Der von Claudia Höhl, Felix Prinz und Pavla Ralcheva herausgegebene Band dokumentiert die Sonderausstellung »Islam in Europa. 1000–1250«, die von September 2022 bis Februar 2023 im Dommuseum Hildesheim gezeigt wurde. Das ästhetisch ansprechende, übersichtlich gestaltete und durch sein Softcover-Format gut zu benutzende Buch präsentiert dabei nicht nur die vielfältigen Exponate der Ausstellung, sondern bietet neben einer konzeptuellen Einführung fünf thematische Essays von ausgewiesenen Fachexpertinnen und Fachexperten.

Hildesheim dient in mehrfacher Hinsicht als produktiver Angelpunkt: Im Fokus stehen Kunstwerke aus vom Islam geprägten Regionen, die sich im Hildesheimer Domschatz sowie der Dombibliothek erhalten haben. Ausgehend von den Hildesheimer Kunstschätzen, die in der Ausstellung um Leihgaben unter anderem aus Florenz, Paris und Wien ergänzt wurden, jedoch die Gliederung in Objektgruppen vorgaben, werden objektbiografisch Transferprozesse über kulturelle, religiöse und sprachliche Grenzen hinweg in andere Funktionskontexte verfolgt. Die multirelationalen, d. h. in changierenden religiösen, gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Bezugsrahmen stehenden Objekte veranschaulichten, so die Leitperspektive, Gemeinsamkeiten und Verflechtungen der Kulturen. Weder »Europa« noch »Islam« werden dabei als monolithische kulturell-religiöse Räume verstanden.

Der zeitliche Rahmen von Ausstellung und Band ist neben der Überlieferung durch die Hildesheimer Stadt- bzw. Bischofsgeschichte vorgegeben: Zwischen 1000 und 1250 habe das mit Blick auf die Einwohnerzahl kleine Hildesheim aufgrund der Herrschernähe seiner Bischöfe wie etwa Bernward (gest. 1022), Godehard (gest. 1038), Adelog (gest. 1190) oder Konrad (gest. 1202) als »Zentrum der Macht, des Wissens und der Kultur« (S. 13) zu gelten. Durch die Amtsgeschäfte, Diplomatie- und Reisetätigkeiten des Hildesheimer Klerus’ im Dienst der ottonischen, salischen und staufischen Könige bzw. Kaiser gelangten zahlreiche portable Kunstwerke vor allem aus den primären Kontaktregionen (Süd-)Italien und Sizilien nach Hildesheim. Dies könne in seiner Stellung indes nicht als exzeptionell gelten, sondern stehe vielmehr beispielhaft für viele andere mitteleuropäische Bischofssitze, Residenzen und Klöster der Zeit, wodurch der Blick auf Hildesheim übergeordnete Mechanismen der Verflechtung im Hochmittelalter verdeutlicht. Anhand der Hildesheimer Kunstschätze ist schließlich ein Perspektivwechsel zu vollziehen, insofern als das mitteleuropäische Hildesheim aus Sicht der im heutigen Irak und Iran gelegenen bzw. der mediterranen Metropolen Bagdad, Konstantinopel, Kairo, Palermo und Cordoba an der Peripherie lag.

Das Tableau der fünf flankierenden Essays eröffnet Thomas Bauer mit seiner pointierten Absage an ein »islamisches Mittelalter«, welches nicht nur von einem eurozentrisch-überheblichen Festhalten an dem seit Längerem vielfach problematisierten epochalen Deutungsrahmen »Antike-Mittelalter-Neuzeit« zeuge1. Vielmehr verkennt die Rede vom »islamischen Mittelalter«, dass die Zeit des lateinisch-christlichen Frühmittelalters für den Dār al-Islām keine Epochenschwelle darstellte und daher kein Bruch mit der Antike – für die neben Römern und Griechen gleichsam auch das Perserreich konstitutiv gewesen sei – erfolgt ist. Inwiefern die unter anderem durch klimatische Faktoren verursachte Krisenzeit des 11. Jahrhunderts in den Zentren der arabisch-islamischen Kultur einen Niederschlag in den Verflechtungen mit christlichen Akteuren und Räumen fand, hätte im Hinblick auf den Fokus des Bandes etwas deutlicher gemacht werden können.

Jenny Rahel Oesterle stellt die mobilen Akteure und ihre ganz unterschiedlichen Reisemotive vor und verweist auf ihr materielles wie immaterielles Gepäck, das nicht isoliert zu betrachten sei. Auch Oesterle unterstreicht den heterogenen Charakter der arabischen Welt im Hochmittelalter, der durch den Zerfall der großen arabisch-islamischen Herrschaften und den Aufstieg diverser Dynastien rund um das Mediterraneum ebenso bedingt war wie etwa durch christliche, jüdische und zoroastrische Bewohnerinnen und Bewohner. Mit dem kosmographischen »Buch der Kuriositäten und Wunder für die Augen« und dem gattungsüberspannenden »Buch der Geschenke und Raritäten« aus dem Kontext der schiitischen Fatimidendynastie (909–1171) präsentiert Oesterle zwei eindrückliche arabische Produkte mediterraner Verflechtung, die ihre fatimidischen Schöpfer in einer Scharnierposition zwischen lateinisch-christlicher, islamisch-antiker und asiatischer Sphäre ausweisen.

