Nizäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalcedon (451), den ersten vier ökumenischen Konzilien, kommt für die Entwicklung der christlichen Glaubenslehre und des kanonischen Rechts eine grundlegende Bedeutung zu. Ihrem Selbstverständnis nach vertraten sie die Gesamtkirche; einberufen worden waren sie jeweils vom römischen Kaiser. In Nizäa war beschlossen worden, Provinzialsynoden, die jeweils nur eine bestimmte Region repräsentierten, zweimal jährlich abzuhalten. Galliens Klerus, der in Arles bereits 314 eine Reichssynode abgehalten hatte, an der auch nichtgallische Bischöfe teilnahmen, legte 506 in Agde fest, dass Provinzialsynoden nur einmal im Jahr stattzufinden hätten, doch auch dieser Vorgabe kamen die gallischen Bischöfe nicht nach. Offenbar ist nicht einmal die 585 in Mâcon getroffene Regelung umgesetzt worden, alle drei Jahre eine Synode für das Teilreich Burgund abzuhalten. Dass die Synodaltätigkeit insgesamt also sehr unregelmäßig blieb, mag ausweislich der Akten Termin- und Ortswahl wie den Reisebedingungen geschuldet gewesen sein. Generell wählte man Termine zwischen Mai und November, wollte man doch einerseits vom »Drängen ländlicher Arbeit« (Epao, 517) befreit sein und andererseits durch »die stürmische Zeit des wütenden Winters« (Mâcon, 585) bedingt nicht zu lange vom eigenen Bischofssitz fernbleiben. Die Initiative ging von den Bischöfen selbst aus; die Zustimmung des Königs scheint aber grundsätzlich vonnöten gewesen zu sein.
Die Gründe für die Einberufung werden in den Prologen der Synodalbeschlüsse selten konkret benannt; bei der Einberufung z. B. der Synode von Mâcon 585 durch König Gunthram scheint die Niederschlagung der Rebellion des Gundowald eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Der Vorsitz kam ausweislich der Unterschriftenlisten mit Sicherheit den Metropoliten zu. Offenbar wurden vor der gemeinsamen Beratung und Diskussion der vorliegenden kirchenrechtlichen Probleme bereits vorhandene Kanones vorgelesen; darauf verweisen einige der Prologe. Wie aber die Aushandlungsprozesse genau abliefen, entzieht sich unserer Kenntnis; sie haben keinen Eingang in die Akten gefunden, Verlaufsprotokolle sind uns nicht überliefert. Die Auseinandersetzungen über die Disziplinierung des Klerus, die Vorschriften für die Bischofswahl, den Schutz des Kirchenguts oder aber den Ausbau des Asylwesens – um nur einige Themen zu nennen – mögen kontrovers gewesen sein; für eine Entscheidung waren schließlich die Mehrheitsverhältnisse ausschlaggebend. Einige Synodalbeschlüsse wurden aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz durch die Könige per Dekret in weltliches Recht überführt, so vermutlich die Synode von Orléans 511.
Sebastian Scholz, Lehrstuhlinhaber für die Geschichte des Frühmittelalters an der Universität Zürich, hat jetzt eine Auswahl der Synoden Galliens und des merowingischen Frankenreichs in deutscher Übersetzung vorgelegt: Orange 441, Vaison 442, Arles 490–502, Agde 506, Orléans 511, Epao 517, Orléans 538/541/549, Paris 561–562, Tours 567 (Brief der Bischöfe der Provinz Tours an das Volk), Lyon 567/570, Mâcon 581/583, Lyon 583, Mâcon 585 (Edikt König Gunthrams vom 10.11.585), Paris 614, Clichy 626/627, Chalon-sur-Saône 647–653 (Brief der Synode an Bischof Theudorius von Arles), Saint-Jean-de-Losne 673–675. Tatsächlich hatte Friedrich Maassen schon 1893 in den Monumenta Germaniae Historica eine erste moderne textkritische Edition der Synoden von 511 bis 696 publiziert, die Charles de Clercq 1963 erneut für das Corpus Christianorum herausgab. Ebendort veröffentlichte Charles Munier im selben Jahr eine erste textkritische Edition der gallischen Synoden von vor 511. Seit 1989 liegt eine kommentierte Ausgabe mit französischer Übersetzung – herausgegeben von Brigitte Basdevant und Jean Gaudemet – für einen Großteil der Synoden zwischen 511 und 680 vor; seit 2004 eine deutsche Übersetzung – besorgt von Josef Limmer – aller gallischer Synoden bis 700, die allerdings eher Interpretationen denn wörtliche Übersetzung bietet.
