Die von Élisabeth Schmit vorgelegte Monografie präsentiert für den Druck überarbeitete Ergebnisse ihrer 2019 an der Universität Paris I abgeschlossenen Dissertation zu den grands jours des Parlements von Paris in der Zeit nach dem Hundertjährigen Krieg. Die grands jours waren zum Untersuchungszeitpunkt zeitlich begrenzte Gerichtssitzungen von sechs bis acht Wochen. Sie wurden durch ausgewählte Mitglieder (conseillers) des Parlements von Paris in vom König bestimmten Städten mit einem von ihm definierten räumlichen Zuständigkeitsbereich abgehalten.

Die Studie untersucht sieben grands jours aus der Zeit zwischen 1454 und 1459 in drei verschiedenen Regionen Frankreichs: der Auvergne (Montferrand), dem Poitou (Poitiers, Thouars) und der Guyenne (Bordeaux). Sie geht auch auf die Terminologie und die Beziehung dieser Einrichtung zu möglichen seigneurialen Vorgängern wie den seit dem 13. Jh. belegten grands jours von Troyes ein. Im Vorwort spricht Olivier Mattéoni zentrale Fragen zur Erforschung der grands jours an und bezeichnet sie als »innovation institutionnelle« (S. 16). Dazu gehört auch, warum sie sich nicht zu einem dauerhaften Bestandteil der französischen Justizlandschaft entwickelten, obwohl es auch im 16. Jh., nach der Gründung der Provinz-Parlements und vereinzelt auch noch im 17. Jh. grands jours gab, darunter auch die dramatischen grands jours von Clermont, die in Le Puy fortgesetzt wurden (1665–1666).

Auf eine Einleitung folgen drei große Abschnitte mit insgesamt sechs Kapiteln. Im ersten, mit dem Titel »Krieg, Frieden und Justiz«, geht es um folgende Aspekte: die Darstellung des Verhältnisses von Gerichtsbarkeit/Gerechtigkeit (justice) und Frieden in der historiografischen und politischen Literatur (Chroniken, politische Schriften von Jean Juvénal des Ursins und Thomas Basin); um die Beziehung von Justiz und königlicher Gesetzgebung; um die Rolle des Parlements beim Wiederaufbau des Königreiches nach dem Hundertjährigen Krieg (Wiederherstellung der königlichen Institutionen am angestammten Ort [1436–1454] und ordonnance von Montils-lès-Tours [1454]) und um die Intensivierung der Rechtsprechungsaktivität sowie die Glorifizierung (exaltation) der obersten Gerichte, d. h. chambre de comptes und Parlement von Paris und ihre Tätigkeit im Zuge der Kirchen- und Justizreform.

Das zweite Kapitel setzt sich mit den politischen Hintergründen der Ortswahl der grands jours auseinander: Montferrand als königliche Enklave im Gebiet eines mächtigen Fürsten, des Herzogs von Bourbon; Appellationsverfahren aus der Region der Montagnes d’Auvergne, die einen Übergangsbereich zwischen pays de droit écrit und pays de coutumes darstellten und die zwischen den Parlements von Toulouse und Paris hin- und hergerissen waren; der Rückkehr der grands jours nach Poitiers, an den Sitz des ehemaligen Exilparlements (1418–1436) des Dauphins und späteren Königs Karl VII., und Versuche der Stadt, wieder dauerhaft zum Sitz einer Kammer (chambre) des Parlements zu werden (1453–1454); der politisch brisanten Situation in der frisch rückeroberten Stadt Bordeaux. In Bordeaux und der Guyenne waren die Folgen des Herrschaftswechsels und der englischen Bedrohung (z. B. Umgang mit Konfiskationsmaßnahmen, königliche Belohnungen treuer Anhänger, die Form der Fortsetzung des Handels mit dem englischen Feind etc.) und das Ausmaß der der jurade von Bordeaux zugestandenen Rechtsprechungskompetenzen zu regeln. Es kam zu Reformmaßnahmen wie der ordonnance zur Justizreform in der Guyenne (1454–1455).

Der zweite große Abschnitt »faire parlement« wendet sich der Gerichtstätigkeit im engeren Sinn und dem Verhältnis von Ideal und Realität der grands jours zu (Kapitel 3, v. a. theoretisch beanspruchter und faktischer Einzugsbereich). Gegenstand des vierten Kapitels sind die Repräsentation des Parlements und des Königs durch die grands jours, die Rollenverteilung der verschiedenen Akteure, die praktische Gerichtsorganisation, die Bedeutung königlicher Amtsträger und vom König erlassener ordonnances, v. a. des Edikts von Compiègne zur Regelung der Besitzverhältnisse in der Guyenne (1429) und der Pragmatischen Sanktion von Bourges (1438).

