Politische Debatten waren im Frankreich des 19. Jahrhunderts häufig Auseinandersetzungen über die Nachwirkungen und damit auch über die Ideen, Begriffe und Akteure der Französischen Revolution. Dass gerade Maximilien de Robespierre französische Politiker, politische militants oder Historiker im Jahrhundert nach seinem Wirken und Tod beschäftigte, mag auf den ersten Blick wenig verwundern, erwies sich aber als historisch durchaus komplexer Prozess. Wie Marion Pouffary in ihrer Studie, die auf ihrer 2019 an der Sorbonne verteidigten Dissertation beruht, zeigt, dauerte es bis zur bourbonischen Restauration 1814, eher aber noch bis zur Julirevolution 1830, dass »Robespierre« als Jakobiner, als Montagnard, als »Unbestechlicher«, als »Tyrann« oder als Typus des revolutionären Politikers schlechthin im politischen Sprechen (wieder-)auftauchte.

Pouffary rekonstruiert zwei grundsätzliche Modi des Sprechens über Robespierre – die »goldene« und die »schwarze Legende« –, wobei sie letztere in verschiedenen politisch-ideologischen Konstellationen ausdifferenziert. Methodisch versteht sie ihre Untersuchung, wer wann wie über Robespierre politisch sprach, nicht nur als Zugang zum politischen, sondern sogar zum »öffentlichen Diskurs« (S. 22) im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Was die Studie dann auf Basis der Auswertung von politischer Publizistik, Geschichtsschreibung und Parlamentsdebatten bietet, ist eine deutlich enger gefasste Analyse von Erwähnungen Robespierre bei Mandatsträgern der offiziellen politischen Institutionen oder außerhalb davon tätigen politischen Akteuren, im Wesentlichen während der Julimonarchie und Zweiten Republik.

Wie die ersten vier Kapitel zeigen, entstand die »goldene« Robespierre-Legende nach 1830 aufseiten der oppositionell-republikanischen und großenteils außerparlamentarischen Linken. Populär war Robespierre in Vereinigungen wie der Société des Amis du Peuple und der Société des Droits de l’Homme. Sein Werk und Wirken erlangte in Publikationsprojekten, etwa von Albert Laponneraye, sowie Erinnerungen und biografischen Reminiszenzen aus dem Umfeld überlebender Jakobiner wie Philippe Buonarroti neue Präsenz. Diese positive Rezeptionslinie jakobinischer Gleichheitsvorstellungen, der Verfassung und der Menschenrechtserklärung von 1793 fundierte dann Pouffary zufolge radikaldemokratische und sozialistische Forderungen nach der république démocratique et sociale in der Revolution von 1848. Zugleich waren diese positiven Referenzen romantische Lesarten, die in der Kontinuitätslinie von Rousseau über Robespierre bis in die eigene Gegenwart des 19. Jahrhunderts eine spezifisch rhetorisch-emotionale Stilistik hervorhoben, deren Bilder- und Ideenreichtum sich für die Romantiker von klassizistischen Normen positiv abhob.

Das negative Robespierre-Bild im Sinne einer »schwarzen Legende« entwickelte sich hingegen, wie die Kapitel fünf bis sieben demonstrieren, lagerübergreifend in bemerkenswerten Konstellationen. Im konterrevolutionär-konservativen Lager dominierte seine Stilisierung zum »Tyrannen« in Verbindung mit dem Vorwurf einer staats- und ordnungszersetzenden »Anarchie«. Dagegen fiel die liberale Robespierre-Kritik, die Pouffary gleichfalls dem rechten Lager zurechnet, nicht weniger negativ, aber rationalistischer aus, indem sie auf das jakobinische Machtstreben zielte, nicht aber die Revolution als solche verdammte. Fragen ließe sich freilich, welche Erklärungskraft eine Kategorie wie »konterrevolutionär« für den politischen Diskurs nach 1815 überhaupt besitzt: 1793/1794 waren aus Sicht der Jakobiner quasi alle anderen politischen Konkurrenten zu »Konterrevolutionären« geworden, und jakobinische Revolutionsanhänger waren in der Restaurationszeit wiederum politisch marginalisiert.

Auch aufseiten der politischen Linken gaben unterschiedliche jakobinische Rezeptionslinien einer pointierten Robespierre-Kritik Raum, etwa wenn französische Sozialrevolutionäre wie die Blanquisten sich auf die Sansculotten-Ikone Jacques Hébert beriefen. Die sich um Pierre Joseph Proudhon formierende anarchistische Bewegung konnte hingegen mit dem robespierristischen Staats- und Wirtschaftsdirigismus wenig anfangen und sah in ihm den autoritären Wegbereiter des bonapartischen Brumaire-Staatsstreichs, der in der Zweiten Republik zum historischen Wiedergängerszenario wurde.

