein Motiv? Der Historiker Heinz-Dieter Heimann geht diesen Fragen nach und zeichnet in Form einer histoire croisée den Stellenwert Johanns von Böhmen in den preußischen und luxemburgischen Erinnerungskulturen des 19. Jahrhunderts nach. In seiner tiefgründigen Analyse geht er der Mittelalterrezeption in Architektur und Kunst, sowie deren ideologischen Unterbau nach, so etwa in der sich verändernden Konzeption des Rittertums oder des Totengedenkens. Im Zentrum der Untersuchung stehen dabei drei Personen des 19. Jahrhunderts: der luxemburgisch-deutsche Unternehmer und Steinguthersteller Jean-François Boch-Buschmann, der preußische Künstler und Architekt Karl Friedrich Schinkel, sowie der preußische Kronprinz und spätere König Friedrich-Wilhelm IV.

Der Autor schließt mit seiner Untersuchung eine wichtige Lücke in der bereits breit erforschten Erinnerung an König Johann, nämlich dessen Rezeption in Preußen, und das sowohl im Sinne der Dynastie der Hohenzollern wie auch in den neuen preußischen Provinzen im Westen entlang des Rheins und der Saar (nach 1815). Dabei versucht der Autor die verschiedenen in Mettlach zusammenlaufenden Erinnerungstraditionen zusammenzubringen. Während dies für den Hauptteil des Buches, nämlich den über Preußen, geglückt scheint, so hapert es im Teil über Luxemburg zu oft im Detail. Dies ist umso merkwürdiger, da gerade dieser Bereich in den letzten 25 Jahren sehr gut erforscht wurde. Auf die Rezeption König Johanns bezogen unterscheidet Heimann z. B. nicht deutlich genug zwischen den luxemburgischen und böhmischen Perspektiven, besonders da diese oft gegensätzlich sind. So beschreibt Heimann König Johann zurecht als »bis heute populärsten mittelalterlichen Landesherrscher« in Luxemburg (S. 152), weitet dieses Urteil aber auch auf Böhmen aus, wo jener eher kritisch bewertet wird und deutlich im Schatten sowohl der Vorgänger, wie etwa König Wenzels II., als auch seines Sohnes und Nachfolgers Kaiser Karls IV. steht.

Ähnlich übersieht das Buch die Tatsache, dass es sich bei Johanns Grab um das einzig erhaltene Fürstengrab in Luxemburg handelte. Dies ist jedoch eine fundamentale Gegebenheit, um sowohl dessen dortige Präsenz in der Erinnerungskultur als auch die hohe Emotionalität in Verbindung mit dem Verschwinden der Gebeine nach Mettlach zu erklären. Unterbelichtet ist auch, dass die Mobilisierung Johanns in der Erinnerungskultur Luxemburgs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts immer auch in Wechselwirkung mit den sich verändernden Beziehungen zu den Nachbarländern steht. So wurde Johann in Luxemburg ganz anachronistisch mal zum Deutschen, zum Belgier und – leicht überspitzt – zum Franzosen, wobei gerade letztere Interpretation im Rahmen der durch die Weltkriege ausgelösten anti-deutschen Gefühle eine wichtige Rolle spielte.

Ferner versteht der Autor die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Luxemburg nicht immer. Um nur einige Beispiele zu nennen, spricht er etwa sehr anachronistisch von einer »national gesonnenen Elite« im Luxemburg des Jahres 1833 (S. 131), oder von den »deutschsprachigen Sprachgruppen« (S. 134) in der Zeit nach 1839, als das Großherzogtum bereits von einer Diglossie anstatt einer geografisch definierten Mehrsprachigkeit gekennzeichnet war. Luxemburg hätte ein »konfessionsrechtlich spannungsvolles Verhältnis« zu Belgien gehabt, obwohl beide katholisch waren (S. 103). Die Stadt Luxemburg wird für das Jahr 1946 als »zerstört« beschrieben, was – im Gegensatz zu vielen deutschen Städten – wenig mit der Realität zu tun hatte.

Störend sind auch die vielen vermeidbaren Fehler. Nichtdeutsche Namen und Publikationstitel scheinen dem Autor regelmäßig ein Problem zu bereiten, von Zitaten auf Luxemburgisch ganz zu schweigen. Einige Namen werden mal deutsch, mal französisch geschrieben. Aber man findet auch faktische Fehler. So wird etwa, um nur einige zu nennen, die Benediktinerabtei in Mettlach zur »Jesuiten Abtei« (S. 17 und S. 64), ein Kronprinz zum Großherzog (S. 19), die Könige Wilhelm II. und Wilhelm III. der Niederlande zur selben Person (S. 70), die Herrschaft der Erzbischöfe von Trier wird mit derjenigen der Grafen von Luxemburg gleich gesetzt (S. 101), der Kirchenrat der Klause in Mettlach wird als »gusseisern« bezeichnet, obwohl er aus Messingguss bestand (S. 113), eine Kulturministerin wird zur »Kultusministerin« (S. 160).

Die handwerklichen Schwächen sind sehr unglücklich, da sie von den tatsächlichen Stärken der Analyse Heimanns ablenken. Der fokussierte Blick auf die in Mettlach aufgebaute Erinnerung erlaubt es ihm, diese mit einem bisher unerreichten Grad an Detailgenauigkeit darzustellen, wie etwa die persönlichen Verbindungen zwischen den drei Hauptprotagonisten Boch-Buschmann, Schinkel, und Friedrich-Wilhelm, sowie deren gemeinsame kulturellen Interessen. Zu letzteren gehört auch die sehr nuancierte Darstellung der Vorstellungen von Rittertum im 19. Jahrhundert. Die von Heimann beschriebenen Umstände sind zudem besonders spannend, weil sich gerade hier nach dem Wiener Kongress neue politische Strukturen bildeten, ohne dass diese jedoch bereits von den späteren nationalen Ideologien getragen wurden. Die Gebiete, die fortan Preußens Rheinprovinz bildeten, wie auch die, die zum Großherzogtum Luxemburg wurden, mussten sich damals neu erfinden. Heimann zeigt diesen Prozess vortrefflich, u. a. anhand der Biografie und der Gedankenwelt Jean-François Boch-Buschmanns, der im habsburgischen Herzogtum Luxemburg geboren wurde, im revolutionären und dann napoleonischen Département des Forêts aufwuchs, und schließlich sein Berufsleben zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich Preußen aufteilte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Pit Péporté, Rezension von/compte rendu de: Heinz-Dieter Heimann, Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar. Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens, Berlin (Duncker & Humblot) 2022, 187 S., zahlr., teilw. farb. Abb. (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 56), ISBN 978-3-428-18385-2, EUR 39,90., in: Francia-Recensio 2023/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.96974