Die Reihe »Geschichte kompakt« wartet mit einem neuen Band auf: »Westeuropa zwischen Antike und Mittelalter« ist dabei als Titel gleich in zweifacher Hinsicht erklärungsbedürftig. Geografisch sind die nördliche Hälfte Italiens, das Frankenreich und Britannien südlich des Hadrianswalles gemeint; zeitlich bewegt sich der Band zwischen dem 4. und dem 8. Jahrhundert. Damit greift er einen Zeitraum auf, der in der aktuellen Forschung als eigenständig empfunden werde, da er, wenngleich in der Antike verwurzelt, über einen eigenen Charakter verfüge, schreibt einleitend die Autorin Laury Sarti, die Mittelalterliche Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau lehrt.

Tatsächlich stehen diese Jahrhunderte nun schon seit rund zwei Jahrzehnten im Mittelpunkt der Spätantike- und Frühmittelalterforschung, die sich international sehr dynamisch entwickelt hat: Verschiedene Disziplinen wie die Archäologien und Philologien, die Byzantinistik oder Kirchengeschichte arbeiten hier über die klassische Epochenscheide zwischen Antike und Mittelalter hinweg sehr produktiv zusammen. Dabei dominiert aktuell die Ansicht, dass der Übergang im Rahmen eines kontinuierlichen Wandels vonstattengegangen ist, den nicht nur Kontinuitäten, sondern auch Brüche prägten. Es werden jedoch immer wieder Stimmen laut, die die sogenannten Invasionen der barbari und der kriegerischen Auseinandersetzungen im 5. Jahrhundert als Ursache für einen augenscheinlichen Zusammenbruch des Imperium Romanum ansehen.

Jedenfalls ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass in dieser Reihe, die sich zum Ziel gesetzt hat, Informationen auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung übersichtlich konzipiert und gut lesbar darzustellen, nun ein Band vorliegt, der die verschiedenen Transformationsprozesse in Politik, Religion und Kultur am Beispiel dreier Regionen aufzeigen will. Die Auswahl erfolgte aufgrund der jeweils guten Quellenlage und der unterschiedlichen Rahmenbedingungen – so wurde Britannien bereits im frühen 5. Jahrhundert von Rom aufgegeben, während Gallien erst ab dem 6. Jahrhundert eigenständig agiert –, die es ermöglichen, vergleichbare wie divergierende Entwicklungen zu konstatieren und mithin von vorschnellen Analogieschlüssen Abstand zu nehmen.

Den Vorgaben der Reihe folgend, werden die acht Kapitel, in denen es um den »Historischen Kontext«, »Identität und Wandel«, »Herrschaft und Autorität«, »Gesellschaft und Strukturen«, »Kirche und Glauben«, »Kriegsführung und Kriegertum« sowie »Alltag und Infrastruktur« geht, mit einem »Überblick« eingeleitet und durch ein »Auf einen Blick« beschlossen; Zeittafeln, Karten und Stichwörter erleichtern die Orientierung und das Verständnis komplexer Sachverhalte. In den Text eingefügt finden sich zudem Auszüge aus den für die Thematik einschlägigen Quellen literarischer wie epigrafischer Provenienz, die in deutscher Übersetzung vorgelegt werden; hierbei findet eine Vielzahl von Gattungen Berücksichtigung – neben der Historiografie, Hagiografie, Kirchengeschichte, Konzilsakten, Gesetzestexte, Briefe etc. Wenn nötig, dokumentiert Sarti auch das lateinische Original, so beispielsweise bei der Diskussion der Identitätsfrage anhand einer Grabinschrift, die aus der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts aus dem heutigen Ungarn, seinerzeit Aquincum, Pannonia Inferior, stammt: Francus ego cives Romanus miles in armis (CIL III 3576) – »Ich bin ein Franke, römischer Bürger, Soldat in Waffen«. Offenbar war es selbstverständlich, dass ein Franke auch römischer Bürger sein konnte, fußte die Identität doch mithin auf sich nur scheinbar widersprechenden Zugehörigkeitsstrukturen. Diese Selbstwahrnehmung setzte sich im frühen Mittelalter fort, wo Identitäten sich kontinuierlich in Abgrenzungen zu anderen Gruppen änderten; selbst ethnische Identitäten bildeten kein statisches oder unumkehrbares Charakteristikum.

Auf der Grundlage von Beispielen und mithin »sprechenden Quellen« wie diesen entsteht so ein faszinierendes Panorama unterschiedlicher Gesellschaften im Umbruch. Mitunter wundert zwar die Schwerpunktsetzung innerhalb der Kapitel – so, wenn beispielsweise innerhalb von »Kirche und Glaube« auf die komplexe und virulent diskutierte Thematik der Bischofsherrschaft kaum eine halbe Seite verwendet wird und das Notablenregiment als Stichwort nicht einmal Erwähnung findet oder in »Alltag und Infrastruktur« die Kontinuität in Bezug auf Schifffahrtsrouten thematisiert wird, doch von Straßen keine Rede ist –, aber in Gänze ist das schmale Bändchen eine gelungene Skizzierung. Dazu tragen nicht zuletzt die »Einzelschicksale im Zeugnis der Quellen« wie z. B. das bei Gregor von Tours (Hist. 6.13) überlieferte Schicksal des cives Lupus von Tours bei, der Frau und Kinder verloren hatte und daher in den geistlichen Stand eintreten wollte. Sein Bruder Ambrosius hinderte ihn daran, befürchtete er doch, die Kirche könnte so Erbin des Familienbesitzes werden. Schließlich wurden beide Brüder in der Nacht nach einem Fest innerhalb des castrum Chinon vom Geliebten der Frau des Ambrosius erschlagen. In ihnen scheint eine Absurdität menschlichen Daseins auf, die epochenunabhängig ist und dazu führt, dass man die für diese Jahrhunderte so charakteristischen Wundererzählungen beinahe mit einer gewissen Erleichterung liest – hätte die Heerschar von Heiligen nicht von Zeit zu Zeit eingegriffen, wäre das Dasein unerträglich geworden! Ein Fundus für die Sozialgeschichte, »Geschichte kompakt« eben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sabine Panzram, Rezension von/compte rendu de: Laury Sarti, Westeuropa zwischen Antike und Mittelalter, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2023, 171 S. (Geschichte kompakt), ISBN 978-3-534-27537-3, EUR 22,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99817