Die abschließenden vier Kapitel konzentrieren sich im engeren Sinne auf die Parlamentsdebatten, die Pouffary nach Erwähnungen Robespierres auszählte und auswertete. Dabei treten zunächst erstaunliche Hürden beim Quellenzugang zutage: Besaß Frankreich durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch zwei, unter Napoleon I. sogar drei Legislativkammern, so sind deren Debatten weder im 19. Jahrhundert, geschweige denn im 20. und 21. Jahrhundert, vollständig ediert und entsprechend selten als Quellen systematisch herangezogen worden. Für die 1850er-Jahre stehen der historischen Forschung sogar gar keine gesammelten Parlamentsprotokolle zur Verfügung. Hier zeigte und zeigt die dominante Fixierung auf die revolutionären 1790er-Jahre bis heute eklatante Lücken für die französische Politikgeschichtsschreibung. Selbst die digitale Aufbereitung der Debatten der Versammlungen der 1790er-Jahre ist aktuell noch nicht abgeschlossen.

Empirisch stechen die von Pouffary identifizierten Fundstellen Robespierres in den Parlamentsdebatten nicht durch Häufigkeit heraus: einige Dutzend Erwähnungen für die Restaurationszeit, Julimonarchie und Zweite Republik insgesamt; immerhin rund 100 für die ersten drei Jahrzehnte der Dritten Republik. Dass dahinter jedoch im Durchschnitt lediglich eineinhalb bis acht Erwähnungen Robespierres pro Jahr stehen, macht kohärente Analysen herausfordernd. Im Wesentlichen beobachtet Pouffary eine »Anreicherung des Robespierre-Bildes« (S. 247) und ordnet sie den genannten Legendentypen zu. In Debatten zur Religions- und Schulpolitik war Robespierre verhältnismäßig präsent.

Insgesamt fällt die Bilanz der Studie überschaubar aus. Über weite Strecken lässt sie sich als Kommentar zu Marc Belissas und Yannick Boscs 2013 erschienener Untersuchung zur Robespierre-Historiografie lesen, deren Befunde Pouffary mit ihrer breiteren Quellenbasis erweitert und nuanciert, ohne jedoch eine grundlegend neue Sicht zu bieten1. Stellenweise gibt es etwa bei Jules Michelets und Edgar Quinets republikanischer Revolutionsgeschichtsschreibung der 1840er- bis 1860er-Jahre auch explizite Überschneidungen. Zugleich erweist sich die Nähe zur historischen Figur und ihren unmittelbaren Evokationen als inhaltlich ziemlich voraussetzungsreich. In der Absicht, in erster Linie die »Texte sprechen zu lassen« (S. 25), verzichtet Pouffary auf breitere historiografische Anschlüsse oder eine Auseinandersetzung mit ideologisch unterschiedlich gefärbten Spezialstudien, da diese Robespierre-Bilder des 19. Jahrhunderts verstellen würden.

Vor allem aber fehlen dem Buch jenseits der aufschlussreichen, im Kern aber deskriptiven Bestandsaufnahme von Robespierre-Topoi klare Thesen. Für den Rezensenten stellte sich bei der Lektüre angesichts der raschen Folge postrevolutionärer politischer Umwälzungen die von Klaus Deinet inspirierte Frage nach »Revolutionsmimesis« oder mit Blick auf das von Emmanuel Fureix’ angeregte »siècle des possibles« die Frage der spezifischen Ressourcen, die Robespierre dem politischen Diskurs des 19. Jahrhunderts eröffnete, mitsamt ihrer Reichweite2.

In ihrer historischen wie historiografisch zudem streng nationalen Binnenschau dokumentiert die Studie einen fortgesetzten Modus historiografischer Selbstbeschäftigung mit der Revolution. Als Beitrag zum Genre der études (post-)robespierristes mag dieser Modus nach außen durchaus hermetisch wirken. Er erweist sich aber insofern als instruktiv, als diese revolutionshistorische Selbstbeschäftigung, die sich auch bis in die jüngere Robespierre-Biografik hinein niederschlägt, Teil einer langen Geschichte ist.

1 Marc Belissa, Yannick Bosc, Robespierre, la fabrication d’un mythe, Paris 2013 (Biographies et mythes historiques).
2 Klaus Deinet, Die mimetische Revolution oder die französische Linke und die Re-Inszenierung der Französischen Revolution im neunzehnten Jahrhundert (1830–1871), Stuttgart 2001 (Beihefte der Francia, 50); Emmanuel Fureix, Le siècle des possibles. 1814–1914, Paris 2014 (Une histoire personnelle de la France).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Friedemann Pestel, Rezension von/compte rendu de: Marion Pouffary, Robespierre, monstre ou héros?, Villeneuve-d’Ascq (Presses universitaires du Septentrion) 2023, 342 p., ISBN 978-2-7574-3811-4, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2023/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99912