Ob sogenannte Unkräuter (weeds) ihren Namen verdienen, ist bei den Botanikern umstritten. Umstritten war diese Wertung schon in der Karolingerzeit, denn schließlich galt für sie, dass alle Pflanzen Gottes Schöpfung sind. Nun macht die aktuelle Debatte um weitere Zulassung chemischer »Pflanzenschutzmittel«, an der Spitze das Glyphosat, die Frage der Unkrautbekämpfung und Unkrautbeurteilung auch zu einem Thema der Mediävistik. Die agrarhistorische Forschung hat sich der Sache seit Langem angenommen, begünstigt durch die enormen Fortschritte der Archäobotanik und der Palynologie. Die Frage, ob nur von Kräutern (herbae) als solchen zu sprechen sei oder von guten und schlechten Kräutern und wie man das schon in der Antike und im frühen Mittelalter sah, beschäftigt Paolo Squatriti in diesem flüssig zu lesenden Buch schon in der Einleitung. Er findet bei Vergil mala gramina, bei Plinius internascentes herbas, in Notkers »Vita Karoli Magni« urtichas noxias und inutilia recrementa, nicht dagegen ein umfassendes einfaches lateinisches Wort für Unkräuter generell, wie sie das altenglische weod (neuengl. weed) darstellt. Weod diente »to cover all plants the English disliked«, sie fehlte bei Römern und Karolingern. Augustinus spreche von malae herbae, Johannes Eriugena im 9. Jahrhundert von alia quaeque nociva. Dass die bäuerliche Bevölkerung mit der Bekämpfung der unerwünschten Pflanzen eine enorme Arbeitslast zu tragen hatte, daran könne kein Zweifel sein: weeds imposed burdens, sie beeinflussten die agrarische Produktivität, wurden zu einem ökonomischen Faktor und »krochen« bis in die karolingische Gesetzessprache. Sie verursachten eine »exceptional abundance of Carolingian writings«.

Kapitel 2 referiert ausführlich die Ergebnisse der Archäobotanik im Norden wie im Süden des fränkischen Reiches, zeigt aber auch, dass die nachgewiesenen Ackerkräuter ganz andere waren als die bösen Feinde, von denen die karolingischen Dichter, Brief- und Geschichtsschreiber sprachen. Kapitel 3 zeigt die Abhängigkeit vieler diese karolingischen Äußerungen von spätantiker christlicher Exegese der Genesis: Adam und Eva kämpften eben auch schon gegen Disteln und Dornen. Das praktische Problem in der karolingischen Landwirtschaft lag vor allem im unzeitig frühen und schnellen Aufwachsen dieser Kräuter, die dann die Entwicklung des nützlichen Saatgutes behinderten. Kapitel 4 gilt den angeblich schlimmsten unter den feindlichen Pflanzen. Die Schriftsteller der Zeit fanden sie nicht auf den Äckern, vielmehr in der Bibel bei den Hebräern oder gar im Niltal. Gute und böse Pflanzen sind hier deutlich geschieden, die Welt ist dornig oder paradiesisch, und die schlimmste Pflanze ist der Lolch oder Schwindelhafer (lat. lolium), die tödliche zizania aus dem Evangelium des Matthäus (S. 112–120).

Bronzegitter des Aachener Doms, das »Godescalcevangeliar«, die illustrierten Bibeln von St. Paul in Rom und Moutier-Grandval, die Mosaiken in den römischen Kirchen, sie alle zeigten den Literaten Bilder der Genesis mit Adam und Eva in einer paradiesischen Pflanzenwelt (Kap. 5). Danach geht es zurück zur realen Welt, der karolingischen Landwirtschaft. Sie konnte den Wildkräutern auch gute Seiten abgewinnen, Futter für die Haustiere, ein Aspekt, der leider nicht vertieft wird, sich vielleicht auch nicht vertiefen lässt. Umso mehr interessierten die Heilkräuter. Man wusste aus der antiken Literatur, dass selbst dornige oder giftige Pflanzen heilende Stoffe enthielten. So war Remigius von Auxerre überzeugt, dass letzthin alle Pflanzen ihren Nutzen hätten. Das letzte Kapitel wendet sich den politischen Aspekten zu. Ausgangspunkt ein Gedicht der Zeit Friedrich Barbarossas, es preist Karl den Großen als klugen Landwirt, der das Land vom Unkraut freihält (terram purgat lolio), allerdings bekämpft er die politische zizania mit dem Schwert. Der staufische Dichter habe seine Einschätzung dem »Capitulare de villis« entnommen. Die politische Rhetorik der Karolingerzeit kannte das Schwert bei der Unkrautbekämpfung nicht, sie ließ aber keinen Zweifel, dass politisches Unkraut funditus und radicitus zu beseitigen sei, genau wie die zeitgenössische Irrlehre des Adoptianismus zu vernichten war. Da ist Alkuin nicht fern: »Gute Bischöfe entfernen die Dornen mit der Hacke bis auf die Wurzeln.«

Leider kann ich den Reichtum der ausgewerteten Textzeugnisse in diesem neuen Buch Paolo Squatritis nur andeuten. Der große Kenner des frühmittelalterlichen Italiens beweist einmal mehr seine souveräne Beherrschung der Quellen und wissenschaftlichen Literatur. Im Index erscheinen 44 verschiedene Unkräuter mit ihren lateinischen Namen, dies auch ohne Kenntnis des noch in Konstantinopel verharrenden wertvollsten aller Pflanzenbücher, des »Dioskurides« (5. Jh.). Man behalf sich mit dem aus Plinius abgeleiteten Material in Büchern wie dem St. Galler »Botanicus« oder dem »Herbar« des Pseudo-Apuleius, die auch Ratschläge enthielten, wann mit der Unkrautbekämpfung zu beginnen sei (S. 74)1.

1 Zu der reichen Herbarienliteratur vgl. den Artikel »Kräuterbücher« von G. Keil und P. Dilg im Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 1476–1480.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Dietrich Lohrmann, Rezension von/compte rendu de: Paolo Squatriti, Weeds and the Carolingians. Empire, Culture, and Nature in Frankish Europe, AD 750–900, Cambridge (Cambridge University Press) 2022, 280 p., ISBN 978-1-316-51286-9, GBP 75,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99833