Scholz’ Band, der in der Reihe »Quellen zur Geschichte des Mittelalters« erschienen ist, macht nun nicht einfach diese Textgattung für eine größere Leserschaft zugänglich, sondern geht noch in mindestens drei Aspekten über dieses Ziel hinaus: Erstens weil er die Handschriften, die den Ausgaben von Munier und Maassen zugrunde liegen, nochmals einer Prüfung unterzogen hat. So hatte beispielsweise Munier die Handschrift Berlin, Staatsbibliothek Ms. Ham. 132 (1. Hälfte 9. Jahrhundert), nicht herangezogen und Maassen den Text an mehreren Stellen gegen die einheitliche Überlieferung der Handschriften geändert. Jedenfalls weicht der lateinische Text nun an 51 Stellen von diesen Editionen ab; Scholz hat das im Apparat ausgewiesen bzw. weist in der jeweiligen Einleitung zu einer Synode darauf hin.
Zweitens hat er die Texte möglichst wortgetreu übersetzt und dabei bewusst in Kauf genommen, dass diese Vorgehensweise »zu einigen sprachlichen Härten« führt, wie er in der Einleitung warnt – allerdings zu Unrecht, denn die Übersetzung hat, so man bereit ist, sich auf den spezifischen Duktus einzulassen, den Charme des Originals. Und schließlich zielt seine Auswahl der Synoden darauf ab, ein Element thematischer Kontinuität sichtbar werden zu lassen – das Kontinuum kirchlicher Gesetzgebung. So lässt sich z. B. nachvollziehen, dass Orange 441, Vaison 442, Arles 490–502, Agde 506 und Epao 517 im Verlauf des 6. und 7. Jahrhunderts im Frankenreich besonders stark rezipiert wurden. Und last but not least kann man Scholz’ zweisprachige Aufbereitung dieser Texte zum Anlass nehmen, nach den genuinen Charakteristika der gallischen Provinzialsynoden im Vergleich zu denen anderer Regionen zu fragen. Ein Blick auf die Bischofssitze der Iberischen Halbinsel und nach Nordafrika lässt sofort einen Unterschied deutlich aufscheinen: Eine ähnlich hervortretende Konzilsstadt wie Toledo im Westgotenreich oder Karthago in Nordafrika hat es in Gallien nicht gegeben. Vergleichbar wäre allenfalls Orléans, wo Chlodwig 511 das erste fränkische Reichskonzil abhalten ließ, was wohl dazu führte, dass die gesamtfränkischen Reichssynoden – mit Ausnahme des Konzils von Paris 614 – künftig dort stattfanden. Und ein Blick auf die Kanones zeigt, dass in Gallien offenbar ausschließlich Probleme der Kirchendisziplin debattiert wurden; in Fragen der Doktrin wandte man sich nach Rom. Unter Umständen hatten die gallischen Bischöfe also ihre guten Gründe, warum sie im Vergleich mit ihren Amtsbrüdern eher »tagungsunwillig« waren.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sabine Panzram, Rezension von/compte rendu de: Sebastian Scholz (Hg.), Ausgewählte Synoden Galliens und des merowingischen Frankenreichs (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2022, 480 S. (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, 56), ISBN 978-3-534-27536-6, EUR 76,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99831