Der dritte und letzte große Abschnitt trägt den Titel »la justice en acte(s)« und beschäftigt sich mit der Analyse der Gerichtstätigkeit als solcher, darunter 429 rekonstruierbaren Dossiers: Struktur der Prozessparteien, Verfahren, Wechsel der angerufenen Gerichte und deren Gründe; Rückverweise; Verhältnis von eingebrachten, behandelten und unabgeschlossenen Verfahren einschließlich des Phänomens der Seltenheit von Endurteilen und seiner Gründe usw. (Kapitel 5); Anteil verschiedener sozialer Gruppen am Prozessaufkommen (Überrepräsentation des Adels; Anteil von Klerus, Bürgern, Städten und universitär Gebildeten); Bestrebungen zum Abstellen von Mängeln der Rechtsprechung und ihrer Organisation und von Missbräuchen und Übergriffen durch königliche Amtsträger (Kapitel 6). Am Ende stehen eine Zusammenfassung, bibliografische Angaben und ein Personenregister. Die Argumentation wird durch zahlreiche Tabellen und Graphiken unterstützt.

In ihrer Zusammenfassung differenziert É. Schmit für den Zeitraum zwischen grands jours in Troyes (1367) und in Clermont (1665) vier Entwicklungsphasen: 1. die zweite Hälfte des 14. Jh. bis zu den Bürgerkriegsereignissen von 1400–1410 (mit Nachahmungs-, Aushandlungs-, Konkurrenz- und Konfrontationsvorgängen in den Beziehungen zwischen Fürsten und König); 2. die Mitte des 15. Jh., mit einer Entfaltung des Parlements von Paris auf regionaler Ebene auf dem Weg über gleichzeitig an mehreren Orten anberaumte Sitzungen; 3. ein langes 16. Jh. mit zahlreichen Sitzungen im Zuständigkeitsbereich des Parlements von Paris; 4. die Phase der unruhigen Sitzungen des 17. Jh. (Poitiers 1634, Clermont, fortgesetzt durch Le Puy, 1665–1666).

Gleichwohl würden sich letztlich die grands jours jedem Periodisierungs- oder Klassifizierungsversuch entziehen, da zahlreiche Sitzungen nicht in dieses Schema passten, aber dennoch untereinander eine gewisse Anzahl von Gemeinsamkeiten aufwiesen (S. 338). Im Laufe ihrer Darstellung betont die Autorin immer wieder die jeweiligen lokalen Besonderheiten der drei Regionen und Städte. Während Poitiers ganz an seine früheren Erfahrungen aus der Zeit des Exilparlements von 1418–1436 anknüpfen konnte, habe die Situation in Bordeaux/der Guyenne im Zeichen der noch erforderlichen endgültigen Befriedung gestanden. Die dortigen Konflikte seien sehr stark durch den Herrschaftswechsel und die damit verbundenen politischen und Eigentumsprobleme geprägt gewesen. Die Durchsetzung der Herrschaft des französischen Königs erfolgte über Festungsbau, Garnisonen, die Entsendung vertrauter Berater und Militärs – und über Reformen der Justiz.

In der Auvergne wurde die Lage entscheidend durch die Konkurrenz zu den Herzögen von Bourbon bestimmt. Die Etablierung der grands jours wies Schmit zufolge enge Beziehungen zu umfassenderen Reformbestrebungen, wie der großen Reformordonnance von 1454 und zur Einrichtung regionaler Parlements auf. Es ging um das Wieder-in-Gang-Setzen der königlichen Justiz und die Bewältigung einer typischen Nachkriegssituation, in der der endgültige Friede erst noch abgesichert und die königliche Herrschaft erst noch stärker konsolidiert werden sollte. Das Parlement von Paris verfolgte das Ideal seiner Ubiquität, »celui de l’ubiquité parlementaire, qui voit la cour, l’espace de quelques semaines, se démultiplier plutôt que se diviser« (S. 125). Der erhebliche finanzielle und logistische Aufwand einer solchen temporären lokalen Etablierung von Teilen des Parlements war jedoch so groß, dass er dazu beigetragen haben dürfte, dass die grands jours sich nicht zu einer dauerhaften Institution entwickelten, sondern eher experimentellen Charakter behielten.

Die besondere Bedeutung der Monografie ergibt sich daraus, dass es bisher noch keine umfassendere Untersuchung der grands jours auf breiter Quellenbasis gab. Die auf sorgfältiger Archivarbeit beruhende, hochinteressante Studie leistet auf diese Weise einen sehr wichtigen Beitrag zur Erforschung der Justizgeschichte der Regierungszeit Karls VII., ihren Beziehungen zu Justizreformbestrebungen und zum Umgang mit Kriegsfolgen in einer schwierigen Nachkriegszeit – mühsamen Schritten auf dem Weg zur Konsolidierung eines endgültigen Friedens, die die grands jours auch zu einem »instrument de conquête juridictionnelle« (S. 179) der rückeroberten Gebiete machten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Élisabeth Schmit, »En bon trayn de justice«. Les grands jours du parlement de Paris au lendemain de la guerre de Cent Ans, Paris (Publications de la Sorbonne) 2022, 382 p. (Histoire ancienne et médiévale, 186), ISBN 979-10-351-0819-9, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99818