Theresa Jäckh zeichnet konzise die Geschichte des für die arabisch-lateinische Verflechtungsgeschichte hochbedeutenden Sizilien im Zeitraum von 900 bis 1200 mit besonderem Augenmerk auf seine materiell-künstlerische Kultur nach. Während sich das kulturelle Schaffen vor allem unter dem Normannenherrscher Roger II. durch eine Vielfalt auszeichnet, die sich arabisch-islamischen, lateinisch-christlichen ebenso wie griechisch-byzantinischen Traditionen verdankt und im Mittelalter ihresgleichen sucht, warnt Jäckh vor voreiligen Rückschlüssen auf die Haltung von Herrschern und Eliten auf Grundlage von (Bau-)Kunst. Objekte könnten Ausdruck künstlerischer Verflechtungsprozesse sein, während auf anderen gesellschaftlichen Ebenen zugleich Entflechtungsprozesse nachzuweisen seien – Narrative materieller und textueller Überlieferung sind für eine ausgewogene Verflechtungsgeschichte mithin wechselseitig zu berücksichtigen.

Juan Pedro Monferrer-Sala bringt mit seinem Beitrag den reichhaltigen Kulturaustausch in Al-Andalus zwischen Christen, Juden und Muslimen ein und veranschaulicht am Beispiel prominenter Gelehrtenfiguren wie des Maimonides (gest. 1204) die Einbindung von Al-Andalus in den weiteren Kontext der islamisch-arabischen Welt zwischen 1000 und 1250.

Abgerundet wird die Reihe der vorangestellten Essays von Vera-Simone Schulz, die im Hinblick auf die Öffnung der Kunstgeschichte für transkulturelle Fragestellungen eine positive Bilanz zieht und nicht nur für die Präsentation der Objekte im hier besprochenen Ausstellungskatalog, sondern für den Zugriff auf migrierende Objekte des Mittelalters grundsätzlich zentrale Leitfragen formuliert. Zu adressieren seien zum einen Reiseursachen bzw. Bedingungsfaktoren für die Mobilität von Objekten, zudem die Herkunft der Objekte, die nicht selten konstruiert war oder diskursiv inszeniert wurde. Anhand von Textilien und Gefäßen verweist die Autorin auf die je spezifische Medialität von Objekten für transkulturelle Formensprachen und zudem auf häufige Identitäts- und Funktionswandel im Zuge von Transfers in neue (Präsentations-)Kontexte.

Auf rund 300 Seiten präsentiert der Band die Exponate der Hildesheimer Ausstellung, die nach Herkunftsregionen, herausstechenden künstlerischen Merkmalen und Materialien in 16 Objektgruppen gegliedert sind und in diesem Rahmen nicht im Einzelnen beschrieben, sondern lediglich exemplarisch in ihrer Vielfalt angedeutet seien: So reicht das Tableau von Münzen, Codices, Reliquiaren über Astrolabien und Paramente bis hin zu Geschirr, Holz-, Bronze- und Bergkristallarbeiten, wobei Al-Andalus, Byzanz, Sizilien und Süditalien gesondert thematisiert werden. Den einzelnen Exponaten sind neben Eckdaten, einschlägiger Forschung und qualitativ hochwertigen Abbildungen jeweils erfreulich konzise, aber nicht allzu knappe Texte beigefügt, die auch für die universitäre Lehre künftig einen reichen Fundus bieten können.

Begrüßenswert sind nicht zuletzt die Verortung in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen um dekoloniale Ansätze im Umgang mit Kunstwerken aus außer-europäischen Herkunftsregionen einerseits und andererseits der Ansatz der Ausstellenden, transkulturelle, migrantische und postmigrantische Konzepte von Identität mit zivilgesellschaftlichen Wirklichkeiten des Ausstellungsortes zusammenzudenken.

1 Siehe ausführlicher: Thomas Bauer, Warum es kein islamisches Mittelalter gab: das Erbe der Antike und der Orient, München 2020 (C.H. Beck Paperback, 6407). Weiterhin jüngst Bernhard Jussen, Das Geschenk des Orest. Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535, München 2023. Vgl. auch Felicitas Schmieder, Epochengrenze als Denkhindernis: Brasil, oder warum die Welt um 1500 nicht erfunden wurde, in: Matei Chihaia, Georg Eckert (Hg.), Kolossale Miniaturen. Festschrift für Gerrit Walther, Münster i. W. 2019, S. 269–274.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sandra Schieweck-Heringer, Rezension von/compte rendu de: Claudia Höhl, Felix Prinz, Pavla Ralcheva (Hg.), Islam in Europa. 1000–1250, Regensburg (Schnell & Steiner) 2022, 352 S., ISBN 978-3-7954-3719-0, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99804