Friedrich II. von Preußen hielt bekanntlich seinem Großvater Friedrich III./I. vor, die Königskrone nur angestrebt zu haben, weil er »seinen Hang für das Zeremonienwesen befriedigen und seinen verschwenderischen Prunk durch Scheingründe rechtfertigen wollte« (S. 169). Dieses Streben nach Ruhm und Rangerhöhung, nach Parifikation oder Präzedenz gegenüber anderen Akteuren des Alten Reichs und Europas bildet den Rahmen der Dissertation Elisabeth Rufferts über das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburgisch-preußischen Hofes »um 1700«.
Dabei beschränkt sich der Untersuchungszeitraum keineswegs auf die Jahre vor und nach der Königskrönung von 1701, sondern umfasst das Jahrhundert von 1648 bis 1740 (S. 17). Ruffert stellt sich die Aufgabe, »Wirkweise und Funktion« sowie die »Entwicklung« des Gesandtschaftszeremoniells als »System« (S. 15, 26) zu untersuchen, indem sie »eine vergleichende, diachrone Betrachtungsweise des Gesandtschaftszeremoniells bezüglich der drei Hohenzollern« Friedrich Wilhelm, Friedrich III./I. und Friedrich Wilhelm I. (S. 18f.) einnimmt. Um dem erkannten Risiko zu entgehen, durch eine isolierte Betrachtung den »Mythos Preußen« (S. 16) zu nähren, werden Wechsel- und Auswirkungen innerhalb und außerhalb des Alten Reichs teilweise mitberücksichtigt, vor allem in Bezug auf die Höfe in Hannover, Dresden und Wien. Die Arbeit schöpft aus einem breiten Quellenkorpus aus zeremoniellen Reglements und Aufzeichnungen, Gesandtenkorrespondenzen und bekannter Traktatliteratur. Methodologisch bezieht sich die Arbeit immer wieder auf Ansätze, Definitionen und Erkenntnisse des weiten Forschungsfeldes der Kulturgeschichte frühneuzeitlicher Diplomatie, lässt aber in ihrer Vorgehensweise insbesondere praxeologische und akteurszentrierte Ansätze und Methoden (S. 25) außen vor.
Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile und widmet sich zunächst bekannten »Grundlagen«: Entwicklung und Rangstufen des Gesandtschaftswesens, Definition des Rituals und des Zeremoniells und außenpolitische Rahmenbedingungen am Berliner Hof. Das zweite Hauptkapitel, überschrieben mit »grundlegende Problematiken«, führt aus, in welchem Ausmaß das Gesandtschaftszeremoniell des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts von Konkurrenz, aber auch von Anpassungs- und Abstimmungsversuchen geprägt war. Dies wird anschaulich in Bezug auf die Kurfürsten, Fürsten, Republiken und gekrönten Häupter beschrieben und in Beziehung zu prägenden Einflussfaktoren oder Zäsuren gesetzt, etwa der Königskrönung 1701, den Auswirkungen eines Herrscherwechsels oder zeremoniellen Entwicklungen an anderen Höfen. Dabei werden erhellende Aspekte wie die zeremonielle Orientierungssuche Hannovers nach der Erhebung zum Kurfürstentum 1692, Auseinandersetzungen mit dem kaiserlichen Hof oder die Rangansprüche in Bezug auf Lothringen und die norditalienischen Herzogtümer und Venedig thematisiert. Die folgenden Unterkapitel erörtern Bedeutung und Konfliktpotential bestimmter Präzedenzfälle, Prinzipien (z. B. Defrayierung, S. 287f.) und zeremonieller Elemente: Oberhand, Gewährung der ersten Visite, Wahl der Kutsche, Exzellenz-Anrede etc. Zu erwarten ist die Feststellung, dass die Königskrönung nicht zu einer Auflösung, sondern lediglich zu einer Verschiebung der Rangdispute führte (S. 244). Der dritte Teil schildert in alphabetischer Folge verschiedene »Elemente« des Gesandtschaftszeremoniells, worunter an dieser Stelle auch strukturelle Rahmenbedingungen (Hofstaat, Sprache, Zeit und Raum) und besondere Aspekte (die Gesandtin) subsumiert werden: Abschied, Rolle der fürstlichen Familie, Geschenke (insbesondere Abschiedsgeschenke an die Gesandten), »Gestik und Gegenstände«, »Militär und Musik«, Tafelhalten. Auch hier stechen Besonderheiten des kaiserlichen Hofes hervor, zum Beispiel in der Frage des Musikspiels (S. 437). Unklar bleibt, warum ein Unterkapitel zu Ankunft und Begrüßungszeremoniell fehlt.
Insgesamt schildert Elisabeth Ruffert eine Fülle zeremonieller Vorfälle und resultierender Aus- und Wechselwirkungen. Viele Beispiele geben der Frage, wo und wie die Beziehungen zwischen den (größeren) Reichsständen des Alten Reichs zwischen »Innen-« und »Außenpolitik« zu verorten und zu analysieren sind, in zeremonieller Hinsicht neue Impulse1. Die Darstellung ist insgesamt von einer weitgehend deskriptiven Vorgehensweise geprägt und springt dabei immer wieder unvermittelt zwischen unterschiedlichen Jahren und Jahrzehnten. Je nach Aspekt wird teils Traktatliteratur aus der Perspektive der 1640er- bis 1670er‑Jahre (Abraham de Wicquefort, Conrad von Hövelen) zitiert, teils Literatur aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (Johann Jacob und Friedrich Karl von Moser) herangezogen, ohne dass die Darstellung in einen systematischen Vergleich verschiedener Höfe oder Zeitpunkte übergeht oder in einem Gesamtbild der zeremoniellen Entwicklungen zwischen 1648 und 1740 mündet.
Die Lektüre wird abgesehen von nennenswerten Defiziten in Satzbau, Interpunktion und Transkription2 durch zahlreiche lange Quellenzitate beeinträchtigt, die überdies meist unkommentiert bleiben. Vollständig verzichtet wurde hingegen auf die Berücksichtigung von Bildquellen sowie auf Abbildungen bzw. Visualisierungen. Dennoch bieten die Darstellung und das reiche Literatur- und Quellenverzeichnis interessante Anregungen, aufschlussreiche Einblicke und Ansatzpunkte für weitere Forschung zum frühneuzeitlichen brandenburgisch-preußischen Gesandtschaftszeremoniell und darüber hinaus.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Florian Pfeiffer, Rezension von/compte rendu de: Elisabeth Ruffert, Das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburgisch-preußischen Hofes um 1700, Berlin (Duncker & Humblot) 2022, 728 S. (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 55), ISBN 978-3-428-18327-2, EUR 119,90., in: Francia-Recensio 2023/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99914