Es geht hier zunächst um den Mord, den der dubiose Millionär Harry Thaw am Stararchitekten Stanford White während einer Musikrevue in New York am 25. Juni 1906 beging. Anlass hierfür waren sich steigernde Rivalitäten zwischen den beiden Männern, insbesondere um das – von White früher sexuell missbrauchte – Künstlermodell Evelyn Nesbit, die inzwischen mit Thaw verheiratet war.

In der Studie von Emanuel V. Steinbacher stehen zum Ersten die rhetorischen Strategien der beteiligten Akteure Thaw und Nesbit im anschließenden Prozess im Vordergrund, der sich über zwei Etappen hinziehen sollte. Thaw brachte sich hier deutlich weniger geschickt ein als die Zeugin Nesbit, der es um ihren guten Ruf gehen musste, zumal sie ihren Aufstieg in die Kreise der »High Society« unbedingt fortzusetzen trachtete. Thaw wurde »nur« zu Haft verurteilt, da glaubhaft gemacht werden konnte, dass er geistesgestört sei, und genoss gute Haftbedingungen. Ihm haftete aber seitdem ein Stigma an und er neigte weiterhin zu extrem übergriffigem Verhalten.

Der Prozess erregte ein Höchstmaß an medialer Aufmerksamkeit. So lag es, zum Zweiten, nahe, der Art und Weise der Berichterstattung nachzugehen. Hierbei spielten in der Presse die Enthüllungen über die Vita von Thaw eine wichtige Rolle. Seine inzwischen dreiundzwanzigjährige Partnerin war aus bescheidenen Verhältnissen heraus in die Metropole gekommen, hatte in New York Bekanntschaften geknüpft und sich als höchst attraktiv darzustellen vermocht. Dazu trugen in Auftrag gegebene Studiofotografien bei, die sie in verschiedenen Posen zeigten, – als elegante junge Schönheit, als geheimnisvolle, erotisch dargestellte Frau, allerdings im Rahmen des herrschenden Sittenregimes. Der Autor widmet sich eingehend der visuellen Semantik solcher Aufnahmen, Fotos aus der Konsumwerbung eingeschlossen, mit denen sich das Modell kommerziell vermarkten ließ. Auch hier trat den Betrachtern aktuelle Design-Mode entgegen. Steinbacher entschlüsselt die Codes solcher Aufnahmen und der zugrundeliegenden Rollenspiele. Das hat man methodisch so ausgefeilt kaum einmal woanders gelesen.

Zum Dritten handelt es sich um eine, wenn auch nur kurz ausgeführte, historische Theorie von »High Society«. Der Autor sieht als deren konstituierende Faktoren nicht tradierte Kriterien wie Macht, Reichtum und familiären Status beteiligter Mitglieder einer »upper class« an, sondern die interaktive Wirkung von Medienpräsenz und physischer, im Ansatz theatralischer Präsenz an den »richtigen« Orten der Metropole. Im Fall von Evelyn Nesbit spielte ihre Selbstdarstellungskunst ebenso eine Rolle wie ihr medienstrategisch geschicktes Auftreten, z. B. durch spontan eingeräumte Interviews. Diese mit Orten verbundenen medialen Situationen konnten auf der Basis eines äußerst reichhaltigen archivalischen, publizistischen und bilderreichen Quellenmaterials herausgearbeitet werden. Insofern zielt die Untersuchung auf die erhebliche Bedeutung medialisierter Visualität, was erneut zeigt, wie stark sich die amerikanische Massenpresse (in denkwürdigem Kontrast zur biederen deutschen Zeitungspresse) schon in diese Richtung entwickelt hatte.

Der Verfasser verdichtet die Schilderung der Abläufe, der beteiligten Personen und involvierten Gesellschaftskreise zu einem Zeitbild der Metropole. Ausgehend vom grundlegenden Ansatz Thorstein Veblens über die demonstrative Konsumkultur der »leisure class« (1899) treten bei Steinbacher mit höherer Gewichtung die Faktoren der Performativität und der Beherrschung des medialen Repertoires hervor, das die Akteure der »High Society« auszeichnete. Diese Formation trat zwar nicht an die Stelle der weiterhin höchst bedeutungsvollen »upper classes«, verdrängte diese aber ein Stück weit aus der öffentlichen Wahrnehmung und lässt sich als dynamisierendes Element gesellschaftlicher Ordnung interpretieren.

Es ist ganz plausibel, dass sich die Leserinnen und Leser der Skandalpresse, selbst die der ebenfalls berichtenden »New York Times«, für das »scheinbar authentische Privatleben der High-Society-Mitglieder« bis hin zu deren exklusiven Bällen interessierten und sich hierbei »vor allem Frauen als ›role models‹ für Mode und Körperlichkeit« profilieren konnten (S. 13.) Allerdings fehlen im Buch schlüssige Belege für den Rezeptionsmodus der illustrierten Geschichten und deren Verbreitungsradius.

Das Buch zeigt ferner Störfälle, Irritationen und Misserfolge in den »Karrieren« des Paares Thaw-Nesbit auf. Für sie wurde das Herauszerren intimer Details an die Öffentlichkeit während des Prozesses zu einem belastenden Problem. Seit 1908 brach ihre »Aufmerksamkeitsökonomie« nach und nach zusammen, erst durch die Beschädigung ihrer Glaubwürdigkeit, später aufgrund einer ambivalenten Präsenz im Vaudeville-Milieu. Nesbits zweimalige Missbrauchsenthüllungen waren zwar bei Reporterinnen auf Sympathie gestoßen, sie entsprachen partiell einem progressiven Frauenbild, doch nach einer erneuten Skandalisierung ihres Verhaltens (mit der falschen Person am falschen Ort vergeblich Einlass zu begehren), wurde sie in der Öffentlichkeit weitgehend fallengelassen: Es waren letztlich doch erhebliche und nachhaltige finanzielle Mittel nötig, um dauerhaft den Status eines Mitglieds der »high society« einzunehmen1.

Somit bietet die Studie aufschlussreiche Einblicke in die mediale Interaktionsebene um 1900 – im Rahmen einer kontaktintensiven und avancierten Metropole. Insgesamt erscheint die »High Society« bei Emanuel V. Steinbacher als spannungsreicher »Aushandlungsprozess«, bei dem »Geltungskonsum« und Medienkompetenzen wesentlich einzubringen waren. Selbst der juristische Ausgang von Skandalen erweist sich als partiell abhängig von der Fähigkeit, das eigene »mediale Bild zu steuern« (S. 435f.). Schließlich wurde 1955 die denkwürdige Laufbahn von Evelyn Nesbit im Spielfilm »The Girl in the Red Velvet Swing« mit Joan Collins noch einmal ins Bild gesetzt.

1 Vgl. Juliane Hornung, Um die Welt mit den Thaws. Eine Mediengeschichte der New Yorker High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunders, Göttingen 2020. Die Thaws der 1920er- und 1930er-Jahre, Lawrence und Margaret, stützten sich ebenfalls auf die ausgiebige Visualisierung des Ichs, darüber hinaus auf eigene Medienaktivitäten, die Publikation ungewöhnlicher Reisen nach Afrika eingeschlossen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Clemens Zimmermann, Rezension von/compte rendu de: Emanuel V. Steinbacher, Mord in der High Society. Gesellschaft, Medien und Skandal in New York um 1900, Göttingen (Wallstein) 2022, 494 S., 116 Abb., ISBN 978-3-8353-5213-1, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2023/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.2.97176